Berlin. Die deutschen Handballer spielen ab Freitag um die Olympia-Teilnahme. Nach der verpatzten WM steht Bundestrainer Gislason unter Druck.
Alfred Gislason ist ein Freund des trockenen Humors. „Schön, dass ihr auch wieder da seid“ – so begrüßte der Bundestrainer seine Spieler Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler am Sonntag bei der Ankunft in Berlin. Es war eine Anspielung auf die WM im Januar, auf die seine beiden Abwehrchefs wegen der Corona-Krise verzichtet hatten. Nun ist das Duo wieder dabei, wenn es für die deutschen Handballer ab Freitag um die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio geht (ab 23. Juli). Gislason wirkt wieder etwas entspannter, Gislason kann wieder lockere Sprüche reißen. Mit seinen Leistungsträgern kommen Routine und Selbstbewusstsein zurück. Druck ist trotzdem vorhanden vor diesem dreitägigen Turnier in Berlin, und Gislason ist angespannt. Doch: Der Bundestrainer liebt diese Gefühlslage.
Einige ausgeruht, andere ausgelaugt
Der 61-Jährige hat Druck und Anspannung jahrzehntelang gespürt, der Umgang damit hat ihn zu einem der erfolgreichsten Handballtrainer der Welt werden lassen, dekoriert mit Champions-League- und nationalen Meisterschafts-Titeln. „Druck bin ich gewohnt, ich musste mein ganzes Leben lang damit umgehen. Man wird abhängig davon, man genießt es mit der Zeit“, sagt der Isländer. Doch selbst für ihn ist die Erwartungshaltung nun riesig. Mit Alfred Gislason als Cheftrainer sollte die Handballnation Deutschland bei Turnieren wieder ganz vorne mit dabei sein. Was aber im Januar in Ägypten durch zahlreiche corona- und verletzungsbedingte Spieler-Absagen folgte, war ein WM-Desaster mit Rang zwölf. Nun muss Gislason liefern, in der Max-Schmeling-Halle geht es am Freitag gegen den WM-Zweiten Schweden (15.15 Uhr/ARD), am Samstag gegen Algerien (15.35 Uhr/ZDF) und am Sonntag gegen Slowenien (15.45 Uhr/ZDF). Nur die beiden Erstplatzierten lösen Tokio-Tickets.
Verpasste Olympische Spiele nach der WM-Enttäuschung – es wäre ein weiterer Rückschlag für die öffentliche Wahrnehmung des deutschen Handballs und auch in Sachen Sponsorengewinnung. „Olympia ist das Größte für jeden Sportler, aber man muss es sich verdienen. Das wollen wir zeigen“, sagt Gislason, der Druck und Anspannung längst in Vorfreude umgewandelt hat und Gier auf Erfolg statt Angst vor dem Scheitern zeigt: „Ich zähle seit Wochen die Tage herunter, bis wir wieder loslegen können.“
Losgelegt hat seine Mannschaft mit der Vorbereitung am Wochenende, seit gestern ist sie komplett. Der Bundestrainer muss nun ein feines Händchen in der Trainingssteuerung zeigen. Einige Spieler sind ausgeruht, andere dagegen ausgelaugt. So wie die Profis des THW Kiel, die in den vergangenen sieben Tagen 13 Spiele absolviert haben. Doch gerade bei denen sieht Gislason als langjähriger Kieler Trainer den wenigsten Nachholbedarf – zumindest in der Taktikschulung. „Wir haben schließlich ewig zusammengearbeitet und die Grundlagen jahrelang praktiziert“, sagt Gislason. Es sind eher die bei der WM verletzt ausgefallenen Rückraumspieler Fabian Wiede (Berlin) oder Sebastian Heymann (Göppingen), die dort Nachholbedarf haben.
Deutschland fehlt der Superstar
Auch der Bundestrainer hat bei seinem ersten Turnier dazugelernt. Anders als vor der WM will er sich in der Torwartfrage noch nicht auf ein Ranking festlegen. „Ich möchte nun erst einmal schauen, wie die Lage bei den Torhütern ist. Wir werden dann intensiv besprechen, wer welche Aufgaben hat“, kündigt Gislason an. Wie in Ägypten hat er die Wahl zwischen Andreas Wolff sowie den Routiniers Johannes Bitter und Silvio Heinevetter.
Fest steht aber schon jetzt: Trotz der Wiederkehr der Kieler wird eine Teamleistung gefragt sein. „Die meisten Weltklasseteams haben einen oder zwei Superstars in ihren Reihen, den Deutschen fehlt seit Jahren ein überragender Spieler für die spielentscheidenden Momente“, weiß auch Gislason. Seine Trainingsinhalte sind daher klar: „Es geht in der Vorbereitung nicht nur um die Gegner. Es geht vor allem um uns selbst.“