München. Der Vorsprung von Branchenführer München auf RB Leipzig wird gefühlt immer kleiner. Borussia Dortmund verfolgt das interessiert.
Die Rechnung hatte kleine Schwächen, aber sie stand treffend für den übergeordneten Eindruck. Julian Nagelsmann hatte sie vorgetragen, nachdem seine Leipziger am Mittwoch durch das 4:3 bei Basaksehir in Istanbul die Chance gewahrt hatten, aus eigener Kraft ins Achtelfinale der Champions League einzuziehen. Aus Sicht von RB Leipzig habe man zuletzt in der Liga beim FC Bayern 0:3, 0:2, 0:1 und 0:0 gespielt, sagte der Trainer, „das ist eine Reihefolge wie beim IQ-Test. Wenn man das logisch weiterführt, könnte es gut sein, dass wir dort gewinnen.“ Damit es so kommt, führte er lächelnd aus, „muss der Fußballgott genauso gerne chronologische Reihenfolgen ausfüllen wie ich.“
RB Leipzig konnte in zehn Versuchen erst einmal gegen den FC Bayern gewinnen
Nun ist der Fußballgott nach allem, was man über ihn weiß, zuweilen ein launischer Geselle, der sich wenig aus Logik macht. Außerdem hatte Nagelsmann in seiner Rechnung ausgeklammert, dass Leipzig in zehn Versuchen erst einmal gegen die Bayern gewinnen konnte (2:1 im März 2018). Zumindest gefühlt aber wird der Vorsprung des Rekordmeisters stetig kleiner vor dem direkten Kräftemessen an diesem Samstag (18.30 Uhr/Sky) um die Tabellenspitze der Bundesliga.
Als Beleg dafür ließen sich Leipzigs Einzug ins Halbfinale der Champions League im August ebenso anführen wie die jüngsten Ligavergleiche. Gut möglich, dass dies nur eine Momentaufnahme ist. Aber Karl-Heinz Rummenigge betont: „Ich kann mich nicht daran erinnern, wann wir zuletzt drei Mal in Folge gegen einen Bundesligisten unentschieden gespielt haben. Das ist der Beweis, dass es für uns nicht leicht wird.“
RB Leipzig ist die dritte Kraft hinter Bayern München und Borussia Dortmund
Für den Vorstandsvorsitzenden des FC Bayern ist es auf jeden Fall ein Hinweis darauf, dass sich Leipzig hinter Bayern und Dortmund als „dritte Kraft“ im deutschen Fußball etabliert habe. Die Münchener, so darf man es sagen, spüren also durchaus den Atem der Bullen. Und nun könnte es sein, dass sich diese zu einem aus ihrer Sicht günstigen Zeitpunkt auf dem bayerischen rasen einfinden.
Hansi Flicks Team wirkte zuletzt ja erschöpft und defensiv verletzlich, gerade gegen Mannschaften wie Leipzig, die sich auf ein schnelles Umschaltspiel verstehen. Zu tun hat Bayerns aktuelle Verwundbarkeit auch viel mit dem Ausfall des ehemaligen Leipzigers Joshua Kimmich, der vor seiner Meniskus-OP als maximal ehrgeiziger Stratege die Elf im defensiven Mittelfeld zusammenhielt. Auch sein erster Ersatz Corentin Tolisso fällt angeschlagen aus.
Bayern-Trainer Flick lobt Leipzig-Trainer Nagelsmann
Es gehe darum zu zeigen, „dass Champions immer da sind, wenn sie so große Spiele vor der Brust haben“, sagte Flick am Freitag und bescheinigte RB eine „enorme Entwicklung“ zu einem „Top-Team“ unter dem „Top-Trainer“ Nagelsmann. Viel Respekt klang dabei an, auch in Flicks Forderung: „Ich erwarte von meiner Mannschaft, dass sie zeigt, dass sie wesentlich besser spielen kann als in den letzten Spielen“. Das Ziel seien drei „Big Points“.
Wie ernst die Münchener das Leipziger Ball-Business von Getränkemilliardär Dietrich Mateschitz nehmen, ließ sich am Dienstag bei Atlético Madrid erkennen, als Flick nahezu alle Leistungsträger für Leipzig schonte, obwohl er ungern groß rotieren lässt. Und es war schon 2016 zu erkennen, als Uli Hoeneß zum Frontalangriff auf RB blies. „Wir haben neben Dortmund einen zweiten Feind, den wir jetzt endlich wieder attackieren können“, tönte Hoeneß. Für den Begriff Feind entschuldigte er sich zwar rasch, an seiner Botschaft änderte das aber wenig.
Für den BVB ist RB Leipzig schon länger ein ernstzunehmender Konkurrent
Es fügte sich ins Bild, dass damals auch schon Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke in Richtung Sachsen stänkerte, in der ersten Bundesligasaison des 2009 gegründeten Leipziger Konstrukts, wie es manche abschätzig bezeichnen. „Da wird Fußball gespielt, um eine Getränkedose zu performen“, sagte Watzke und meinte wohl promoten, ehe er drei Jahre später einräumte, dass RB sportlich zu einem BVB-Konkurrenten als deutsche Nummer zwei werde.
Leipzigs Vorstandschef Oliver Mintzlaff konterte Watzkes Angriff 2016 spitz, es tue ihnen leid, „dass Red Bull dem BVB ein wenig Aufmerksamkeit genommen hat“. Nun könnte der aktuelle Zweite Leipzig mit einem Sieg den Bayern die Tabellenführung abnehmen, während Dortmund bis Jahresende damit beschäftigt sein wird, den Ausfall des verletzten Torgaranten Erling Haaland möglichst unbeschadet aufzufangen.
Macht der FC Bayern es mit RB Leipzig genau wie mit dem BVB?
Hinzu kommen die wirtschaftlichen Einbußen durch die Corona-Krise, die den FC Bayern und Dortmund zumindest in absoluten Zahlen härter trifft als Leipzig. Fürs Kalenderjahr 2020 plane man mit Mindereinahmen von rund 30 Millionen Euro und für 2021 in ähnlicher Höhe, sagte Mintzlaff zuletzt im Kicker. Beim BVB betrug das Minus allein im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2020/21 fast 36 Millionen Euro, wie der börsennotierte Verein mitteilte. Im Geschäftsbericht war man bei der Borussia von einem Verlust zwischen 70 und 75 Millionen Euro für die laufende Saison ausgegangen. Die Bayern kalkulieren laut Präsident Herbert Hainer mit „Pi mal Daumen 100 Millionen“ Verlust, externe Prognosen belaufen sich auf bis zu 150 Millionen Euro.
Was der Fußballgott aus all diesen Rechnungen macht, hängt wohl auch davon ab, ob sich der FC Bayern an jenes Muster erinnern wollen und können, das sie einst bei Robert Lewandowski, Mats Hummels und Mario Götze anwendeten, als ihnen der BVB zu gefährlich wurde. Interesse an Dayot Upamecano, sehr talentierter Innenverteidiger von RB Leipzig , haben sie jedenfalls schon länger. Grundsätzlich, das weiß auch Nagelsmann, haben die Münchener ohnehin den besten Kader, und es müsse „viel passieren, um am Ende vor dem FC Bayern rauszukommen. Das betrifft uns, aber auch Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen oder Borussia Mönchengladbach“. Geht es nach Nagelsmann, ändert sich die gewohnte Reihenfolge hinter den Bayern gerade. Mindestens.