Tokio. Auf ihr laste das Gewicht der Welt, schrieb US-Star Simone Biles. Dann stieg sie aus dem Turn-Finale aus. Auch das Weiße Haus reagiert.
Am Ende eines dramatischen Abends in Tokio eilte auch das Weiße Haus der in Tränen aufgelösten Simone Biles zu Hilfe. Die Jahrhundert-Turnerin, die Stunden zuvor wegen mentaler Probleme das Mannschaftsfinale bei den Olympischen Spielen abgebrochen hatte, verdiene „Dankbarkeit und Unterstützung“, sie sei „immer noch die Größte aller Zeiten“, twitterte Jen Psaki, Sprecherin von US-Präsident Joe Biden.
Kurz zuvor hatte die erkennbar aufgewühlte und nervlich schwer angeschlagene Biles unter Tränen erklärt, warum sie ihren Wettkampf nach nur einem Gerät abgebrochen hatte. „Ich musste tun, was richtig für mich ist, mich auf meine mentale Gesundheit fokussieren und nicht mein Wohlbefinden gefährden“, sagte sie und bekannte: „Wenn ich turne, habe ich weniger Selbstvertrauen, weniger Spaß und bin nervöser. Es ist Mist, wenn man mit seinem eigenen Kopf kämpft.“
Die große Show von Biles war zu Ende, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Der mentale Druck war zu groß. „Immer wenn man in eine Stresssituation gerät, flippt man irgendwie aus“, sagte die 24-Jährige. Und Athleten, ergänzte sie, seien nun mal „nicht einfach nur Athleten, am Ende des Tages sind wir Menschen“.
Die Goldmedaillen gingen nach dem Rückzug von Biles an die ROC-Athletinnen, die die personelle Schwächung der US-Girls nutzten und ihnen die erste Niederlage seit elf Jahren zufügten. Den dritten Platz holte Großbritannien. Weil Biles, viermalige Olympiasiegerin von Rio, nicht mehr eingreifen konnte, turnte die Übungen am Stufenbarren, Schwebebalken und Boden ihre überforderte Ersatzfrau.
Die Ausnahmeathletin war nach dem ersten von vier Geräten ausgestiegen - „aus medizinischen Gründen“, wie der US-Verband offiziell mitteilte. Biles hatte die Halle nach einem verpatzten Abgang beim Sprung und anschließenden Diskussionen mit ihrer Trainerin plötzlich verlassen. Als sie rund zehn Minuten später zurückkehrte, gab das US-Team das vorzeitige Ausscheiden der Rekord-Weltmeisterin bekannt.
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Ob Biles in Tokio überhaupt noch an den Start gehen kann, blieb zunächst offen. Während des Wettbewerbs am Dienstagabend im Ariake Gymnastics Center wurde sie immer wieder von ihrer Trainerin in den Arm genommen. Auch ihre Teamkolleginnen streichelten ihr die Wange.
Biles' nächster Auftritt ist eigentlich beim Mehrkampf-Finale am Donnerstag (12.50 Uhr/MESZ) geplant. Sie steht aber auch in allen vier Gerätefinals, die zwischen dem 1. und 3. August ausgetragen werden. Zunächst aber, teilte die US-Mannschaftsleitung mit, werde der Mittwoch einer „mentalen Ruhepause“ der Athletinnen dienen.
Biles, die schon in der Qualifikation für sie ungewöhnliche Wackler gezeigt hatte, ist in Tokio einem enormen Druck ausgesetzt, die Last auf den Schultern der 24-Jährigen ist riesig. In der Heimat wird dieser Tage nicht weniger als die Wiederholung ihrer vier Rio-Goldmedaillen von Biles erwartet.
Simone Biles: "Olympia ist kein Spaß"
„Im Moment habe ich wirklich das Gefühl, dass ich das Gewicht der ganzen Welt auf den Schultern trage“, offenbarte Biles nach der Qualifikation via Facebook, nachdem eine unsaubere Landung am Boden und ein verstolperter Abgang vom Schwebebalken für Diskussionen nicht nur in den turnverrückten USA gesorgt hatten.
Diese enorme Erwartungshaltung formulierte Teamkoordinator Tom Forster unmissverständlich: „Die Vorrunde war ein Weckruf, wir müssen daraus lernen. Wir müssen uns dringend darauf konzentrieren, die Fehler zu beheben.“ Zwar waren auch Biles' Teamkolleginnen nicht ohne Patzer geblieben, doch Adressatin der Kritik war zweifellos in erster Linie die 1,42 m kleine Ausnahmeathletin.
Genau so jedenfalls kamen diese Vorhaltungen auch bei ihr an: „Ich weiß, dass ich den Druck beiseite schieben kann, und dann sieht es so aus, als ob ich ihn nicht mehr spüre. Aber manchmal ist das verdammt hart. Olympia ist kein Spaß.“