Stuttgart. Nach dem holprigen Start gegen Liechtenstein folgt ein fulminanter Sieg gegen Armenien. Für ein Flick-Fazit ist es aber noch zu früh.

Am Morgen nach dem halben Dutzend gegen Armenien herrschte im Kreis der Nationalmannschaft eitel Sonnenschein. Natürlich im wahrsten Sinne des Wortes. 25 Grad in Stuttgart, die Sonne lachte und der Himmel über dem Ländle schien wenige Stunden nach dem fulminanten 6:0-Sieg Deutschlands sogar noch ein wenig blauer als sonst. Das Einzige, was den Gute-Laune-Morgen jetzt noch beeinträchtigen konnte, war die Gewissheit, dass es so nicht bleiben werde. Bereits an diesem Dienstagnachmittag reist der DFB-Tross weiter ins isländische Reykjavik, wo dem Team um Neu-Bundestrainer Hansi Flick neben dem rumorenden Vulkan Fagradalsfjall und einem waschechten Schmuddelwetter mit Temperaturen um die elf Grad und Regen satt am Mittwoch auch noch ein Gegner erwartet, der das offene Scheunentor vom Vorabend vermutlich wieder ein wenig schließen wird.

Doch um das Morgen in Island wollte man sich im Kreis der Nationalmannschaft gestern in Stuttgart noch nicht wirklich kümmern. Ab Dienstag werde man sich intensiv auf Island vorbereiten, kündigte ein zufriedener Hansi Flick in der Nacht vom Sonntag auf den Montag an, kurz nachdem seine Mannschaft auf durchaus imposante Art und Weise den bisherigen Tabellenführer der WM-Qualifikationsgruppe J in seine Schranken verwiesen hatte. „Da hat man etwas Gänsehaut bekommen“, sagte Flick, als er auf die „Oh, wie ist das schön“-Gesänge von den Rängen angesprochen wurde und er dann noch den Schalter von vollständiger Verzückung in professionelle Nüchternheit umlegen konnte. Das 6:0 gegen Armenien würde Lust auf mehr machen, sagte der 56-Jährige. Aber: „Dieser Sieg ist jetzt der Maßstab.“

Bilanz trotz knappem Sieg gegen Liechtenstein "historisch"

Fans der deutschen Nationalmannschaft dürften erleichtert gewesen sein, dass der Nachfolger vom ewigen Jogi diesen Satz nicht wenige Tage vorher zum Besten gab, als das DFB-Team mehr schlecht als recht Fußball-Zwerg Liechtenstein bei seinem Debüt als Bundestrainer in St. Gallen mit 2:0 in die Schranken verwies. Doch weil bekanntermaßen das Vorgestern noch weniger Newswert als das Gestern hat, dauerte es nach dem 6:0 gegen Armenien nicht lange, ehe ein Statistikanbieter via Twitter verkündete, dass noch nie ein deutscher Nationaltrainer mit 8:0 Toren und sechs Punkten aus den ersten beiden Spielen gestartet sei. „Historisch“ sei diese Bilanz geradezu.

Strahlende Gesichter beim DFB-Debüt: Karim Adeyemi (links) und David Raum.
Strahlende Gesichter beim DFB-Debüt: Karim Adeyemi (links) und David Raum. © Getty

Nun ja. Für den fetten Strich unter Flicks Startbilanz ist es nach zwei Dritteln der ersten Dienstreise wohl noch ein wenig zu früh. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo zwischen Armenien und Liechtenstein – fußballerisch natürlich, nicht geografisch. Doch nur wenn auch am Mittwoch (20.45 Uhr/RTL) die reaktivierte Viererkette (in welcher Besetzung auch immer) genauso wenige Chancen gegen die Nordmänner von der Insel mit den 31 aktiven Vulkanen zulässt und die Offensive um beispielsweise Leroy Sané (stark), Marco Reus (richtig stark) und Serge Gnabry (super stark) auch nahe des Polarkreises überzeugt, darf wirklich ein Eitel-Sonnenschein-Fazit zum ersten Flick-Triell gegen Liechtenstein, Armenien und Island gezogen werden.

Begeisterung bei DFB-Debütanten Adeyemi, Wirtz und Raum

Nur den Flick-Debütanten Karim Adeyemi, Florian Wirtz und David Raum sei natürlich verziehen, dass ihre Begeisterung schon vor dem abschließenden Trip nach Island kaum noch zu bändigen war. Er sei „immer noch geflashed, dass ich mit so tollen Spielern zusammenspiele“, sagte Teenager Adeyemi, nachdem ihm in seinen ersten 19 Länderspielminuten auch prompt sein erstes Länderspieltor geglückt war (siehe Rand). Nicht unbedingt geflashed, aber zumindest hoch zufrieden konnte man auch von der Doppel-Sechs der Zukunft mit den beiden Bajuwaren Joshua Kimmich und Leon Goretzka sein. Und weil auch noch der zum Rechtsverteidiger umgeschulte Jonas Hofmann überzeugte, musste man als kritischer Berichterstatter fast schon erleichtert aufatmen, dass man zumindest hinter den Namen von Sturmspitze Timo Werner vermerken konnte, dass sein Wirken im Angriffszentrum noch ausbaufähig war.

Schwaches EM-Abschneiden gerade mal zehn Wochen her

Zur Erinnerung: Es ist gerade einmal zehn Wochen her, dass die deutsche Mannschaft nach einer schwachen EM relativ sang- und klanglos im Achtelfinale der Europameisterschaft an England gescheitert war. Es war das letzte Spiel von Joachim Löw, der am nächsten Morgen bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz in Herzogenaurach den Staffelstab ganz offiziell an Nachfolger Flick übergab.

Auch interessant

Zweieinhalb Monate später schienen diese Ereignisse zumindest für die 18.000 freudetrunkenen Schwaben in der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena aus dem kollektiven Gedächtnis schon wieder verschwunden zu sein. „So was hat man lange nicht gesehen…“, sangen die eigentlich nicht für ihre Gefühlsausbrüche bekannten Stuttgarter, noch ehe der 6:0-Sieg am Sonntagabend besiegelt war. Was sie nicht sangen, nicht meinten – und was auch melodisch gar keinen Sinn machen würde: „So was werden wir lange nicht mehr sehen.“

Mit Sieg gegen Island die Weichen auf WM-Quali setzen

Ein Revival darf es also gerne bereits an diesem Mittwoch in Reykjavik geben, wo Deutschland mit einem weiteren Flick-Sieg schon mal frühzeitig die Weichen auf WM-Qualifikation setzen könnte. Man habe sich vorgenommen, sagte Bundestrainer Flick noch zur Geisterstunde, auch weiterhin „einen Fußball zu spielen, der die Leute begeistert, der Freude macht.“

Gelingt das tatsächlich auch am Mittwoch, wird am Tag danach sicher keiner in Deutschland über Vulkan Fagradalsfjall oder Wolkenberge über Reyjkavic sprechen.

Auch interessant