Sakhir. Grosjean kann nach dem Feuer-Unfall von Bahrain schon Dienstag das Krankenhaus verlassen. Formel 1 schwankt zwischen Vergessen und Verantwortung.

Was im Leben dauert 27 Sekunden? Keine halbe Minute, aber sie kann einem verdammt lange vorkommen. Wer vor einer Kaffeemaschine wartet, weiß das. Diese Zeitspanne, festgeschnallt in einem auseinandergebrochenen, nach einem Aufprall jenseits der 200 km/h zur Seite gekippten Rennwagen, umgeben von einem Flammeninferno – das ist eine Ewigkeit. Es ist die Zeit, die der Formel-1-Rennfahrer Romain Grosjean gebraucht hat, um sich aus dem Horror-Szenario zu befreien und sein Leben zu retten.

Das große Glück im Unglück bewegt die Königsklasse auch am Tag nach dem Großen Preis von Bahrain noch. Es geht ums schnelle Vergessen, ums Verdrängen, aber auch um Verantwortung.

Grosjean darf am Dienstag schon wieder das Krankenhaus verlassen

Romain Grosjean wurde zum Fahrer des Tages gewählt, das war fast schon zynisch. Aber auch ein Zeichen dafür, dass der Motorsport und die Formel 1 insbesondere schnell zu einer neuen Normalität finden will. Der 34-Jährige selbst meldete sich noch nachts mit einem Instagram-Video aus dem Militärkrankenhaus. Er saß dort breit grinsend und witzelte darüber, dass er all die Text-Nachrichten auf seinem Mobiltelefon erstmal nicht beantworten konnte. Seine Hände hingen in Schlaufen, alle Finger waren dick bandagiert. Beim rettenden Sprung über die Leitplanken hatte er sich die Handrücken verbrannt. Der Verdacht auf Brüche hat sich nicht bestätigt. „Einigermaßen okay“ sei er, sagte der Genfer. Bereits am Dienstag darf er das Hospital schon wieder verlassen.

Der Haas-Rennwagen des Formel-1-Piloten Romain Grosjean steht auf der Formel-1-Strecke von Bahrain in Flammen.
Der Haas-Rennwagen des Formel-1-Piloten Romain Grosjean steht auf der Formel-1-Strecke von Bahrain in Flammen. © AFP

Einigermaßen okay – wenn auch zulässig, ist dies eine Untertreibung. Der Mann mit der französischen Rennfahrerlizenz muss sich in Wirklichkeit fühlen wie neu geboren: „Ohne den Halo wäre ich nicht mehr hier. Es ist eine der besten Entwicklungen der Formel 1“, sagte er. Halo, das ist der Bügel über dem Cockpit, übersetzt bedeutet das Wort: Heiligenschein. Grosjean war, wie so viele andere ein Gegner des Kopfschutzes, als dieser 2018 eingeführt wurde. So etwas sei gegen die DNA der offenen Rennwagen. Aber was macht Design aus, wenn es um Menschenleben geht?

Wie die Frau von Romain Grosjean ihren Kindern den schrecklichen Unfall erklärt

Seine Gattin Marion, die früher für das französische Fernsehen von der Formel 1 berichtet hat, sagte: „Es brauchte nicht bloß ein Wunder. Sondern mehrere.“ Sie sprach von einem „Schild der Liebe“, das ihren Mann beschützt habe. Manchmal schlafe sie in einem T-Shirt aus Formel-2-Zeiten, auf dem klein „Romain“ und groß „Champion“ steht. Sie findet, dass das Wort durch „Superheld“ ersetzt werden müsse. So hätte sie die Geschehnisse auch ihren drei kleinen Kindern erklärt. Im Wissen, dass der 34-Jährige, dessen Grand-Prix-Karriere im Dezember zu Ende geht, fast zum Märtyrer geworden wäre.

Haas-Teamchef Günther Steiner, der seinen Piloten noch nachts am Krankenhausbett besuchte, ist eher ein Realo als Esoteriker. Doch auch der Südtiroler befand: „Heute war ein Schutzengel mit uns.“ Einer? Der hätte nicht gereicht.

Fiitpaldi ersetzt Grosjean beim nächsten Grand Prix in Bahrain

Das völlig ausgebrannte Vorderteil von Romain Grosjeans Haas-Rennwagen. Der Pilot konnte zum Glück rechtzeitig entkommen und erlitt nur leichte Brandverletzungen.
Das völlig ausgebrannte Vorderteil von Romain Grosjeans Haas-Rennwagen. Der Pilot konnte zum Glück rechtzeitig entkommen und erlitt nur leichte Brandverletzungen. © AFP

Im Wissen um Grosjeans Charakter vermutet Steiner aber auch, dass der Fahrer unbedingt am kommenden Wochenende schon wieder im Auto sitzen will, wenn wieder in Bahrain, diesmal aber auf einem anderen Streckenlayout, gefahren wird. Doch die Vernunft hat entschieden: Der brasilianische Testfahrer Pietro Fittipaldi (24) wird ihn ersetzen.

Die Sicherheitsexperten des Automobilweltverbandes Fia sind längst mit der Aufarbeitung des dramatischen Unfalls beschäftigt. Wie nach einem Flugzeugabsturz wurde aus dem Autowrack die Blackbox geborgen. Diese wird Aufschlüsse über die enormen Kräfte geben, die auf das dann zerstörte Auto gewirkt haben, über die technische Kettenreaktion und die Wirkung der Schutzmaßnahmen. Falls nötig, werden sie eine Verschärfung für die Zukunft empfehlen.

Es gibt drängende Fragen, obwohl alle Sicherheitsmaßnahmen perfekt ineinander gegriffen haben: Wieso konnte das Auto nach dem Aufprall überhaupt durch die Leitplanken hindurchschießen? Standen sie im richtigen Winkel? Wieso waren dort nicht andere, abpuffernde Barrieren? Auf welche Weise hat sich das Feuer überhaupt so schnell und heftig entzünden können?

Sicherheitsbügel Halo erweist sich als Lebensretter in der Formel 1

Diese Grafik zeigt den Sicherheitsbügel Halo in einem Wagen der Formel 1 und die Sicht des Piloten aus dem Cockpit. Romain Grosjean profitierte bei seinem Unfall in Bahrain von diesem System.
Diese Grafik zeigt den Sicherheitsbügel Halo in einem Wagen der Formel 1 und die Sicht des Piloten aus dem Cockpit. Romain Grosjean profitierte bei seinem Unfall in Bahrain von diesem System. © DPA

Beflügelt wird die Forschung auch von einer Nachricht der Mutter von Jules Bianchi, dass der Tod ihres Sohnes nun nicht umsonst gewesen sei. Der Franzose war vor sechs Jahren in Japan mit seinem Auto unter einen Bergungskran gerast und später seinen Kopfverletzungen erlegen. Daraufhin wurden die Bemühungen um einen Sicherheitsbügel forciert. Der Lebensretter Halo besteht aus Titan und muss bei Tests dem Gewicht von zwei afrikanischen Elefanten, also rund zwölf Tonnen, widerstehen. In der Realität von Bahrain tat er das, er teilte die Leitplanken, schützte zusammen mit den hohen Cockpitwänden Grosjeans Kopf und schuf die Lücke, aus der der Fahrer entkommen konnte.

Bei aller Erleichterung bleibt die Nachdenklichkeit im Formel-1-Tross in dieser Woche zwischen den Rennen. Sieger Lewis Hamilton blickte mit flackernden Augen in den Nachthimmel über der Wüste. Auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff war das, was er einen „Riesen-Schock“ nennt, anzusehen. Der ehemalige Rennfahrer sagte: „Auch das macht diesen Sport aus. Die Piloten brauchen viel Mut, um nach so einem Unfall und solchen Bildern wieder in ein Auto zu steigen, das über 350 km/h schnell ist. Sie sind Gladiatoren. Dieser Unfall ist eine Erinnerung, dass hier die besten Fahrer der Welt, die mutigsten Piloten, nicht einfach nur dem Sonnenuntergang entgegenfahren.“ Wäre Grosjean schwerer verletzt worden, hätte Mercedes seine Autos zurückgezogen.

Hamilton und Vettel äußern sich zu Grosjean-Unfall

Weltmeister Lewis Hamilton als Stimme der Formel 1 sprach von einer „kraftvollen Mahnung“ und forderte: „Wir dürfen nicht stehen bleiben, wo wir sind. Wir müssen versuchen, es immer weiter besser zu machen.“ Hamilton vertraut dabei auf den permanenten Vorwärtsdrang aller Beteiligten, gerade auch in puncto Sicherheit: „Das macht diesen Sport so großartig.“ Ebenfalls nachdenklich zeigte sich der Heppenheimer Sebastian Vettel zum Unfall von Romain Grosjean. Der Ferrari-Pilot riet, die Bilder des Feuerunfalls nicht mehr allzu oft zu zeigen: „Ich weiß, viele Leute stehen auf so etwas. Aber hier geht es um Menschen.“