Essen. München will am Mittwoch beim deutschen Spiel ein Zeichen für Vielfalt setzen. Der homosexuelle Ex-Fußballer Marcus Urban lobt die Aktion.

Schon ein kleines Stück Stoff kann bei der EM 2021 den Pulsschlag beschleunigen. Als der Deutsche Fußball-Bund am Sonntag bestätigte, dass die Europäische Fußball-Union die Regenbogen-Kapitänsbinde von Manuel Neuer überprüfe, formierte sich ein breiter Protest in den Sozialen Medien. Der jedoch schnell abkühlte. Weil die Uefa das Zeichen gegen Homophobie als guten Zweck, „good cause“, bewertete.

Der Oberarm von Nationaltorhüter Neuer wird daher am Mittwoch gegen Ungarn (21 Uhr/ZDF) weiterhin bunt leuchten. Ob auch die Münchener Arena in Regenbogenfarben strahlen wird, erscheint sehr fraglich.

Marcus Urban lobt das Regenbogen-Statement in München bei der EM 2021

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Er halte dies für ein sehr wichtiges Zeichen, erklärt Marcus Urban, der sich 2007 als erster deutscher Fußballer geoutet hat und in dem Buch „Versteckspieler“ seine Leidensgeschichte erzählt. „Als die EM 1988 in Deutschland stattfand, war ich gerade Jugendnationalspieler und habe meine Homosexualität verstecken müssen. Die Auswirkungen waren Depressionen und Burn-Out. Es ging ums Überleben“, sagt der 50-Jährige. „Es hätte Einfluss auf mich gehabt, wenn sich beim Fußball für Vielfalt und Liebe eingesetzt worden wäre.“

Ungarn bietet sich der Uefa immer wieder als Ersatzspiel-Ort an

So wie es nun die Stadt München plant. Sie will ein Zeichen gegen die ihrer Meinung nach homo- und transfeindliche Haltung der ungarischen Regierung von Viktor Orban setzen. Die Uefa kann dies als EM-Ausrichter allerdings verhindern.

Bleibt die Uefa aber bei ihrer Richtlinie, dass nur ihre eigenen Farben und die der teilnehmenden Nationen die elf EM-Stadien Stadien illuminieren dürfen, droht das für Mittwoch erwartete Votum gleichwohl negativ auszufallen. DFB-Pressesprecher Jens Grittner brachte ins Spiel, dass man „die Beleuchtung nicht unbedingt am Spieltag Mittwoch festmachen“ müsse.

Die Aufregung um die Binde von Manuel Neuer hat jedoch schon mal einen Vorgeschmack geliefert, wie laut der Widerstand dröhnen würde, sollte die Fußball-Union das Statement verwehren. Andererseits richtet sich der Protest der Stadt München gegen jenen Machthaber, mit dem die Uefa während der Corona-Krise eng zusammenarbeitet.

Viktor Orban hat sein Land wiederholt als Ersatz-Spielort im Europapokal angeboten, wenn die Infektionszahlen in anderen Ländern verschreckten. Vier EM-Partien finden in Budapest statt, vor vollen Rängen. Und immer noch schwebt das Szenario umher, dass London die Finalspiele aufgrund der durch die Delta-Variante nötig geworden Quarantänemaßnahmen kurzfristig entzogen werden. Sie sollen dann wohl nach Ungarn verlegt werden.

München bei der EM 2021: Regenbogen-Botschaft mit anderer Dimension

Es wird sich daher zeigen, ob die Uefa tatsächlich bereit ist, einen so engen Partner zu verärgern. Zumal der Regenbogen-Protest an der Arena eine andere Dimension hätte als die vielen Zeichen für Gleichberechtigung, die die Fußball-Profis zuletzt sendeten. Etwa das Niederknien der Engländer. Oder eben die Kapitänsbinde von Manuel Neuer.

All diese Aktionen richten sich nicht gegen einen speziellen Adressaten, sondern setzen sich allgemein für Vielfältigkeit ein. Grundsätzlich handelt die Uefa bei Botschaften abseits des Sportlichen sehr strikt. Sie unterteilt sie in „good cause“ und „bad cause“ – was ihr nicht passt, wird untersagt. Und das Münchener Stadion soll nur gegen Ungarn bunt strahlen – als Statement gegen Orban. Die Stadt München hat ihre Forderung nach einer in sechs Farben erleuchteten Arena am Montag offiziell formuliert.

Hintergrund für den Protest bei der EM 2021: Ein neues Gesetz in Ungarn

Hintergrund der Botschaft ist ein Gesetz, das die Informationsrechte von Jugendlichen im Hinblick auf Homosexualität und Transsexualität einschränkt und das am vergangenen Dienstag vom ungarischen Parlament gebilligt wurde. Es setzt eine implizite Verbindung zwischen Homosexualität und Pädophilie.

Marcus Urban litt darunter, sich als schwuler Fußballer zu verstecken.
Marcus Urban litt darunter, sich als schwuler Fußballer zu verstecken.

Für Marcus Urban bedeutet das Regenbogen-Stadion allerdings nicht nur Protest gegen Ungarn, „sondern auch ein Statement für unsere Idee von einem freien Leben“. Wenn die Uefa dies verbieten würde, würde ihn das „sehr traurig stimmen“. Urban wuchs in der DDR auf und stand kurz davor, im Profi-Fußball Geld zu verdienen. Doch der Druck, sich als Homosexueller verstecken zu müssen, verhinderte seine Karriere.

Der Fußball tue sich weiterhin schwer mit sexueller Vielfalt, erklärt Urban, „aber es hat sich einiges zum Besseren verändert“. Die neue Generation versuche, etwas zu bewegen. Er glaube, dass bald auch Spielermänner neben den Frauen auf der Tribüne sitzen werden. Denn: „Die Tendenz geht zur Wahrheit. Und die Wahrheit ist, dass die Normalität vielfältig ist.“