Houston. Tom Brady steht vor seinem fünften Super-Bowl-Sieg. Das wäre Rekord. Die Entscheidung um den NFL-Titel fällt in der Nacht auf Montag.

Auch Helden sind nur Menschen. Zur Beweisführung bedarf es gerade mal eines sieben Jahre alten Jungen. Joseph Duarte ist in Houston gelungen, woran Journalisten reihenweise gescheitert sind. Der junge Fanreporter brachte Tom Brady aus der Fassung. Und das ist wirklich schwierig. Joseph aber stellte dem Quarterback der New England Patriots nur eine einfache Frage, mit allerdings entwaffnender Wirkung: Wer ist dein Held? Lauter junge Amerikaner würden schließlich Brady als ihr Vorbild bezeichnen. „Eine großartige Frage“, antwortete der 39-Jährige mit einem Lächeln, als sei er gerade selbst wieder zum Kind geworden. „Mein Vater ist mein Held, ich schaue jeden Tag zu ihm auf.“ Bradys Stimme setzte dann aus, er schluckte tief und hielt Tränen zurück, ehe er wiederholte: „Mein Vater.“

Für die National Football League (NFL) sind solche Momente pures Gold. Sie zeigen in zugegeben kitschiger Weise die emotionale Seite der testosterongeschwängerten Männerwelt des American Footballs. Ein Zuviel an Pathos ist im Geschäftsplan der umsatzstärksten Sportliga der Welt (13 Milliarden Dollar) ausdrücklich ausgeschlossen. Und wenn dann ihr bekanntestes Gesicht noch so eine rührende Geschichte produzieren kann – umso besser.

Doch selbst regelmäßige Begleiter der Sportikone rätselten diesmal: Waren diese Gefühle echt oder doch einstudiert? Thomas Edward Patrick Brady jr., so Toms voller Name, gilt immerhin trotz seiner unglaublichen Erfolge und trotz einer der schönsten Frauen der Welt an seiner Seite, dem Supermodel Gisele Bündchen, eher als Durchschnittstyp.

41 Millionen Dollar in den nächsten beiden Saisons

Der Spitzname „Comeback Kid“ leitet in die Irre und verheimlicht, dass Brady sich nach dem Super Bowl gegen die Atlanta Falcons am Sonntag (0.30 Uhr deutscher Zeit/Sat 1) zum fünften Mal den glitzernden Siegerring an den Finger stecken könnte. Damit hätte er einen mehr als Terry Bradshaw und Joe Montana, Spielmacher-Legenden der Pittsburgh Steelers und San Francisco 49ers in den 70er- und 80er-Jahren. Sicher, er ist über die Jahre steinreich geworden. Aber erst in den nächsten beiden Saisons wird er mit 41 Millionen Dollar so entlohnt, wie es die Titelsammlung erwarten lässt. Da fällt es dann auch nicht mehr ins Gewicht, dass der smarte Beau trotz seiner sieben Finalteilnahmen von der Werbeindustrie umschifft wird. Beinahe sogar hätte er einen normalen Beruf erlernen müssen, wenn New England Brady 2000 nicht als 199. Stelle in der sechsten Runde gedraftet hätte. Er wird an der Ostküste der USA verehrt, von allen anderen Fans aber höchstens respektiert, geliebt sicher nicht. Dazu fehlen dem blassen Brady die Konturen.

Seine engsten Wegbegleiter versuchen sie ihm zu verleihen. Gisele Bündchen zum Beispiel. Die brasilianische Schönheit ist seit 2009 mit Brady verheiratet, das Paar hat zwei Kinder, Benjamin (7) und Vivian (4), lebt nicht problem-, aber skandalfrei. Bündchen zieht bei öffentlichen Auftritten noch mehr Aufmerksamkeit auf sich, hält ihrem Tom aber zu Hause, im Strandhaus in Boston oder im Hochhaus-Appartment in Manhattan, den Rücken frei. „Meine Frau macht alles für die Kinder“, erzählt Brady und zieht die Augenbrauen hoch, „ich verlasse das Haus morgens um 6 Uhr. Über fünf Monate in der Saison ist das eine große Belastung. Denn mein Traum ist nicht unbedingt ihr Traum.“ Manchen mag es langweilig vorkommen, aber Brady, der eine enge Beziehung zu seinen Eltern und drei Schwestern pflegt, ist mehr Familienmensch als schillernde Figur eines überdrehten Profisports.

Bradys Weg zum Star

Wenn er jedoch auf dem Footballfeld steht, brennt Tom Brady vor Ehrgeiz. Als die Patriots ihn von der Universität von Michigan nach Neuengland beriefen, stellte sich Brady bei Besitzer Robert K. Kraft als „beste Entscheidung, die dieser Klub jemals getroffen hat“, vor. Trainer Bill Belichick sorgte dafür, dass Brady nicht als Maulheld abgestempelt werden musste. Der heute 64-Jährige erkannte den Ehrgeiz und die Führungsfähigkeiten des jungen Burschen, der anfangs noch zu schmächtig wirkte, in 2002 seinem ersten Jahr als Stamm-Quarterback aber gleich die Vince-Lombardi-Trophäe gewann. Belichick bläute Brady ein, seinen Job und nur seinen Job machen zu müssen: Was die Öffentlichkeit sagt, spielt keine Rolle – es geht hier nur um Football. „Seine Art ist sehr förderlich, mich wenig zu loben, aber immer das Beste aus mir herausholen zu wollen. Es passt bei uns einfach.“ Der Weg der Nummer 12 zum Star wurde von Belichick und Brady gemeinsam konstruiert.

Mit den Rückschlägen in der Zeit als Profi musste Brady dagegen allein fertig werden. Comeback Kid wird er vor allem genannt, weil er nicht die besten Voraussetzungen für so eine große Karriere mitbrachte und schwere Verletzungen ihn zurückwarfen. Und eine persönliche Fehde treibt Brady an, die Karriere fortzusetzen. Roger Goodell ist in New England die meist gehasste Person, seit der NFL-Ligaboss auch ohne Beweise den Patriots-Quarterback zu Saisonbeginn für vier Spiele sperrte. Brady soll im Halbfinale 2015 gegen die Indianapolis Colts in einen Skandal um zu wenig Luft im Leder-Ei involviert gewesen sein („Deflategate“). Goodell hat sich seitdem nicht mehr zu einem Heimspiel nach Foxborough, Massachusetts, getraut. „Ich will hier nichts Negatives über andere sagen“, sagte Brady in Houston ausweichend zu Fragen nach einem möglichen Aufeinandertreffen, falls sein Team am Sonntag gewinnt. Er begleicht seine Rechnung mit Goodell, indem sein Körper immer noch fit, der Wurfarm immer noch präzise ist und er damit weiter Rekorde sowie Super-Bowl-Ringe sammelt.

In der Woche vor dem 51. Super Bowl ist viel über das Erbe gesprochen worden, das Tom Brady eines Tages hinterlassen wird. Ob er am Sonntag nun zum fünften Mal Champion wird oder nicht, ändert nichts an der Tatsache, dass er einer der Größten ist, die je das Spiel gespielt haben. Es kommt aber auch irgendwann der Tag, an dem Thomas Edward Patrick Brady jr. nur noch Ehemann und Vater sein wird, nicht mehr ein aktiver Sportheld. Auch dann wird der 39-Jährige nichts dem Zufall überlassen. „Zu Hause zählt ja jeder auf dich, auch in der anderen Rolle zu funktionieren.“ In der des Menschen.