Essen. Bundesliga-Trainer sollen künftig mit Karten und Sperren sanktioniert werden. Der Ärger ist groß. DFB-Sportpsychologe Mickler teilt die Kritik.

Julian Nagelsmann schwant derart Böses, dass er an höchste Werte erinnert. „Ich finde, dass man an die Menschlichkeit appellieren muss, und nicht alles mit Strafen reguliert.“ Was den Trainer des Bundesligisten RB Leipzig aufregt? Die Einführung von Gelben Karten für Trainer. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) plant sogar eine Sperre nach der vierten Gelben Karte. „Sehr fraglich“ findet Michael Winkler. Der 66-Jährige leitet die sportpsychologische Ausbildung für angehende Fußball-Lehrer des DFB und unterstützt Nagelsmann im Interview.

Herr Mickler, was halten Sie von der neuen Regel?

Werner Mickler: Ich finde sie schon sehr fragwürdig – aus dem ganz einfach Grund: Mir müsste erstmal jemand erklären, warum die Notwendigkeit besteht, das genau so zu machen. Da müssen ja Statistiken vorhanden sein, die diese Regeländerung nahelegen würden. Diese sind mir im Augenblick nicht bekannt. Wenn ich etwas einführe, muss man mir eine Logik anbieten, die ich nachvollziehen kann. Das ist hier nicht der Fall. Wir hatten den „alten Ablauf“: Ermahnen, verwarnen und auf die Tribüne schicken. Das hat meines Erachtens funktioniert. Meiner Meinung nach sind da auch gedanklich ein paar Hänger drin. Wenn nicht auszumachen ist, wer das auf der Bank war, muss der Trainer stellvertretend die Gelbe Karte annehmen. Für mich bedeutet das aber: Da hat jemand seinen Job nicht gemacht: Es ist die Aufgabe des Schiedsrichtergespanns inklusive des Vierten Offiziellen, die Verstöße von Personen festzuhalten.

Wäre das nicht wie im Berufsleben, wo der Chef auch zur Verantwortung gezogen wird?

Selbst da wird erstmal der Einzelne in die Verantwortung gezogen. Im Fußball ist der Trainer für das Spiel zuständig. Er soll das Spiel dirigieren und seiner Mannschaft helfen, dass sie erfolgreich ist. Jetzt erwarte ich von ihm, dass er eine doppelte Aufmerksamkeit hat: Einerseits auf das Spiel achten und andererseits auf die Bank – wo wohlgemerkt erwachsene Menschen sitzen. Von denen kann man erwarten, dass sie sich vernünftig benehmen. Das wäre eine zusätzliche Aufgabe.

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Die Bundesliga-Trainer kritisieren an der Regeländerung, sie könnten ihren Job nicht mehr frei ausüben. Gehört dazu, sich auch mal aufzuregen?

Ein Trainer, der unter unheimlichem Druck steht, darf sich auch mal ärgern. Ansonsten werden wir dazu kommen, dass nur noch ein ganz bestimmter Typus von Trainern existiert – ein sachlicher, ruhiger, emotional und nicht mehr so involvierter. Aber wir als Zuschauer und auch die Medien hätten gerne diese. Ein Trainer soll doch mit seiner Mannschaft leiden, sie pushen. Aber nach der neuen Regel werden sie ihre Konsequenzen ziehen.

Welche könnten das sein?

Es wird doch darüber diskutiert, dass wir keine Typen im Fußball haben. Mit der neuen Regel werden wir langfristig auch keine Typen mehr bei den Trainern haben, weil sie alle nach dem gleichen Muster reagieren. Am besten wäre, wir würden einen Roboter hinstellen, den man fernsteuern kann: Dies und jenes muss er in den jeweiligen Situationen tun. Das würde den Fußball kaputtmachen. Wir wollen Trainer, die sich freuen. Die andere Seite der Medaille ist der Ärger. Das muss im vernünftigen Rahmen stattfinden, und das hat es meiner Meinung nach auch.

Warum regen sich Bundesliga-Trainer überhaupt auf? Sie kennen die Situationen doch.

Das ist eine normale Reaktion. Wenn ich glaube, ich werde in irgendeiner Art falsch behandelt, dann werde ich meine Emotionen spüren. In manchen Situationen kann ich das kontrollieren, aber wenn ich in einer Niederlagenserie bin, ich habe vier Spiele hintereinander verloren, mein Arbeitsplatz ist in Gefahr, dazu die Reaktionen von Publikum und Medien, dann ist doch klar, dass ich unter einer Wahnsinnsanspannung stehe. Jede Entscheidung, die dann gegen mich ist, wird entsprechende Emotionen hervorbringen.

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Trainer haben allerdings auch eine Vorbildfunktion.

Ganz sicher, aber auf der anderen Seite sind das immer noch Menschen. Ein Beispiel: Wenn ich verärgert bin und ich nehme eine Wasserflasche und werfe sie auf den Boden. Ich treffe damit keinen, schade niemandem. Ist das strafwürdig? Ich möchte mal den sehen, der nicht aus lauter Wut mal irgendetwas in die Ecke geworfen hat. Niemand ist ständig kontrolliert, und ganz sicher auch nicht, wenn er in der Öffentlichkeit steht.

Demnächst könnte es dafür Gelb geben.

Das ist der nächste Kritikpunkt: Wer legt das eigentlich fest, welche Kriterien gelten? Wenn es Bestrafungen gibt, muss es einen Regelkatalog geben. Welche Verhaltensweisen sollen mit einer Gelben Karte moniert werden? Das ist das erste, was wir brauchen. Warum wird das Instrumentarium, das wir bislang hatten, nicht ausgenutzt? Wenn man sich an Jürgen Klopp erinnert, wie er damals den Vierten Offiziellen angeschrien hat. Da hat er sich selbst über sich erschrocken. Danach ist ihm das auch nicht mehr passiert. Er ist lernfähig gewesen und versucht das jetzt auf eine andere Art auszuleben. Das hat man mit den alten Regeln wunderbar hingekriegt.

Ihre Alternative?

Ich halte nichts davon, immer neue Regeln einzuführen. Das führt zu einer unendlichen Anzahl von Paragraphen, die keiner behalten kann. Fußball lebt vom gegenseitigen Miteinander. Das sollte auch in Zukunft so bleiben.