Herzogenaurach. Im EM-Halbfinale 1996 war Kuntz einer der Schlüsselspieler im DFB-Trikot. Wembley ist für den U21-Nationaltrainer noch immer besonders.

Das Glitzern in Stefan Kuntz‘ Augen ist sogar durch die wackelige Zoom-Schalte zu erkennen. Als Deutschlands U-21-Nationaltrainer das Wort Wembley hört, ist es um ihn geschehen. „Seit ich ein kleiner Junge war, war der Tempel des Fußballs für mich das Wembley-Stadion“, sagt Kuntz, der dort am Samstag vor 25 Jahren bei der Europameisterschaft 1996 im Halbfinale gegen England in der regulären Spielzeit zum 1:1 und später im Elfmeterschießen zum 6:6 getroffen hatte. Der Rest der Geschichte in Kurzform: Gareth Southgate verschoss direkt danach, Andreas Möller traf zum 7:6 – und dann gab es nur noch deutschen Jubel.

Doch Stefan Kuntz ist kein Mann für die Kurzform. Der 58-Jährige, der am Dienstag als ARD-Experte bei der Neuauflage des Halbfinales von 1996 im Einsatz sein wird, kann sich noch an jedes Detail rund um die Partie erinnern. „Bei mir zu Hause wurde immer vom Wembley-Rasen gesprochen, vom Wembley-Stadion, von der Wembley-Stimmung“, sagt der gebürtige Saarländer. „Als wir dann aber beim Abschlusstraining dahin kamen, und ich betrat die Kabine, da war ich total enttäuscht. Es war einfach ein sehr altes Stadion. Es gab auch kein Entmüdungsbecken, sondern so alte Badewannen mit Füßen.“

EM 1996 im Wembley: Gänsehaut schon beim Warmmachen

Doch die Enttäuschung sollte sich am Tag darauf in Verzückung verwandeln. „Als wir zum Spiel einliefen, war alles anders. Wir mussten diesen leichten Berg hoch, bevor es ins Rund reinging. Als uns die ersten Zuschauer sahen, kam diese einzigartige Wembley-Stimmung auf. Ich habe mich in meinem ganzen Leben weder davor noch danach 30 Minuten lang mit so einer Gänsehaut warmgemacht. Da wusste ich, was Wembley heißt.“ Kuntz streicht sich über die Arme und seine Gänsehaut. „Ein Wahnsinns-Erlebnis.“

Schauplatz Wembley: Stefan Kuntz (rechts) trifft im EM-Halbfinale gegen England.
Schauplatz Wembley: Stefan Kuntz (rechts) trifft im EM-Halbfinale gegen England. © Imago

Und Kuntz ist nicht der einzige. Wembley und die deutsche Nationalmannschaft – das war und ist immer eine ganz besondere Beziehung. 13-Mal spielten die Deutschen in der „Kathedrale des Fußballs“ (O-Ton Pelé). Das erste Duell gewannen die „Three Lions“ am 1. Dezember 1954 mit 3:1. Das legendärste Spiel war sicherlich das verlorene WM-Finale von 1966 mit dem sogenannten Wembley-Tor . Didi Hamann erzielte 2000 im letzten Spiel im alten Wembley das letzte Tor. Und dann natürlich das erfolgreiche EM-Finale 1996 gegen Tschechien und das Kuntz-Stück im Halbfinale zuvor. „Das Tor war für mich fast wie eine Genugtuung“, sagt Kuntz heute. „Im Wembley, im Tempel meiner Jugend, dann noch gegen England, und dann gelingt mir dieses Tor. Mit aller Demut war ich einfach stolz auf mich.“ Den Treffer hat der damalige Angreifer von Beşiktaş Istanbul sicher 100-mal gesehen. Steilpass Andi Möller, Querpass Thomas Helmer, Tor Stefan Kuntz. „Es war ein typisches Stürmertor“, sagt der ehemalige Goalgetter.

Kuntz erinnert sich an legendäres Elfmeterschießen im EM-Halbfinale von 1996

Seine genauste Erinnerung hat er aber vom Elfmeterschießen. „Da hatte ich mich eigentlich verzockt. Die Engländer können ja nicht so gut Elfmeter schießen, also habe ich mich mit meiner großen Klappe als fünfter Schütze freiwillig gemeldet“, sagt Kuntz. „Ich dachte, dass ich schlau bin, weil die Engländer sicher niemals bis zum fünften Elfmeter kommen. Als dann aber der fünfte Engländer verwandelt hat und ich die 30 Meter von der Mittellinie zum Elfmeterpunkt laufen musste, da gibt es verschiedene Möglichkeiten, das auszudrücken. Im Saarland sagen wir: Da geht mir die Klammer.“ Stefan Kuntz bekam Bammel.

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„Ich habe mir dann vorgestellt, wie meine Kinder im Schulbus am nächsten Tag ausgelacht werden, weil ihr blöder Vater Deutschland im Halbfinale rausgeschossen hat. Und dann habe ich versucht, diese Wut auf das blöde, bunte Trikot von Englands Torhüter David Seaman zu personifizieren.“ Kuntz läuft an – und trifft oben rechts. „Wer sich diesen Elfmeter heute noch mal anschaut, der sieht, dass ich danach immer noch voller Zorn war. Ich konnte zunächst gar nicht jubeln.“

„Echt froh, als es vorbei war“

Gefeiert wurde noch. Auch vier Tage später, wieder im Wembley, nach Oliver Bierhoffs Golden Goal gegen Tschechien. Der Erste, der wenige Meter von Bierhoff entfernt die Arme hochriss, war Stefan Kuntz. „Ich war echt froh, als es vorbei war“, sagt er. Seine Hoffnung für Dienstag? Lasst diese EM für Deutschland bloß noch nicht vorbei sein.