Tokio. Die letzten Olympischen Spiele von Patrick Hausding laufen perfekt. Erst Fahnenträger, jetzt Medaillengewinner beim Synchronspringen.
Im Moment der überschäumenden Freude mimte Patrick Hausding kurz den Balotelli. Während sein Synchronpartner Lars Rüdiger (25) noch ungläubig zur Anzeigetafel im Tokyo Aquatics Centre blickte, spannte der 32-Jährige seine Muckis an wie einst der italienische Fußballstar Mario Balotelli beim 2:1 im EM-Halbfinale 2012 gegen Deutschland. Hausding, sonst ein ruhiger Vertreter, brüllte und wirkte völlig aufgelöst. Warum, erklärte der deutsche „Mister Wassersprung“ so: „Ich fühle mich wie im Märchen.“
Hausding/Rüdiger holen die zweite Medaille für das Springer-Team
An ihm lässt sich ganz gut beschreiben, was Sportler aus aller Welt im Laufe eines Jahres durchlebt haben. Als die Olympischen Spiele im vergangenen Jahr verlegt wurden, war auch Hausding zunächst unsicher, was er tun sollte. Noch ein Jahr warten – mit ungewissem Ausgang? Den in mehr als 20 Jahren Wettkampfsport geschundenen Körper ein weiteres Mal auf Höchstleistung trimmen? In dem einen Augenblick, als die Emotionen aus ihm herausbrachen, wusste er: alles richtig gemacht.
Die Berliner Hausding und Rüdiger haben die Bronzemedaille gewonnen vom Drei-Meter-Brett. Nach Platz drei für Tina Punzel und Lena Hentschel in der gleichen Disziplin war es die zweite Plakette für das deutsche Springer-Team. Danach sah es lange nicht aus. „Wir haben heute nicht unseren besten Wettkampf erwischt und wollten eigentlich nur noch einen guten letzten Sprung machen“, sagte Hausding, „obwohl uns unser Trainer gepusht hat, da sei noch was drin.“
Der beste Sprung von Hausding/Rüdiger am Schluss
Christoph Bohm hatte genau verfolgt, wie die Konkurrenz patzte. Nur als Sechstplatzierte waren seine Schützlinge zum letzten Sprung angetreten, dem viereinhalbfachen Salto. Das russische Duo hatte das Finale völlig verkorkst, null Punkte bekommen. Italiener und Mexikaner waren solide, aber nicht besonders gut. Anders die Deutschen: Mit ihrem besten Sprung machten sie gegenüber den bis dahin drittplatzierten Mittelamerikanern nicht nur 15 Punkte Rückstand wett, sondern legten noch fünf weitere drauf: Bronze hinter den unschlagbaren Chinesen und dem ebenfalls fast fehlerfrei springenden US-Duo.
Während Olympia-Debütant Rüdiger trocken kommentierte: „Das war eine verdammte Achterbahnfahrt. Aber es zählt, was am Ende rauskommt“, konnte sich Hausding gar nicht mehr beruhigen. Kein Wunder: 2008 in Peking hatte er als Novize an der Seite von Sascha Klein olympisches Silber vom Turm gewonnen. London 2012 verlief enttäuschend, und auch Rio 2016 war nichts für schwache Nerven. Da schien er nach vierten Synchron-Plätzen vom Turm (mit Klein) und vom Drei-Meter-Brett (mit Stephan Feck) leer auszugehen, gewann dann aber im Einzel aus drei Metern sensationell Bronze – die erste deutsche Medaille in dieser Disziplin seit 104 Jahren.
Fahnenträger Hausding sammelt Meilensteine ein
Und nun gegen Ende einer langen Karriere dieses Edelmetall, dem der Rekordeuropameister so lange nachgejagt war. Nach EM-Gold und Platz zwei im Weltcup mit Rüdiger vor wenigen Wochen hatte er sich zwar Chancen ausgerechnet, doch nicht so, wie der Wettkampf verlief: „Es fing gut an, aber dann hatten wir immer kleine Fehler drin.“ Um so größer war der Jubel, dass es doch noch klappte mit der Medaille.
Wie in einem Sportler-Märchen bei Olympischen Spielen, die für das Gesicht des deutschen Wasserspringens schon märchenhaft begonnen hatten, weil er bei der Eröffnungsfeier gemeinsam mit Beachvolleyball-Olympiasiegerin Laura Ludwig die deutsche Fahne tragen durfte. „Ich bin so glücklich“, sagte Patrick Hausding, „in dieser Saison habe ich noch mal so viele persönliche Meilensteine eingesammelt, dass ich es nicht in Worte fassen kann.“ Gut, dass er weitergemacht hat. Und am Montag steht ein weiterer Wettkampf aus für ihn, der im Einzel aus drei Metern. Mal sehen, wie dieses Märchen ausgeht.