Tokio. Kein Glanz, kein Glamour. Unspektakulär begannen in Tokio mit einjähriger Verspätung die wohl außergewöhnlichsten Olympischen Spiele.
Eröffnungsfeiern im Zeichen der fünf Ringe sind für gewöhnlich ein Hochfest des nationalen Pathos. Man braucht sich keiner übertriebenen Selbstdarstellung zu schämen. Bombast und Kitsch? Es gibt nicht genug davon. Wem bisher nicht geläufig war, welch vornehme Zurückhaltung Japan auszeichnet, ist nun geholfen. Tokio feierte eine knapp vierstündige Zeremonie mit Dezenz und Stil, mit der die Spiele der XXXII. Olympiade um 364 Tage verspätet und ohne den Beifall Tausender Zuschauer freigegeben wurden.
Einzelne Proteste vor dem Nationalstadion in Tokio
Es war, begleitet von einzelnen Protesten außerhalb des Tokioter Nationalstadions, der gebührende Respekt vor der Beklemmung durch die Pandemie. Wäre dem nicht so, man könnte glatt annehmen, die olympische Welt befinde sich in einem Wandel. Doch das ist sie nicht.
Pomp und Protz werden zurückkehren, wenn das Corona-Virus erst mal gewichen ist. Bollernde Musik, spektakuläre Feuerwerke werden wiederkommen – der Glanz in den Augen der Athletinnen und Athleten ist zum Glück geblieben. Olympia ist und bleibt das größte Friedensspektakel der Welt, auch wenn es in den nun folgenden zweieinhalb Wochen vor allem um den Wettkampf der Nationen geht, deren Ehrgeiz dem Medaillenspiegel gilt.
„Heute ist ein Tag der Hoffnung“, sagte der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach, „ja, es ist ganz anders, als wir es uns vorgestellt haben. Aber lasst uns diesen Moment wertschätzen, weil wir endlich alle zusammen hier sind.“
„Moving forward“ – vorwärts gehen. Das Credo der Olympischen und Paralympischen Spiele ist angelehnt an das Motto „Schneller, höher, stärker“. Es muss immer weitergehen. Das gilt vor allem für die Tokio-Spiele. Noch ist unklar, wie das Riesensportfest mit 339 Entscheidungen die steigenden Inzidenzzahlen verkraften wird. Am Tag der Eröffnung wurde in Person von Radfahrer Simon Geschke erstmals ein deutscher Athlet positiv getestet.
Laura Ludwig und Patrick Hausding führen Team D an
Deswegen besuchten aus den 205 vertretenen Nationen auch weniger Sportler als gewöhnlich die Zeremonie. Nur 6000 der 11.000, gut 100 aus Deutschland. Ehe sie zügig die Arena verließen, drückte viele die schwüle Hitze in eine Sitzposition auf dem Boden des Stadions.
Beachvolleyballerin Laura Ludwig und Wasserspringer Patrick Hausding führten das schwarz-rot-goldene Team D ins Rund, aus dem unter normalen Umständen 68.000 Besucher ein Tollhaus gemacht hätten. Skurril, wie die Einmarschierenden trotz der gefühlten Leere um sie herum die Handys zückten. Es fehlten winkende und fähnchenschwenkende Zuschauer, mit dabei waren doch nur 900 VIPs, doppelt so viele Journalisten und eine Schar an Volunteers.
Für gewöhnlich ist die sündenhaft teure Eröffnung das liebste Propagandamittel des IOC: Seht her, wir sind alle vereint. Fahnenträger und sonstige Sportler von allen Kontinenten erfahren die gleiche Ehrerbietung. In Tokio gilt dies für Stars wie Jamaikas Sprinterin Shelly-Ann Fraser-Pryce und Südafrikas Schwimm-Star Chad Le Clos wie für Taciana Cesar, Judoka aus Guinea-Bissau, oder Sulemanu Tetteh, Boxer aus Ghana.
Ein Flüchtlingsteam und Russlands neue Flagge
Die Welt vereint, symbolisiert auch durch das Flüchtlingsteam, das die in Hamburg trainierende syrische Schwimmerin Yusra Mardini anführte. Olympia wirft alle vier Jahre auch Schlaglichter auf Länder wie St. Vincent und die Grenadinen oder Kiribati. Und allmählich verankert sich auch Russlands neue Sportflagge in den Köpfen der Zuschauer: Ob unter dem Banner des IOC aber wirklich sämtliche Staatsgedopte Putins aussortiert wurden?
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Die Atmosphäre bei olympischen Auftaktshows stellt häufig ein Abbild der Weltlage dar. Nach den Terroranschlägen auf die USA am 11. September 2001 lagen ein paar Monate später Scharfschützen auf dem Dach des Stadions von Salt Lake City. Lug und Betrug überschatteten die Dopingspiele von Sotschi 2014 – wenige Tage nach deren Ende marschierte Russland auf der Krim ein.
Ungewissheit, was Corona aus den Spielen macht
2018 überraschten Doppelgänger der Staatschef-Selbstdarsteller Donald Trump und Kim Jong-un die Stadionbesucher in Pyeongchang – ihre Originale hatten sich Wochen zuvor noch mit Atomraketen bedroht. Dass nun in Tokio wenige Raketen in den Himmel stiegen, zarte japanische Klänge die kulturelle Aufarbeitung der traditionellen Volksfeste Matsuri begleiteten, es erst im zweiten Teil poppiger, lauter wurde, zeugte von Harmonie und Demut gegenüber der Ungewissheit, was Corona mit diesen Sommerspielen noch machen wird.
Japans Kaiser Naruhito erklärte die Spiele um 23.13 Uhr Ortszeit offiziell für eröffnet. Das Olympische Feuer brennt, entzündet durch Tennis-Star Naomi Osaka. Die Fahne weht mithilfe von Ventilatoren. Der Eid ist gesprochen und auch schon gebrochen: Zwei Leichtathleten aus der Schweiz und Südafrika wurden wegen Dopings kurz von den Spielen ausgeschlossen. Was hoffentlich in den nächsten 16 Tagen bleibt, sind das Lachen, die Fröhlichkeit und die Träume. Es wäre gut, wenn nicht allzu sehr um anderes als Siege und Niederlagen ginge.