Barcelona. Formel-1-Fahrer Sebastian Vettel startet in Barcelona mit einem neuen Chassis. Die Seele des Ferrari-Piloten scheint verletzt zu sein.
Sebastian Vettel unter Zugzwang. Vielleicht ist es genau das, was er jetzt braucht. Ein neues Chassis ist zwar noch kein neues Auto, aber immerhin: eine neue Chance. Plötzlich sollen sogar alle Spannungen weg sein, als hätte die Demontage des viermaligen Weltmeisters im Formel-1-Team von Ferrari nie begonnen. Fast zu harmonisch, um wahr zu sein. Aber wenn es für einen guten Zweck ist, lässt sich sogar daran glauben. Immerhin: Vor dem Großen Preis von Spanien am Sonntag (15.10 Uhr/RTL und Sky) hat der Heppenheimer den Weg aus der Krise wieder stärker selbst in der Hand.
Ein kleiner Riss also nur, jedenfalls in der Rennwagenhülle. Schnell ausgetauscht. Aber wie tief die Schrammen in der Rennfahrerseele gehen, weiß niemand. Zumindest hätten sie gereicht, um fast die Spaltung der ganzen Mannschaft herbeizuführen, sportlich geteilt ist sie ja ohnehin. Da hilft jener Schlag von einem Randstein, den Vettels Auto in Silverstone abbekommen hatte. Alles darauf zu schieben, jetzt das Modell zu wechseln, das könnte ein kluger Schachzug gewesen sein. Noch ist nur nicht klar, für wen.
Scuderia muss sich Vorwürfe gefallen lassen
Zuletzt hat Vettel den Kommandanten der Scuderia vorgeworfen, es „verbockt“ zu haben. Jetzt soll für die letzten zehn, zwölf Rennen in Rot Ruhe im Team herrschen – wenn alles gut geht. Als ob seine eigene Saison nochmal neu beginnt mit dem Ende des zweiten Renn-Hattricks. Die stärkste Kampfansage ist die: „Nein, ich bin nicht frustriert.“ Es ist ein Mittelding aus leisen Zweifeln und leiser Hoffnung.
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„Ich mag, was ich tue, das hilft“, erklärt Vettel den Motivationsumschwung für sich. Damit es künftig wieder leichter wird, nach mageren zehn Punkten aus den ersten fünf Rennen und ein paar peinlichen Drehern obendrein, hat er es sich schwerer gemacht. Darauf gepocht, dass das Fahrgestell an seinem SF 1000 ausgetauscht wird. Die Silberpfeile in Barcelona direkt anzugreifen, wird auch damit kaum möglich sein. Aber die Maßnahme ist vor allem in einem Punkt wichtig: Vettel hat sich durchgesetzt, vor allem intern. Von Anfang an hatte er erklärt, kein Vertrauen in dieses Auto zu haben, irgendwas fehlte ihm, jetzt musste Ferrari eine „kleine Anomalie“ eingestehen. In der Qualifikation am Samstag wird zu sehen sein, ob das Grundsatzproblem damit gelindert wird. Beruhigungspillen aus der Autowerkstatt.
Sebastian Vettel taugt nicht zum Beifahrer
In jedem Fall wird Charles Leclerc, der Teamkollege, noch mehr zu einem Maßstab für Vettels Form – der Monegasse hat immerhin schon 45 Punkte eingefahren und ist WM-Vierter. „Charles hat gezeigt, dass man gute Rennen fahren kann“, sagt Vettel. Der 33-Jährige weiß, dass er liefern muss in diesem (kleinen) Machtkampf. Er sagt aber auch: „Ich erwarte keine Wunder.“ Zuletzt hatte er seinen Fahrstil mehrmals während des Rennens ändern müssen, aber auch das führte zu nichts anderem als Konfusion.
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Dieser Sebastian Vettel ist jedoch ein Geradeausdenker, und es wäre schön, wenn sich sein Auto auch wieder in diese Richtung entwickeln könnte. Charakterstärke, wenn nicht Sturheit, das gehört zu den Tugenden des Hessen. Sie machen ein Teil seiner Kampfkraft aus, und die will er sich nicht nehmen lassen. Egal, was die Zukunft bringt. Fortsetzung der Karriere bei Racing Point, Sabbatical, Rücktritt – diese Gedanken müssen zumindest am Wochenende raus aus dem Kopf. Der Mann, der schon auf dem besten Weg war, Nachfolger von Michael Schumacher zu werden, taugt nicht zum Beifahrer. Aber er braucht Vertrauen, möglichst als Vorschuss. Den hat er in Maranello zuletzt nicht mehr in dem Maße bekommen, wie er ihn erwartet hat.
Lewis Hamilton gibt seinem Rivalen Zuspruch
Titelverteidiger Lewis Hamilton lobt Vettel in Barcelona ausdrücklich für seinen Kampfeswillen: „Wie er versucht, dem Team zu helfen, zeigt seinen großartigen Charakter und seine Leidenschaft. Ich hoffe, dass es für ihn positiv nach vorn geht.“ Dementsprechend glaubt der einzige deutsche Rennfahrer im Feld an das Gute in sich: „Ich weiß, was ich kann und welchen Job ich abliefern kann. Im Moment haben wir keinen guten Lauf, aber ich bin sicher, wenn sich alles beruhigt und ich eine ordentliche Chance bekomme, dass ich die dann auch beim Schopf packen werde.“
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Der ebenfalls tief in der Krise steckende Teamchef Mattia Binotto hat Vettel schon vor dem Neustart der Saison ein Stück weit die Perspektive genommen. Danach ist man höflich, aber auch ein ganzes Stück weit distanziert miteinander umgegangen. Bis die Funksprüche kamen, die Anklagen waren. Schlimmer aber noch war die Funkstille. Vettel reagierte zuletzt nicht auf die Durchhalteparolen von der Box, bis ein Ingenieur nachfragte, ob mit Kopfhörer und Mikrofon alles in Ordnung sei. War es. Damit war ein Zeichen gesetzt, das jeder begreifen musste. Schon wurde über eine vorzeitige Demission spekuliert, da beide Seiten angeblich die Lust zum Weitermachen verloren hatten. In Wirklichkeit können sich das weder Fahrer noch Team leisten. Mal ganz abgesehen von Stolz und Ehre. Eine Benachteiligung gegenüber dem Rivalen Leclerc konnte Vettel bisher nicht feststellen: „Sonst würde ich das sagen.“
Es geht um Selbstachtung
Die Emotionen von Silverstone seien „kein angemessenes Abbild dessen, was wirklich vor sich geht“. Also spricht Friedensrichter Sebastian Vettel: „Wir haben darüber geredet, es geklärt und machen weiter.“ Dann bemüht er die Metaphorik, um zu unterstreichen, dass längst nicht alles in Ordnung ist bei Ferrari: „Es ist eine ziemlich raue See, aber es ist, was es ist.“ Für sich betrachtet, sei er entspannt. Und gespannt, natürlich. Denn eins gelte unverändert: „Ich bin nur hier, um zu gewinnen.“ Oder um die Selbstachtung nicht zu verlieren.