Essen/Dallas. Um auch Michael Jordan in der ewigen Punkte-Bestenliste der NBA zu überholen, müsste der nun sechstbeste Korbjäger noch eine Saison dranhängen.
Drei Minuten und 25 Sekunden sind im ersten Viertel gespielt, da bekommt Dirk Nowitzki sechs Meter vor dem Korb den Ball. Der Star der Dallas Mavericks setzt gegen die New Orleans Pelicans zu seinem typischen Wurf an: einen Fadeaway. Für den ist der 40 Jahre alte Deutsche in den USA bekannt. Dabei steht er seitlich oder mit dem Rücken zum Korb, dreht sich in der Bewegung leicht, springt in einer Rückwärtsbewegung nach hinten ab und lässt den Ball im Fallen im höchsten Moment los. Der Gegner hat keine Chance. Es ist ein Wurf, der Dirk Nowitzki in seinen 20 Jahren in der NBA, der besten Basketball-Liga der Welt, schon tausende Male geglückt ist.
Auch Nowitzkis Gegenspieler, der 13 Zentimeter kleinere Kenrich Williams, kann nur zugucken, diesen Wurf kann er nicht blocken. Die 19.000 Zuschauer im American Airlines Center in Dallas haben sich längst erhoben, die Smartphones sind gezückt. Denn es ist ein historischer Moment, und der muss unbedingt gefilmt werden.
Den 100-Punkte-Mann überflügelt
Der Ball fliegt durch das Netz. Zwei Punkte. Dirkules, wie ihn die Amerikaner nennen, hat es geschafft. Der beste deutsche Basketballer der Geschichte hat soeben den 1999 im Alter von 63 Jahren verstorbenen Wilt Chamberlain in der ewigen Punkte-Bestenliste der NBA überholt – 31.420 Punkte, was für eine Zahl. Die Fans jubeln, klatschen und rufen „Dööörk“. Als das Spiel gegen die New Orleans Pelicans 16 Sekunden später unterbrochen ist, läuft auf dem großen Videowürfel eine Hommage für das „German Wunderkind“. Sie zeigt die Momente aus den vergangenen Jahren, in denen er die Basketball-Legenden Elvin Hayes, Moses Malone und Shaquille O‘Neal in der Bestenliste überholt. Jetzt ist er auch an Chamberlain vorbei – dem Mann, der 1962 gar in nur einem Spiel 100 Punkte erzielte.
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Die Mit- und Gegenspieler klopfen Nowitzki auf die Schulter, Mavericks-Besitzer Mark Cuban umarmt ihn, Ehefrau Jessica steht mit feuchten Augen unweit entfernt. Und was macht der Held? Genießt diesen Augenblick für einen Moment. Er lächelt, zeigt den Daumen und bedankt sich. Dann ist aber Schluss mit dem Feiern. Es muss noch Basketball gespielt werden.
Nowitzki: "Es fühlt sich oft unwirklich an"
Dass er am Ende des Abends noch vier weitere Punkte macht und jetzt bei 31.424 Punkten steht? Nebensache. Dass die Mavs gegen die Pelicans in der Verlängerung mit 125:129 verlieren? Nebensache. Hauptsache ist: Dirk Nowitzki ist jetzt der sechstbeste Werfer der NBA-Geschichte.
1510 Spiele hat er für diese Marke benötigt. Vor ihm stehen nur noch die Legenden Michael Jordan, LeBron James, Kobe Bryant, Karl Malone und Kareem Abdul-Jabbar, der mit 38.837 Zählern unerreichbar scheint. „Jedes Mal, wenn du einen dieser legendären Spieler dort oben überholst, ist es unglaublich“, sagt Nowitzki. Sich selber will er nicht hervorheben. Er bleibt bescheiden, so wie man ihn eben kennt: „Es fühlt sich oft unwirklich an, gemeinsam mit diesen Namen dort oben zu stehen.“
Und weil er sich nicht in den Vordergrund stellt, übernehmen andere für ihn. „Es ist eine historische Leistung“, sagt Mavericks-Trainer Rick Carlisle zu Nowitzkis wohl größtem Meilenstein: „Es ist ein weiterer Beleg für seine Herangehensweise in seiner gesamten Karriere.“ James, der neben Nowitzki noch aktiv ist, schreibt kurze Zeit später auf seinem Twitter-Account: „Glückwunsch, Großer“.
Jordan liegt 868 Punkte vor Nowitzki
Bald endet Nowitzkis 21. Saison in der NBA, zwölf Partien sind noch zu absolvieren. Ob damit auch seine großartige Karriere ausläuft? Es spricht vieles dafür, obwohl sich der 2,13-Meter-Mann die Entscheidung noch offen lässt. „Ich will die Saison zu Ende spielen, dann schauen wir mal.“ Um noch Michael Jordan, in der Bestenliste 868 Punkte vor ihm, zu überholen, müsste Nowitzki noch ein Jahr dranhängen und ungefähr zehn Punkte pro Spiel erzielen. Doch die Anzeichen verdichten sich, dass er in den kommenden Wochen seine riesigen Basketball-Treter, Schuhgröße 54, an den Nagel hängt. Deshalb feiern ihn gegnerische Fans wöchentlich in den Hallen Nordamerikas. Und niemand zweifelt daran, dass es Dirk Nowitzki auch verdient hat.