Silverstone. Die Formel 1 schrieb in 70 Jahren Tausende Geschichten, seit sie in Silverstone startete. Hier sind sieben deutsche Episoden.

Die Formel 1 feiert standesgemäß ihren Geburtstag – mit einem Jubiläums-Grand-Prix am Geburtsort in Silverstone (Sonntag, 15.10 Uhr, RTL und Sky). Beim ersten Rennen auf dem damaligen Militärflugplatz kam der König, beim zweiten Rennen in Folge an diesem Wochenende muss die Königsklasse unter sich bleiben. Tausende Episoden hat die Rennserie zu erzählen – hier sind sieben deutsche Geschichten aus sieben Jahrzehnten.

Die Fünfziger

Der 4. Juli 1954 ist ein Tag der deutschen Sportgeschichte. Die Fußballnationalmannschaft holt in Bern den Weltmeistertitel, und Mercedes kehrt mit seinen Silberpfeilen in den Rennsport zurück. Es wird eine Triumphfahrt im französischen Reims. Hans Herrmann aus Sindelfingen fährt Rundenrekord, am Ende steht ein Doppelerfolg von Juan-Manuel Fangio und Karl Kling in den damals noch in Stuttgart-Untertürkheim gebauten Rennwagen.

Triumph: Karl Kling (l.) und Manuel Fangio 1954 in Reims.
Triumph: Karl Kling (l.) und Manuel Fangio 1954 in Reims. © Getty Images

Die Sechziger

Wolfgang Graf Berghe von Trips tritt am 10. September 1961 in Monza an, um vorzeitig Weltmeister zu werden, ein dritter Platz mit dem Ferrari würde schon reichen. Als erster Deutscher hatte er ein Formel-1-Rennen gewonnen. Doch der adlige Rennfahrer, der mit seiner offenen Art das Bild der Deutschen in der Welt des Sportes so spielerisch positiv verändert hatte, raste von der Pole-Position aus in den Tod. Ohne den Ritter aus dem Rheinland hätte es das deutsche Motorsport-Wunder der Neuzeit kaum gegeben. Graf Berghe hatte in den Fünfziger Jahren die ersten Go-Karts ins Land geholt, eine Kart-Bahn eingerichtet. Daraus entstand der Kart-Klub Kerpen, der später Michael und Ralf Schumacher, Nick Heidfeld, Heinz-Harald Frentzen und auch Sebastian Vettel hervorbrachte.

Tragödie: Graf Berghe von Trips stirbt 1961 beim Grand Prix in Monza in seinem Ferrari.
Tragödie: Graf Berghe von Trips stirbt 1961 beim Grand Prix in Monza in seinem Ferrari. © PA/AFP

Die Siebziger

Für Jochen Mass steht in seiner langen Karriere nur ein einziger Grand-Prix-Sieg zu Buche, und auf diesem liegt ein Schatten. Am 27. April 1975 liegt der Draufgänger aus Bad Dürkheim auf dem gefährlichen Stadtkurs von Barcelona, den späteren Olympiaberg Montjuic hinauf in Führung, als der Kölner Rolf Stommelen in die Zuschauer rast und fünf Menschen ihr Leben verlieren. Das Rennen wird abgebrochen, Mass – mit halber Punktzahl – zum Sieger erklärt. Als nur einer von bislang fünf Deutschen überhaupt, die einen WM-Lauf gewinnen konnten. Anfang der Neunziger Jahre wird Mass rasender Coach für das Mercedes-Nachwuchsteam, Fahrschüler Michael Schumacher und Formel-1-Deutschland dankten ihm.

Draufgänger, später Ausbilder: Jochen Mass 1975 in Barcelona in seinem McLaren-Ford M23.
Draufgänger, später Ausbilder: Jochen Mass 1975 in Barcelona in seinem McLaren-Ford M23. © Getty Images

Die Achtziger

Der Große Preis von Deutschland nimmt 1989 in Hockenheim ein deprimierendes Ende, bevor er überhaupt richtig begonnen hat. Damals sind noch so viele Autos in der Formel 1 am Start, dass eine Vorqualifikation nötig ist, um die Startplätze für Training und Rennen zu vergeben. Am frühen Freitagmorgen gibt es eine Art deutsches Ausscheidungsfahren mit Christian Danner, Bernd Schneider und Volker Weidler. Alle drei schaffen es nicht. Joachim Winkelhock, der das deutsche Quartett vervollständigen sollte, bleibt die Schande beim Heimspiel erspart. Der Waiblinger hat da schon seinen Sitz im chancenlosen AGS-Team verloren.

Deutsches Quartett 1989: (v.l.) Christian Danner, Bernd Schneider, Joachim Winkelhock und Volker Weidler.
Deutsches Quartett 1989: (v.l.) Christian Danner, Bernd Schneider, Joachim Winkelhock und Volker Weidler. © imago

Die Neunziger

Eine drängende Frage kursiert im Spätsommer 1991 im Fahrerlager von Spa: Wer ist dieser „Shoemaker“? Ein Rheinländer, der behauptet, die anspruchsvollste Piste der Welt zu kennen, in einer Jugendherberge absteigt und mit Mercedes-Bürgschaft einen Aushilfsjob im mittelmäßigen Team von Eddie Jordan bekommt. Michael Schumacher stellt das Auto auf Startplatz sieben, eine Sensation. Leider verglüht nach dem Start die Kupplung. Bernie Ecclestone und Flavio Briatore parken ihn gleich danach in einen Benetton um, so beginnt das deutsche Formel-1-Wunder. Ein Jahr später an gleicher Stelle feiert Michael Schumacher den ersten Sieg, daraus werden insgesamt 91 und sieben Weltmeistertitel. Spa nennt er, in Anlehnung an Boris Becker und Wimbledon, sein „Wohnzimmer“. Die Formel 1: sein Leben. Der Erfolg: sein Begleiter.

Michael Schumacher feierte die ersten Erfolge  bei Benetton. Er brachte es auf 91 Formel-1-Siege
Michael Schumacher feierte die ersten Erfolge bei Benetton. Er brachte es auf 91 Formel-1-Siege © Getty Images

Die Nuller

Regen in Monza, das ist dramatisch gefährlich. Sebastian Vettel, 2008 gerade 21 und im eher chancenlosen Toro Rosso unterwegs, ignoriert die Bedingungen. Weltmeister Kimi Räikkönen und WM-Leader Lewis Hamilton spielen bei der Wasserschlacht im Königlichen Park nur Nebenrollen. Der Heppenheimer wird mit 21 Jahren und 73 Tagen zum jüngsten Grand-Prix-Gewinner der Formel-1-Geschichte. Sebastian Vettel wird später ins große Red-Bull-Team befördert und holt sich im dramatischen Finale der Saison 2010 seinen ersten von vier Weltmeistertiteln in Serie. Rennstallchef Christian Horner staunt: „Er ist unglaublich schnell erwachsen geworden.“ Im Renntempo, sozusagen. Baby-Schumi nennt ihn schon lange keiner mehr.

Jung und gierig: Sebastian Vettel, gefeiert von Lewis Hamilton (l.)  und Jenson Button (2010)
Jung und gierig: Sebastian Vettel, gefeiert von Lewis Hamilton (l.) und Jenson Button (2010) © AP

Die Zehner

Das Renn-Jahrzehnt beginnt in Bahrain und mit dem Rekord von sieben deutschen Fahrern am Start (Mercedes-Rückkehrer Michael Schumacher, Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nico Hülkenberg, Timo Glock, Adrian Sutil und Nick Heidfeld). Im vielleicht härtesten Teamduell der Formel-1-Geschichte holt sich der auf Ibiza und in Monte Carlo lebende Wiesbadener Nico Rosberg den Titel gegen Lewis Hamilton. Ein paar Mal auf dem Weg dorthin kollidieren die Silberpfeile. Champion werden, wie 1982 Papa Keke, das ist alles, was Rosberg will. Als er Ende 2016 den WM-Pokal überreicht bekommt, entweicht alle Kraft und Leidenschaft – er will sich den Verfolgungswahn nicht mehr antun und tritt zurück.

ico Rosberg, Sohn von Weltmeister Keke und der Deutschen Sina Rosberg, als Champion 2016.
ico Rosberg, Sohn von Weltmeister Keke und der Deutschen Sina Rosberg, als Champion 2016. © dpa pa