Marbella/Dortmund.
- In seinem zweiten Jahr beim BVB gibt es Kritik an Thomas Tuchel
- Das hat auch mit Fehlern des Trainers zu tun
- Jetzt muss Platz drei her
„Tommy! Huhu, Tommy!“, grölt der Mann auf der Tribüne. Thomas Tuchel, der gerade den Rasen des Estadio Municipal von Marbella überquert, hebt erst den Kopf, dann den Arm und winkt. Es sieht seltsam unbeholfen aus, diese Art der Interaktion mit den Fans ist nicht seine große Stärke – das weiß er ja selbst.
Auch deshalb lässt sich der 43-Jährige nach Heimspielen nie von den Fans auf der Südtribüne feiern. „Ich wüsste gar nicht, wie ich das machen soll, und wahrscheinlich würde es furchtbar werden“, sagte er dem WDR in einem seiner seltenen Interviews. Dass ihm das kritisch ausgelegt wird, findet er „krass unfair“, die Fans hätten dafür volles Verständnis.
Fans fremdeln mit dem neuen Coach
Wer sich aber unter den Anhängern umhört, trifft auch viele, bei denen sich das Verständnis in engen Grenzen hält, die auch im zweiten Jahr noch fremdeln mit ihrem Trainer – auch weil der es dem Klub und seinen Fans nicht immer ganz leicht macht, ihn zu lieben.
Michael Zorc lacht, wenn man ihn darauf anspricht. „Im letzten Jahr hat er offenbar ganz gut hierhin gepasst mit 78 Punkten und dem entsprechenden Feedback“, sagt der Sportdirektor dann. „Das hängt oft stark mit den Ergebnissen zusammen.“
An denen gab es im ersten Jahr wenig auszusetzen, der BVB fuhr in der Liga die zweitbeste Punktzahl seiner Geschichte ein, wurde mit großem Vorsprung Zweiter. Aktuell läuft es schleppender, aber dafür gibt es mildernde Umstände: die Europameisterschaft und der große Umbruch im Sommer, die die Vorbereitung schwierig machten. Und die große Zahl an Verletzten.
Fachlich gibt es an Tuchel kaum Zweifel
Fachlich gibt es an Tuchels Arbeit kaum Zweifel: „Er hat bei uns eine qualitativ hochwertige Art von Fußball implementiert und auch weiterentwickelt“, sagt Zorc. „Er hat Dinge in unser Spiel gebracht, die wir vorher so nicht hatten.“
„Wenn man so einen Trainer hat, tut das jedem Spieler gut“, meint André Schürrle, der schon in Mainz unter Tuchel spielte.
Warum wird so einer so kritisch gesehen?
Ein Abend im November. Gerade hat der BVB bei Eintracht Frankfurt mit 1:2 verloren. Thomas Tuchel betritt den Presseraum. Er ist noch fahler als sonst, rutscht auf seinem Stuhl hin und her – wer ihn kennt, sieht, wie sehr es in dem Moment in ihm arbeitet. Wenig später bricht es heraus, der Trainer attestiert seiner Mannschaft „ein einziges Defizit“.
Es ist ein klassischer Wutausbruch, ungefiltert sprudeln die Emotionen heraus. Tuchel ist in diesem Moment das, was sein Klub so gern für sich in Anspruch nimmt: echt. Seine Stimme aber bleibt erstaunlich ruhig. Für die, die ihn weniger gut kennen, muss die Szene wie eine schneidend kühle Abrechnung mit den eigenen Spielern wirken. Entsprechend schlecht kommt sie öffentlich an – aber auch einige Spieler sind irritiert.
Mitarbeiter des Klubs werden später versuchen, ihn in Schutz zu nehmen, unter anderem mit dem Hinweis, Jürgen Klopp, der Vorgänger, sei doch auch mal auf Pressekonferenzen ausgerastet. Der Vergleich hakt an entscheidender Stelle: Klopp konnte Journalisten auf die derbste Art und Weise beschimpfen – seine Spieler aber nahm er öffentlich fast immer in Schutz.
Ein Vergleich, mit dem man Tuchel keinen Gefallen tut
Es ist auch ein Vergleich, mit dem man Tuchel keinen Gefallen tut, denn Tuchel hat es so schon schwer genug im großen Schatten des großen Volkstribuns Jürgen Klopp. Es geht ihm da wie Markus Lanz: Der konnte sich auch nicht dagegen wehren, dass er als Moderator von „Wetten dass…“ immer mit der Überfigur Thomas Gottschalk verglichen wurde.
Jürgen Klopp, das sagen heute noch viele in Dortmund, hätte „Wetten dass…“ auch moderieren können – aber man dürfe ihm erst 20 Minuten vorher Bescheid sagen: Spontan und unvorbereitet sei er am unterhaltsamsten.
Tuchel will den Zufall eleminieren
Thomas Tuchel hält nichts davon, Dinge unvorbereitet zu tun – schon gar nicht solche, die mit Fußball zu tun haben. Er kann sich regelrecht vergraben in seine Gedanken über Taktik und Aufstellung, würde am liebsten den Zufall im Spiel komplett eliminieren.
„Das ist etwas, was ich so in der Art vorher noch nicht gesehen habe“, sagt Mario Götze, der immerhin drei Jahre unter dem detailversessenen Pep Guardiola gespielt hat.
Doch in seinem Drang, den Fußball zu perfektionieren, macht er es seiner Umgebung nicht leicht. Will er einen bestimmten Spieler, kann er seinen Bossen gehörig auf die Nerven gehen. Auch seinen Spielern gegenüber ist er sehr oft sehr ungeduldig.
Für Tuchel zählen erstmal die Ergebnisse
Doch in der zweiten Saisonhälfte wird die Arbeit am Fußball der Zukunft erst einmal im Hintergrund stehen, Tuchel, so hört man, werde in der Rückrunde einen deutlich pragmatischeren Fußball spielen lassen. Es zählen erst einmal die Ergebnisse.
Denn die Zielsetzung der Bosse ist unmissverständlich: Platz drei soll es mindestens sein.
Platz drei muss es auch sein, denn Tuchels Basis in Dortmund ist der Erfolg. Wenn der ausbleibt, gehen auch die Argumente aus.
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