Wesel. . Nach seinem ersten Heimspielbesuch 1981 ging Klaus Cieslak viele Jahre ins Stadion. Doch nun schaut der S04-Fan Schalke in seiner Parzelle.
Ein Mann, ein Wort. Wie verabredet, wartet Klaus Cieslak um Punkt 14 Uhr „anne Schranke.“ Hier in Wesel auf der Insel Grav ist Klaus zu Hause. Lässig lehnt der 49-Jährige über einem Geländer. 125 Kilo Kampfgewicht bringt er locker auf die Waage. Eines steht fest: Wer an Klaus nicht vorbei soll, der kommt auch nicht vorbei.
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Eine blau-weiße Trainingsjacke mit der Aufschrift „Kumpel- und Malocherclub“ verdeckt ein verwaschenes Shirt. „Schalke Fußball-Club“, steht darauf geschrieben. Dazu trägt Klaus eine silberne Halskette und goldene Ohrringe. Seine tätowierten Arme, die vom Umfang her Oberschenkel sein könnten, bieten eine Menge Lesestoff.
Mehr Rekorde als Robert Lewandowski
„Ich besorge mal eben ne Gäste-Karte“ ruft der Koloss, dessen Bizeps zur besten Zeit einen Umfang von 52 Zentimetern hatte. Mit dieser Gäste-Karte öffnet sich wenig später die Schranke, hinter der die Welt etwas mehr in Ordnung zu sein scheint als vor der Schranke. Keine Frage, diese Grav-Insel ist ein Paradies für all diejenigen, die es so mögen. Auf jeden Fall stellt die Insel mehr Rekorde als Robert Lewandowski auf: sie hat 2,1 Millionen Quadratmeter Fläche, ein Wegenetz von über 35 Kilometern, über 2000 Stellplätze und bietet 20 000 Urlaubern Raum. Kurzum: Deutschlands größter Campingplatz.
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Klaus schwingt sich auf einen motorisierten City-Roller und legt im Schritttempo die 400 Meter Schotterweg von der Schranke zu seiner Parzelle zurück. Immer wenn er auf dem kurzen Stück einen anderen Inselbewohner sieht, und er sieht viele, dann hebt er zum Gruß die Hand. Für einen Moment verliert er dann das Gleichgewicht. Mein lieber Kumpel und Malocher, bloß nicht umfallen, denkt man. Der ehemalige Deutsche Meister im Bankdrücken hat aber nicht die geringste Mühe, das Gefährt mit einem Ruck wieder ins Lot zu bringen.
Handschlag und Kaffee sind kräftig
Den City-Roller abgestellt, gibt es zur Begrüßung einen kräftigen Handschlag und anschließend einen noch deutlich kräftigeren Kaffee. Milch ist aus. „Ich bin hier bekannt wie ein bunter Hund“, sagt Klaus. Geglaubt wie gesehen.
Wo man sich auf seinem Grundstück auch umschaut: Schalke, Schalke und nochmals Schalke. Selbst die Gästetoilette in der Gartenlaube ist blau und weiß. Im Lounge-Bereich wehen zig Fahnen, auf einer der Türen seiner drei Wohnwagen wird mal eben die Schalker Vereinsgeschichte angerissen. Die XXL-Flagge im Vorgarten, das fußballerische Glaubensbekenntnis vieler, vieler Inselbewohner, fehlt auch im Hause Cieslak nicht. „Was muss, das muss“, sagt Klaus. „Yes, we camp“, ruft er dann, ballt dabei die Faust und lacht selbst am lautesten. Einen schöneren Ort auf der Welt kann er sich nicht vorstellen. Will er auch gar nicht. Vor fünf Jahren hat er sein Herz an diesen Campingplatz verloren, seit ein paar Wochen ist er hier gemeldet.
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Klaus fläzt sich in einen seiner schwarzen Rattan-Sessel und greift zu einer selbstgestopften Zigarette. Der gebürtige Castrop-Rauxeler liebt nichts mehr als die Ruhe und die Erholung. Und eben seinen FC Schalke 04. Seit Rosenmontag 1975 ist das so. Damals fehlte ihm die Idee für eine Verkleidung, deshalb zog er ein Trikot von Borussia Dortmund an. Als die anderen Kinder ihn bei der Party schief anguckten, merkte er, dass irgendwas mit diesem Fußballverein nicht stimmen kann. „Und weil das Trikot echt scheiße aussah, bin ich Schalker geworden. So einfach ist das“, sagt er.
Nach seinem ersten Heimspielbesuch, 1981 im Parkstadion, verpasste er viele Jahre kein einziges. Wenig später auch kein Auswärtsspiel mehr. Zum letzten Mal im Stadion war er vor drei Jahren, beim DFB-Pokalspiel gegen den SV Sandhausen. Und dennoch hat er seitdem kaum ein Spiel verpasst. Sein Stadion ist seine Parzelle – mit Stehplätzen, einer Sitztribüne, sogar mit einem Logenbereich. Schalke guckt er nur noch auf Sky. Marcel Reif für die Insel, sozusagen.
Die Wochenenden können auf der Grav-Insel ganz schön bunt werden. Der Nachbar zur linken Seite mag den FC Bayern München und zeigt das auch gerne. Genauso wie der Gladbach-Fan gegenüber, der Düsseldorfer, der Duisburger und der Dortmunder zu ihren Klubs stehen. Es gibt sogar Fans von Wattenscheid 09, die in Wesel Urlaub machen. „Auf Grav ist es egal, welchen Verein du liebst. Hauptsache beim Fußball gibt’s schön was auf die Gabel“, erklärt Klaus.
Feste Regeln auf dem Grundstück
Auf seinem Grundstück gelten feste Regeln. Nummer eins: Niemals Ärger. Nummer zwei: Die Männer bringen die Getränke mit, die Frauen die Salate. Klaus ist der Grillmeister. Und zwar nur Klaus. In seiner Outdoorküche kann sich ein 60 Zentimeter langer Fleischspieß drehen. 90 Minuten und sogar noch länger. Als der Grillmeister es zum Ligastart gegen Werder Bremen mit dem Rollbraten allerdings zu gut meinte, gab der Motor den Geist auf. „Sechs Pfund waren wohl doch zu viel“, sagt Klaus. Da Not bei Campern aber besonders erfinderisch macht, drehte eine Bohrmaschine den Braten so lange, bis er schön kross war.
Nur wenn das große Revierderby steigt, sind die Regeln auf dem Campingplatz andere. Dann bleibt der Fernseher aus. „Es gibt doch nichts Geileres, als Schalke gegen die Zecken in der guten alten Radiokonferenz. Aber alles wie immer ganz entspannt“, sagt Klaus. Es scheint fast unmöglich zu sein, ihn in seinem kleinen Paradies aus der Ruhe zu bringen. Nur Schalke schafft das.
Dass Manager Horst Heldt Trainer Jens Keller nach der besten Rückrunde der Vereinsgeschichte zum Ex-Trainer gemacht hat, ärgert ihn noch heute. Dass ein Typ wie Kevin Kuranyi kein Schalker mehr ist, findet er ebenfalls nicht toll. Schon gar nicht, dass Klaas-Jan Huntelaar an der holländischen Grenze wohnt und jeden Tag eine Stunde zum Training fährt. Klaus’ Vorschlag:. „Für Klaas-Jans Wohnwagen finde ich hier auch noch ein schönes Plätzchen.“ Ein Mann, ein Wort.
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