Sakhir. Nach schweren Unfällen in der Formel 1 ist die Aura an den Rennstrecken verändert - so auch beim zweiten Saisonrennen in Bahrain.

Die Erinnerung an den so glimpflich ausgegangenen Horror-Crash von Romain Grosjean am vergangenen Sonntag ist noch frisch, wenn die Formel 1 an diesem Sonntag zum zweiten Mal in Bahrain fährt. Und das auf einem sogar noch schnelleren Kurs. Um die Sicherheit in den Rennwagen kann es kaum besser bestellt sein, das weiß man jetzt. Aber die Angst fährt mit. Muss mitfahren.

Das vorletzte Rennen der Saison am Sonntag (18.10 Uhr, RTL/Sky) wird daher für alle 20 Piloten zu einem Crashtest für die Seele. Mit dick bandagierten Händen kehrte Haas-Pilot Romain Grosjean, der sich nach 27 Sekunden aus den Flammen befreien konnte, in die Boxengasse zurück – um seinen Lebensrettern zu danken. Ob er zum Saisonabschluss wieder fahren kann, ist fraglich.

Alle anderen müssen, auch der 24 Jahre alte US-Amerikaner Pietro Fittipaldi, der Ersatzmann bei Haas. Die Rennfahrer geben sich nicht unbeeindruckt von den Geschehnissen. Sie sind Realos, sie wissen, was sie tun und was sie riskieren. Dennoch ist die Aura nach schweren Crashs stets verändert. Es ist nicht die Angst, die Rennfahrer begleitet, es ist der Glaube. Der Glaube an die eigene Unverwundbarkeit, der seit Jahrtausenden die Gladiatoren jedweder Couleur unerschrocken ihr Tun ausüben lässt. Das treibt sie auch jetzt wieder an. Neben der sportlichen Frage, wer in Abwesenheit des Weltmeisters Lewis Hamilton (Corona-Quarantäne) die Nase vorn haben wird.

Formel-1-Fahrer auf schmalem Grat zwischen Leben und Tod

Formel-1-Piloten sind Menschen, die ihren Träumen auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod hinterher jagen. Der Schotte Jackie Stewart (81), der viele Freunde und Kollegen verloren hat, war schon in den Siebzigern ein Vorkämpfer für mehr Sicherheit. Sein Leitspruch : „Es darf den Menschen nicht erlaubt sein, von einem Unfall oder dem Tod fasziniert zu sein.“

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Der Heppenheimer Sebastian Vettel hält es daher auch für verwerflich, immer wieder die Bilder von Grosjeans Unfall zu zeigen. Der viermalige Weltmeister muss sie auch für sich ausblenden, wenn er in Bahrain an besagter Stelle vorbeikommt. Das Problem nach Horror-Unfällen ist nicht das Vergessen, sondern das nicht immer daran erinnert zu werden. Noch einmal Altmeister Stewart: „Rennfahrer sind wie Tiere. Wir haben die Fähigkeit, alles andere auszublenden.“

Das Sicherheits-Bewusstsein des Automobilweltverbandes FIA ist enorm. Erst die Summe der vielen über die Jahrzehnte hinweg verbesserten Maßnahmen und verschärften Anforderungen hat Grosjean das Leben gerettet. Trotzdem dürfen solche Wunder nicht als neue Normalität durchgehen.

Fokussierung im Cockpit lässt keine Emotionen zu

Der ehemalige Rennfahrer David Coulthard glaubt, dass der beste Schutz das Gedächtnis eines Goldfischs ist, das die Männer hinter dem Steuer nach Unfällen gern pflegen. Die besten Piloten sind jene, die stark im Kopf sind, sich mit einem Gemüt aus Kohlefaser schützen – und den Rest der fast unzerbrechlichen Sicherheitszelle und dem elefantenstarken Kopfschutz Halo überlassen. Die pure Fokussierung im Cockpit lässt keine Emotionen zu. Nur so konnte Niki Lauda lediglich 42 Tage nach seinem Feuerunfall 1976 auf dem Nürburgring weiterfahren. Nur das lässt Grosjean darauf hoffen, zum Saisonende noch einen Abschieds-Grand-Prix bestreiten zu können.

Der Pole Robert Kubica hat sich 2007 nach seinem Mehrfachsalto in einem BMW-Rennwagen hinterher nicht mal die Videos der spektakulären Szene angeguckt: „Ich war doch ohnehin dabei“, sagte er.

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Ein Jahr später gewann er an gleicher Stelle. Kubica, der es nach einem Rallye-Unfall trotz einer kaum bewegungsfähigen rechten Hand zurück in die Königsklasse geschafft hat, ist ein Meister des Mentaltrainings. Sein Leitsatz: „Wenn mehr Menschen wüssten, was sie wollen, und wenn sie positiv darüber denken würden, könnten sie es auch erreichen.“ Der heutige TV-Kommentator Damon Hill beschreibt es so: „Wer in einem Formel-1-Auto sitzt, muss eiskalt sein. Alle Ablenkungen müssen ausgeblendet werden, es geht nur ums nach vorne denken. Emotionen holen einen erst später ein.“ Die Gladiatoren der Neuzeit sind in einem alle gleich: Angst vor der eigenen Courage zu haben, wäre das Ende ihres Lebens auf der Überholspur.