Florenz. Italien tankt in Florenz Kraft fürs Finale gegen England. Das Hauptquartier ist so perfekt zusammengestellt wie die Mannschaft selbst.
Wenn die italienische Nationalmannschaft zu großen Turniere traditionell ihr „Casa Azzurri“, ihr blaues Haus, einrichtet, ist guter Geschmack garantiert. Das Medienzentrum in Coverciano in Florenz, am Sitz des Italienischen Fußball-Verbandes (FIGC), bildet in Pandemie-Zeiten keine Ausnahme. Holzvertäfeltes Podium mit dem Verbandswappen vorne, leuchtendes Mannschaftsfoto dahinter. Die Farbkomposition zwischen der Bekleidung der Protagonisten, den Symbolen der Werbepartner bis hin zu den Wasserflaschen auf dem Tisch kommen auch bei digitalen Pressekonferenzen so gut abgestimmt rüber wie die Squadra Azzurra bei dieser Europameisterschaft: perfekte Komposition, gelungene Symbiose.
Ganz bewusst hatte der italienische Tross nach dem erst im Elfmeterschießen überstandenen Kraftakt im Halbfinale gegen Spanien wieder den Rückflug angetreten, um vor dem Finale gegen England (Sonntag 21 Uhr/ZDF) an bekannter Stelle die Akkus aufzuladen. Florenz statt London. Ist schöner. Aber nicht zwangsläufig sicherer. Wegen dreier Corona-Fälle von italienischen Fernsehjournalisten wurden am Freitag kurzerhand die Türen komplett geschlossen. Keine Präsenz der Presse. Leonardo Bonucci kam mit seiner digital überbrachten Botschaft dennoch an: „Es wird von beiden Seiten das beste Spektakel für den europäischen Fußball. Wir wollen in Wembley was Historisches erreichen.“ Den 34-Jährigen, seit 2010 in 108 Länderspielen für die Squadra im Einsatz, wollte in London eine Ordnerin nach dem Jubel nicht mehr auf den heiligen Rasen lassen, aber keine Sorge: Der Haudegen mit der lichten Haarplatte nimmt es niemandem übel.
Bonucci fürchtet nicht die jungen englischen Stürmer
Ohnehin fürchtet sich der Verteidiger, der zusammen mit Giorgio Chiellini, 36, noch die Brücke in die Vergangenheit schlägt, vor nichts und niemand. Dass die Engländer schnelle, junge Stürmer haben? „Dann müssen die Veteranen eben die Youngsters aufhalten“, witzelte er. Und schlussendlich gebe es ja noch Torwart Gianluigi Donnarumma, 22, der in keinem Länderspiel mehr als zwei Gegentore kassierte. 33 Partien in Folge sind die Italiener überdies ungeschlagen, die von 1000 streng getesteten Tifosi und einigen Tausend im Vereinigten Königreich lebenden Landsleuten unterstützt werden, aber die Mehrzahl der fast 65.000 zugelassenen Zuschauer werden in der Fußball-Kathedrale Wembley für den Gastgeber brüllen und singen. Doch die Gäste wollen darin erst gar keinen Nachteil erkennen. Im Gegenteil. „Football’s Coming Rome“, heißt es in Anspielung auf die mittlerweile vielleicht schon überstrapazierte Kulthymne Englands.
Und was wäre das für ein Coup: Drei Jahre nach einer verpassten WM in Russland jetzt beim paneuropäischen EM-Projekt angefangen vom Eröffnungsspiel in Rom mit diesem Pokal von der Insel kommen. So wie die Italiener nicht niederknien, wollen sie nicht die Engländer reizen. Keine Silbe der Respektlosigkeit, kein Anflug von Geringschätzung – offenbar hat das Maestro Roberto Mancini sich so gewünscht. „Wir können etwas Unglaubliches schaffen, aber wir haben noch nichts erreicht. Spanien hat uns vor große Probleme gestellt, das wird auch England tun“, betont Italiens Nationaltrainer.
Torwart-Legende Dino Zoff sagte jetzt über den 56-Jährigen: „Mancini hat ein offensives Spiel aufgebaut, Italien ist längst nicht mehr nur Catenaccio. Für die Azzurri kann jetzt eine erfolgreiche Ära beginnen.“ Die Lobeshymnen regnen nur herab, weil er einen italienischen Garten zum Blühen gebracht hat, der einen ganzen Sommer auf Erfrischung wartete. Das Gerüst stammt aus der Provinz, die meisten haben sich nach oben kämpfen müssen – und wer nicht Bonucci oder Chiellini heißt, ist auch noch nicht übermäßig dekoriert.
Die Statistik spricht für Italien
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Auch das weckt den Heißhunger auf den zweiten EM-Titel. 1968, Ewigkeiten her, siegte Italien eben dank Zoff im Wiederholungsspiel gegen Jugoslawien in Rom, erlebte dann aber 2012 gegen Spanien in Wien einen Untergang. Bonucci wollte daran nun aber nicht mehr erinnert werden. Gleichwohl spricht die Historie für die Italiener, die alle vier Duelle bei Welt- und Europameisterschaften gegen England gewann.
Am besten in Erinnerung ist das dramatische Elfmeterschießen aus dem EM-Viertelfinale 2012 – damals leistete sich Andrea Pirlo in Kiew lässig den Luxus, einen Elfmeter wie einst Antonin Panenka – 1976 gegen Sepp Maier – zu lupfen. Altmeister Pirlo hat übrigens geraten, sich am besten die Zeit vorher an der Playstation zu vertreiben, um auf andere Gedanken zu kommen.
Doch als Bonucci gefragt wurde, ob er es in der finalen Vorbereitungsphase wie sein ehemaliger Mitspieler halte, musste er herzhaft lachten. „Nein, ich schaue lieber TV-Serien, telefoniere mit meiner Frau oder meinen Kindern. Es geht jetzt um Gelassenheit und Coolness.“ Sie wollen vielleicht sogar so stilvoll reüssieren, wie ihr Casa Azzurri eingerichtet ist.
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