Berlin. Deutschlands Handballer sind für Olympia qualifiziert und Uwe Gensheimer stand phasenweise in der Kritik – doch die ist überzogen.

Er stand da mit einem Lächeln auf dem Gesicht und blickte auf das überdimensionierte blaue Plastikschild. „Ticket to Tokyo“ stand darauf, es war das Ziel der Begierde und das Symbol des Erfolgs von Deutschlands Handballern. Sie hatten es geschafft, sie hatten sich beim Qualifikationsturnier in Berlin eines der zwei Tickets für die Olympischen Spiele ab 23. Juli gesichert. Uwe Gensheimer lächelte also, er war erleichtert. „Es war unser Ziel, es zum größten Sportereignis der Welt zu schaffen“, bekräftigte der 34-Jährige, als das Schild gerade wieder vom Feld getragen wurde.

Hinter den deutschen Handballern lagen drei intensive Tage, die mit dem etwas glücklichen 25:25 gegen Vize-Weltmeister Schweden begonnen hatten, mit der 36:27-Galavorstellung gegen Slowenien weitergingen und mit dem 34:26-Arbeitssieg gegen Algerien endeten.

"Alter, schon wieder!“

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Es waren Mutmacher für die Sommerspiele, aber für Mannschaftskapitän Gensheimer waren diese Partien auch ein Wechselbad der Gefühle. Gegen Schweden verbrachte er die wichtige Schlussphase auf der Bank, gegen Slowenien kam er erst gegen Spielende zum Einsatz und gegen Algerien vergab er wieder mehrere Chancen. Der Profi der Rhein-Neckar Löwen stand erneut im Mittelpunkt, wie so oft in den vergangenen Monaten bei Auftritten der Nationalmannschaft. Wenn über Uwe Gensheimer geredet wird, dann häufig mit kritischem Unterton. Der Blick von außen suggeriert: Gensheimer ist ein umstrittener Kapitän.

Mit kollektivem Kopfschütteln quittieren seine Teamkollegen derartige Aussagen, aber von der Hand zu weisen ist nicht, dass Gensheimer im Fokus der Kritik steht, wenn es nicht so gut läuft. „Wenn Marcel Schiller verwirft, ist das kein Problem. Verwirft Uwe, ist die kollektive Reaktion: ,Alter, schon wieder!“, sagt einer, der sich auf Gensheimers Position auskennt und die Kritik am Teamkapitän völlig überzogen findet: Stefan Kretzschmar. Der steht seit 2007 nicht mehr auf der Platte, trotzdem ist der 48-Jährige noch immer Deutschlands bekanntester Linksaußen. In seinem Social-Media-Format „Kretzsche-Talk“ sprach er nach der gelungenen Qualifikation auch über seinem Nachfolger. „Jeder wartet darauf, dass er wieder verwirft. Mit all der Kritik setzt du dich dann selbst unter Druck und bekommst ein Zitterhändchen, das du sonst nicht hast.“

Schiller tritt auch bei den Siebenmetern an

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Zumal dies besonders auffällt, wenn da einer ist, der gerade einen Lauf hat. Wie Marcel Schiller. Gegen Schweden erzielte der Linksaußen des Bundesligisten Frisch-Auf Göppingen in den letzten Sekunden den für den Olympiatraum so wichtigen Ausgleichstreffer. Auch bei Siebenmetern tritt nun vermehrt Schiller statt Gensheimer an. War er schon bei der WM im Januar eine Alternative für den schwächelnden Kapitän, ist er nun einer der größten Gewinner der Olympia-Qualifikation und dürfte weiterhin einen Stammplatz beanspruchen. „Für mich ist das einfach nur ein Handballspiel“, sagt Schiller. Der 29-Jährige macht sich keinen Kopf – und genau das macht den Unterschied zum zuletzt verkrampft wirkenden Gensheimer.

Zunehmend genervt reagiert auch die Spitze des Deutschen Handballbunds auf die bohrenden Fragen nach einem Stammplatzverlust von Gensheimer und einem möglichen Wechsel der Kapitänsbinde. Bundestrainer Alfred Gislason gibt sich diplomatisch. „Die beiden teilen sich die Position“, sagt der Isländer. Er sei froh, „zwei starke Außen“ zu haben. Dass er weiter auf seinen Kapitän setzt, demonstrierte der 61-Jährige im finalen Spiel gegen Algerien, als er Gensheimer wieder spielen ließ und der mit fünf Toren zweitbester Werfer war.

Deutschlands Vorzeige-Handballer

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2005 gab Gensheimer sein Debüt im Nationalteam, 945 Tore hat er seitdem in 196 Spielen erzielt, seit 2014 ist er Kapitän. Gensheimer war lange der deutsche Vorzeigestar. Viermal Handballer des Jahres, dreimal Torschützenkönig der Champions League, 2016 wechselte er zum Superklub Paris St. Germain. Er war zu jener Zeit der beste Linksaußen der Welt, wurde als solcher immer wieder mit Hoffnungen beladen. Und nun? Uwe Gensheimer ist mittlerweile 34 Jahre alt, er ist noch immer ein sehr guter Linksaußen, er ist noch immer schnell und wurfstark. Der beste Linksaußen der Welt mit einer Stammplatzgarantie aber ist er nicht mehr. Gensheimer weiß selbst: „Ich bin im Herbst meiner Karriere, und irgendwann ist die zu Ende.“ Beim EM-Triumph 2016 war er verletzt, deshalb bleibt noch diese eine Mission: „Mein großes Ziel bleibt ein Titel mit der Nationalmannschaft.“