Düsseldorf. Immer mehr Städte in NRW zeigen Schwarzfahrer nicht mehr bei der Polizei an. Die Verkehrsunternehmen sind empört.

Im Strafgesetzbuches geht es um das „Erschleichen von Leistungen“. § 265a. Der Volksmund nennt es „Schwarzfahren“, und viele Menschen im Land winken ab. „Kavaliersdelikt“, sagen sie. Allerdings eines, das Folgen haben kann. Gut 7000 Frauen und Männer in Deutschland müssen deshalb jedes Jahr sogar ins Gefängnis – in Einzelfällen viele Monate. Schreckt das ab? Oder soll das Gesetz geändert werden? Juristen und Verkehrsunternehmen streiten sich.

Laut Datenportal Statista wurden 2023 in Nordrhein-Westfalen allein im Liniennahverkehr rund 2,04 Milliarden Fahrgäste befördert. Dabei gehen Experten aus Erfahrung von einer Schwarzfahrer-Quote in Höhe von einem bis drei Prozent aus. Klingt zunächst nicht viel, es sind in absoluten Zahlen aber immerhin rund 60 Millionen Fahrten, für die kein Ticket gezogen wurde.

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Wer erwischt wird, hat oft eine Erklärung

Natürlich werden die meisten Menschen, die sich eine Fahrt „erschleichen“, nicht erwischt. Und wer erwischt wird, hat oft eine Erklärung. 34 Prozent der Befragten in einer Statista-Umfrage geben an, dass ein kaputter oder nicht vorhandener Automat der Grund für ihr Schwarzfahren gewesen sei. 29 Prozent behaupten, sie hätten es vor der Einfahrt der Bahn oder des Busses zeitlich nicht geschafft, ein Ticket zu erwerben. Beides gilt offiziell allerdings nicht als legitimer Grund für ein Fahren ohne Fahrschein.

Kontrolleure der Ruhrbahn in Mülheim an der Ruhr
Kontrolleure bei der Arbeit. 60 Euro „erhöhtes Beförderungsentgeld“ werden immer fällig, falls einer ohne Fahrschein erwischt wird. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

In fast allen diesen Fällen müssen die Ertappten deshalb ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Höhe von 60 Euro zahlen. Damit ist die Sache dann erledigt. Wer allerdings öfter auffällt, bekommt in den meisten NRW-Städten eine Anzeige und wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Wer die nicht zahlen kann, kommt hinter Gitter und kostet den Staat rund 200 Euro pro Tag.

Nicole Bögelein, Kriminologin an der Universität Köln, hält diese Ersatzfreiheitstrafe für „sozial ungerecht“. „Da werden Menschen dafür bestraft, dass sie kein Geld haben, um eine Strafe zu bezahlen.“ Dabei sei der Unrechtsgehalt gering, keine kriminelle Energie im Spiel, und es müsse in den meisten Fällen kein Hindernis überwunden werden, zählt sie auf und fragt rhetorisch: „Ist das Strafrecht für so etwas das Richtige?“ Zumal es fast immer Arbeitslose, mittellose Menschen ohne festen Wohnsitz und Suchtkranke trifft. „Diese Menschen können nichts zahlen, weil sie kaum etwas haben.“ Und wenn sie wieder rauskommen, haben sie oft gar nichts mehr. Wohnung weg, Bekannte weg, der geliebte Begleithund im Tierheim.

Erste Städte erstatten keine Anzeige mehr

Bögelein und zahlreiche andere Juristen fordern deshalb auch, das Schwarzfahren zu „entkriminalisieren“ und es wie eine Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Erste Städte wie Köln, Düsseldorf oder Münster sind bereits dazu übergegangen, keine Anzeigen mehr zu erstatten, Bonn hat angekündigt, auch davon abzusehen. Die Verkehrsunternehmen dieser Kommunen sind davon allerdings alles andere als begeistert.

„Wir Fachleute aus der Branche lehnen die Forderung, das Fahren ohne gültigen Fahrschein vom Straftatbestand zur Ordnungswidrigkeit herunterzustufen, entschieden ab“, bestätigt DSW21- Verkehrsvorstand Ulrich Jaeger. „Der generelle Verzicht von Strafanzeigen bei Mehrfachtätern würde ein falsches Signal an die Unbelehrbaren senden. Es kann nicht sein, dass das Erschleichen einer Leistung bagatellisiert wird und die Allgemeinheit dann dafür aufkommen muss – wir sind schließlich ein kommunales Unternehmen.“

Emir Avdic und Nadine Bendahou im vergangenen Sommer in Duisburg: Sie unterstützen eine Petition gegen die Kriminalisierung des Schwarzfahrens.
Emir Avdic und Nadine Bendahou im vergangenen Sommer in Duisburg: Sie unterstützen eine Petition gegen die Kriminalisierung des Schwarzfahrens. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Auch der Verband Deutscher Verkehrsbetriebe (VDV) sieht die geforderte Gesetzesänderung skeptisch. „Schwarzfahren verursacht erhebliche finanzielle Schäden für den ÖPNV“, sagt VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff. Und VRR-Vorstand Oliver Wittke warnt: „Eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit wäre eine Einladung zu noch intensiverem Missbrauch.“

Ein Gesetzentwurf soll in Planung sein

In Münster bisher nicht. „Nein“, sagt etwa Florian Adler, Sprecher der Stadtwerke Münster, „die Zahl der Beanstandungen bei Kontrollen, ist nicht gestiegen, seit wir keine Anzeigen mehr erstatten.“ Nach wie vor liegt sie bei 2,3 Prozent. „Das ist etwa jeder 50. Fahrgast.“ Und wer erwischt wird, muss natürlich – wie überall – das „erhöhte Beförderungsgeld“ von 60 Euro zahlen. Das sei unabhängig von den Strafanzeigen zu sehen, heißt es auch bei Rheinbahn in Düsseldorf. „Wird das nicht fristgerecht gezahlt, geben wir diese Forderung nach wie vor an ein Inkasso-Unternehmen weiter. An diesem Vorgehen hat sich nichts geändert“, bestätigt eine Sprecherin.

Auch Ex-Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wollte das Fahren ohne Ticket entkriminalisieren und sich bei den Strafen am Falschparken orientieren. Ein konkreter Entwurf soll in Planung sein. Was daraus unter einer neuen Regierung wird, ist allerdings völlig offen.

Initiative kauft Schwarzfahrer aus Gefängnissen frei

So bleibt wohl noch reichlich Arbeit für die „Initiative Freiheitsfonds“. Sie hat erst in der vergangenen Woche 60 Schwarzfahrer und Schwarzfahrerinnen in acht Bundesländern aus Gefängnissen freigekauft. Seit Ende 2021 hat sie mit Spendengeldern von mittlerweile rund einer Million Euro die Strafen für 1190 Betroffene gezahlt. Das sei, sagt ein Sprecher der Initiative, „die größte Gefangenenbefreiung der deutschen Geschichte“.

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