Tokio/Essen. Die Duisburger Hockey-Spielerin Pia Maertens geht in Tokio auf Medaillen-Jagd. Sie will es ihrer erfolgreichen Mutter gleichtun.
Bei dem ganz in blau gehaltenen Oi Hockey Stadium werden Deutschlands Spielerinnen schnell grün vor Neid. Die Arena, trotz der Nähe zu Tokios Containerhafen von einem Park umgeben, ist Olympischen Spielen würdig; wenn es mit Zuschauern gefüllt wäre, gäbe es nicht allzu viele Vergleichsmöglichkeiten in der sonst doch eher recht kleinen Hockeywelt.
Am 6. August wird in diesem Stadion das Damenfinale ausgetragen. Für eine Vertreterin der medaillenträchtigsten Mannschaftssportart in Deutschland ist es kein überzogener Wunsch, an jenem Freitag im Oi Hockey Stadium aufzulaufen. Pia Maertens hat den Traum von einer Medaille, „das ist unser Ziel und unser Anspruch“. Ob’s die goldene wird – wer weiß? Es gibt nur ein Szenario, bei dem die 22-Jährige, die beim Club Raffelberg in Duisburg zur Nationalspielerin reifte und seit zwei Jahren beim Bundesligisten Rot-Weiss Köln spielt, nicht das letzte Spiel des Turniers gewinnen sollte.
„Sie darf jede Medaille mitbringen und besser sein als ich“, sagt Susi Wollschläger, die 1992 in Barcelona mit den deutschen Damen erst im Finale den Gastgeberinnen mit 0:1 unterlegen war. „Aber nicht als Torwart.“ Es sei erwähnt, dass die Mutter ihrer Tochter dies mit einem herzlichen Lachen auf den Weg gab. „Natürlich würde ich doch auf die eine Glanzparade hoffen, die ihr das Gold bringt“, sagt die 56-Jährige.
Pia Maertens wurde bei der EM als beste Nachwuchsspielerin ausgezeichnet
Genau dieses Szenario ist allerdings eher unwahrscheinlich. Anders als die Mama ist Pia Maertens nicht fürs Toreverhindern, sondern fürs Toreschießen verantwortlich. Sie ist Stürmerin, Vize-Europameisterin und vor zwei Jahren bei der EM als beste Nachwuchsspielerin ausgezeichnet worden. Die klobige Torhüterkluft, in die Susi Wollschläger bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul, 1992 in Barcelona und 1996 in Atlanta schlüpfte, probierte Pia Maertens nur vor dem Abflug nach Japan mal in einem Training an. „Bei Olympia ist keine zweite Torhüterin auf der Bank. Aber es kann ja sein, dass die eine sich verletzt“, erklärt sie. „Da wurde dann eine ausgeguckt, die ins Tor gehen müsste. Unser Trainer ist wohl davon ausgegangen, dass ich auch ein bisschen von dem Torwart-Gen abbekommen habe.“
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Mit der Vererbung ist das ja so eine Sache im Hockey. Den wissenschaftlichen Beleg dafür, dass das Talent im Stammbaum weitergereicht wird, sind Experten noch schuldig. Und doch ist es sehr auffällig, dass sich Medaillenanhäufungen bei Familien ergeben. Pia Maertens, für die das Olympia-Turnier am Sonntag gegen Indien beginnt, spielt in Tokio mit Selin Oruz und Sissy Hauke zusammen, deren Brüder Timur und Tobias ebenfalls derzeit im Olympischen Dorf weilen. 2008 und 2012 waren die Brüderpaare Weß (Timo und Benjamin) aus Moers und Zeller (Philipp und Christopher) aus München maßgeblich am Doppel-Gold beteiligt. Unschlagbar in dieser Hinsicht ist die Berliner Keller-Dynastie mit viermal Gold zwischen 1972 und 2014.
Medaillen gehören im Hockey beinahe zur Familienehre. Was zum Teil dadurch erklärt wird, dass es in Deutschland nur rund 80.000 Aktive gibt. Spielen die Eltern, gehen die Kinder auch beinahe automatisch in den Verein. Pia und ihre zwei Jahre ältere Schwester Anneke machten es den Eltern Susi Wollschläger und Dirk Maertens nach. „Ich habe mein Leben im Raffelberg verbracht“, erklärt Pia die Bedeutung des Hockeys für sich, „ich war mit meinen Freunden und der Familie zusammen, wir hatten Spaß und Erfolg.“
Susi Wollschläger trainierte dabei jahrelang ihrer Tochter. „Natürlich gab es mal Streitigkeiten“, sagt Pia, die nach den Tokio-Spielen ihren Masters als angehende Grundschullehrerin in Angriff nehmen wird, „wir konnten das aber genießen.“ Die Unterstützung ihrer Mutter hat jedenfalls nie geschadet. „Die Erwartungshaltung war insgeheim vielleicht etwas größer, weil ich immer ihr Potenzial gesehen habe“, schildert Susi Wollschläger das Verhältnis im Training. „Ich habe meinen Töchtern gegenüber aber immer klar kommuniziert: Wenn ihr mich nicht mehr als Trainerin haben wollt, dann geht eure Zeit vor, dann machen wir das anders.“
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Hockey-Damen: Niederlande sind der große Favorit
Pia Maertens‘ Zeit in der Nationalmannschaft beginnt jetzt so richtig. Die Erfolge der Mutter waren für die Entwicklung nicht maßgeblich: „Sie hat nie damit geprahlt oder mich unter Druck gesetzt. Ich hatte immer meine Freiräume.“ Nun ist sie in Tokio, Nachbar Niederlande sind der große Favorit und Konkurrent der deutschen Damen. Susi Wollschläger hat ihre Tochter bestmöglich auf die Olympia-Premiere vorbereitet. Ein letzter Ratschlag war, sich auf den Sport zu konzentrieren: „Alles an Olympischen Spielen ist cool, sie soll alles aufsagen. Aber wenn du Hockey spielst, geht es schon darum, Medaillen zu gewinnen.“ Bei ihrer Premiere in Seoul „hatten wir ein Team, in dem es mehr darum ging, ein Foto von sich mit Boris Becker zu bekommen.“
Pia Maertens hat ihr ersehntes Erinnerungsfoto mit dem griechischen Tennis-Star Stefanos Tsitispas bereits gemacht. Jetzt gilt alles der Mission Olympia-Medaille – ob mit ihr als Stürmerin oder notfalls als Torhüterin.