London/Herzogenaurach. Die Rückkehr des Veteranen sollte den EM-Erfolg bringen. Doch mit seinem Fehlschuss gegen England wurde er zum Gesicht des Scheiterns.

Irgendwann am Mittwochmorgen hatte Thomas Müller Sprache und Humor wiedergefunden. Das zumindest berichtete Bundestrainer Joachim Löw. Unmittelbar nach dem Spiel, nach der 0:2 (0:0)-Niederlage im Europameisterschafts-Achtelfinale gegen England, hatte der Trainer den Spieler in Ruhe gelassen, auch während der Rückreise nach Herzogenaurach gab es kein Gespräch.

Das folgte erst am nächsten Morgen. „Er hat die Szene in seiner ureigenen, humorvollen Weise kommentiert“, berichtet Löw. „Er sagte: Trainer, wenn ich die Chance genutzt hätte, hätte das sicher nicht geschadet.“ Und da musste sogar Löw ein wenig lächeln, trotz aller Enttäuschung, die bei allen Beteiligten tief saß.

Eine entscheidende Szene mit Thomas Müller

Und besonders tief bei Thomas Müller. Besagte Szene war nämlich eine der entscheidenden gewesen für das verfrühte Turnier-Aus: Beim Stand von 0:1 erlief Kai Havertz in der 81. Minute einen Fehlpass und schickte Müller mit perfektem Anspiel in Richtung Tor. Der lief nun allein auf England-Torhüter Jordan Pickford zu, es waren quälend lange Sekunden, in denen einem Stürmer viele falsche Gedanken kommen können. Müller hatte eigentlich den richtigen, er visierte die Ecke an, die Pickford preisgab – doch der Ball hoppelte knapp am Pfosten vorbei. Statt des 1:1 fiel wenig später das 0:2, das deutsche Aus war besiegelt – und Radio Müller war erst einmal verstummt.

„Natürlich hätte uns die Szene zurück ins Spiel gebracht“, sagte Löw. Aber er mache „dem Thomas überhaupt keinen Vorwurf, solche Chancen wurden schon häufig vergeben“, beeilte sich der Bundestrainer zu versichern. „Thomas kann auch mit so einer Situation gut umgehen und wird das gut verarbeiten in den nächsten Wochen.“

Thomas Müller wird zur zentralen Figur de Enttäuschung

Es gibt einiges zu verarbeiten, mit nur einem Sieg in vier Spielen endete die EM aus deutscher Sicht enttäuschend. Und Müller war dabei eine zentrale Figur. Dabei sollte seine Rückkehr nach zweieinhalbjähriger Verbannung eigentlich ein zentraler Baustein sein für ein erfolgreiches Turnier. Weil er in der zurückliegenden Saison beim FC Bayern stark wie lange nicht aufgespielt hatte. Und weil er einer jener Führungsspieler ist, von denen die deutsche Mannschaft zu wenige hatte.

Müller sollte eine tragende Rolle spielen, und er nahm diese Rolle gerne an. Vom ersten Trainingstag an gab er Kommandos, trieb er die Mitspieler an und machte er seine Späßchen. „Er ist fast schon unser dritter Co-Trainer“, staunte der junge Kai Havertz.

Eine Erfolgsgeschichte wurde die Rückkehr nicht

Aber: Eine Erfolgsgeschichte wurde die Rückkehr nicht. In München hatte Müller in der Zentrale geglänzt, als kongenialer Partner des Weltklasse-Mittelstürmers Robert Lewandowski. In der deutschen Mannschaft gab es keinen Lewandowski und seine Position gab es auch nicht. Müller lief, er kämpfte, er dirigierte, er leite Angriffe ein und war nach Ballverlusten erster deutscher Abwehrspieler. Aber er kam nur selten in den Strafraum und noch seltener gleichzeitig mit Ball. Auch im dritten EM-Turnier gelang ihm kein Tor.

Stattdessen wurde er zu einem der Gesichter des Scheiterns. Wie er nach seiner vergebenen Großchance auf dem Rasen kniet, die Hände vors Gesicht geschlagen – das ist schon jetzt eines der ikonischen Bilder des Turniers.

Geht es mit Bundestrainer Flick weiter für Thomas Müller?

Müller weiß das. Am Mittwochmorgen veröffentlichte er genau dieses Bild auf Instagram. „Da war er“, schrieb der Angreifer dazu“, dieser eine Moment, der dir am Ende in Erinnerung bleibt, der dich nachts um den Schlaf bringt.“ Diese Chance zu bekommen und zu vergeben, das schmerzte auch am Tag danach.

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Schwer vorstellbar, dass Müller das so stehenlassen will – obwohl er nach eigener Aussage noch nicht entschieden hat, ob es weitergeht im DFB-Dress. Zum neuen Trainer Hansi Flick aber hat er eine besondere Beziehung, der verhalf ihm in München zu alter Stärke. Endgültig eingestellt ist der Sendebetrieb bei Radio Müller wohl noch nicht.