Duisburg/Dinslaken. Bahnpensionäre warten Monate darauf, dass ihre Pflegekosten bezahlt werden - mit gravierenden Folgen: Ein Heimbewohner befürchtete den Rauswurf.

Guido Schimanski findet klare Worte: „Ich kann dieses Niedermachen nicht mehr ertragen.“ Seit September des vergangenen Jahres gebe es massive Zahlungsprobleme bei der Pflegeversicherung seines dementen Vaters, was die Familie nicht nur finanziell belastet. Wegen nicht gezahlter Heim-Rechnungen stehe sogar der Rauswurf des Vaters aus dem Pflegeheim im Raum. „Ich mache mir große Sorgen“, sagt der Dinslakener.

Seit Monaten ärgern sich ehemalige Bahn-Beamte und ihre Familien über ihre private Pflegeversicherung. Die Gemeinschaft privater Versicherungsunternehmen (GPV), ein Tochterunternehmen des Verbands der Privaten Krankenversicherung, musste 2024 den Dienstleister wechseln. Das hat zu erheblichen Problemen geführt, wie diese Redaktion bereits im Januar berichtete. Daten, Akten und Anträge von rund 180.000 Bahn-Pensionären und aktiven Bahnbeamten mussten übertragen werden. Weil es dabei Probleme gab, haben Pensionäre zum Teil seit den Sommermonaten auf Erstattung ihrer Pflegekosten gewartet.

Pflegeversicherung kommt nicht hinterher: Betroffene helfen sich auf Facebook

In der Redaktion meldeten sich viele Betroffene, pflegende Angehörige und Familienmitglieder, die über eine dauer-besetzte Hotline und unbeantwortete Mails klagten. Manch einer sucht Hilfe beim Anwalt, andere auf Facebook, wo sich Angehörige austauschen und gegenseitig informieren. Vielfach geht es um hohe Erstattungsbeträge, die ausstehen. Ein Heimplatz kostet nicht selten mehr als 5000 Euro.

Pflegeheim droht Mann mit Rauswurf:
Ellen und Guido Schimanski gehören zu den Betroffenen, die mit Zahlungsproblemen der Pflegeversicherung GPV zu kämpfen haben. Sie sorgten sich, dass sie den Platz im Pflegeheim verlieren. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Im Fall von Guido Schimanskis schwer pflegebedürftigen Vaters sind es sogar fast 6000 Euro. Die Familie sei an Erspartes gegangen, um die Rechnungen zu überbrücken, erzählt der 54-jährige Schimanski. „Eine Rechnung ist uns durchgegangen, ich gebe zu, da haben wir zu lange gewartet.“ Doch kaum habe es eine Zahlungserinnerung des Duisburger Heimbetreibers gegeben, sei nahezu parallel der Mahnbescheid einer Anwaltskanzlei aus Hannover gekommen. Beide Schreiben von Ende 2024 liegen der Redaktion vor. Als eine Zwangsvollstreckung im Raum stand, habe seine Mutter gesagt: „Dann sollen sie mich ins Gefängnis stecken. Egal, aber ich kann nicht mehr.“

Was Schimanski am meisten ärgert: Er habe wieder und wieder versucht, bei der Pflegeversicherung seines Vaters Druck zu machen. Auf Mails habe es einmal die Reaktion gegeben, sie seien ansonsten ungelesen gelöscht worden, dann wurde eine Mailadresse sogar ganz abgeschaltet. Die alte Generation der Eisenbahner werde behandelt, als wären sie Zahlen,
die nur noch abgewickelt werden, sagt Schimanski.

Mails bleiben unbeantwortet, werden gelöscht, dann verschwindet die Mailadresse

Wer verbeamtet und privat versichert ist, muss bei der Pflege in Vorkasse gehen. 30 Prozent seiner Ausgaben bekommen die Versicherten von der Pflegeversicherung erstattet, 70 Prozent als sogenannte Beihilfe bezahlt. Bei den Bundesbahn-Pensionären war lange Zeit die Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (KVB) für beide Auszahlungen zuständig. Seit 2024 kümmert sie sich nur noch um die Beihilfe, die Leistungen der Pflegeversicherung GPV kommen nun von dem neuen Dienstleister HMM. Und der kam ins Straucheln.

Die Hintergründe der Zahlungsverzögerung sind für Außenstehende schwer nachvollziehbar. Aus gut informierten Kreisen heißt es, auch die KVB habe sich nicht mit Ruhm bekleckert, weil sie die sehr viel höheren Beihilfezahlungen zurückgehalten haben soll. Die Finanzaufsicht Bafin soll sogar auf den Plan gerufen worden sein. Die KVB hatte zurückgehaltene Beihilfezahlung gegenüber dieser Redaktion zuletzt dementiert. Guido Schimanski berichtet, Beihilfe sei zwar durchaus gezahlt worden, aber nur in Abschlagsbeträgen.
 

Darf ein Heim einem Bewohner kündigen?

Die Pflegeheime stehen derzeit selbst unter erheblichem Druck. Kosten für Personal und Lebenshaltung sind gestiegen, Verhandlungen mit den Pflegekassen und Gelder der Sozialämter lassen oft aber auf sich warten. Auch deshalb reagierten einige inzwischen schneller und konsequenter, wenn Bewohner ihre Rechnungen nicht bezahlten, heißt es aus der Branche. Einen Heimvertrag zu kündigen, komme selten vor, dass aber Anwälte eingebunden werden, wenn Rechnungen nicht bezahlt werden, sei normal. Eine Heimleitung sagt es so: „Selbst wenn wir unsere Bewohner weiter unterstützen wollen, wir können es nicht. Auch uns steht das Wasser bis zum Hals.“

400.000 Fälle in fünf Monaten abgearbeitet: Geschichte nimmt für Duisburger gutes Ende

Bei dem Verband der privaten Krankenversicherungen (PKV) ist man derweil um Aufklärung bemüht. Inzwischen sei es HMM gelungen, den Rückstau aus der „Bugwelle“ der Verlagerung von rund 180.000 KVB-Versicherten mitsamt ihrer ganzen Akten, Kontodaten und Leistungsanträgen überwinden zu können. Der neue Dienstleister habe innerhalb von fünf Monaten mehr als 400.000 Leistungsfälle bearbeitet. „Die letzten verbliebenen Fälle beruhen auf komplexen und klärungsbedürftigen Sachverhalten“, so ein Sprecher.

Tatsächlich berichten Betroffene von Verbesserung. Julia M. aus Duisburg, die das erste Gespräch mit dieser Redaktion gesucht und damit den Ärger überhaupt erst publik gemacht hat, erzählt nun am Telefon, dass zwar noch nicht alles fehlerfrei laufe, aber alle Rechnungen erstattet worden seien. Andere pflegende Angehörige beklagen, dass Rechnungen oft falsch seien, die Erreichbarkeit immer noch nicht gut und dass sie noch auf Geld zum Teil aus den Sommermonaten 2024 warten. „Es ist eine Katastrophe“, klagt eine pflegende Angehörige aus Duisburg.

Für Guido Schimanski ist der Ärger vorerst aber vorbei. Am Abend ihres 84. Geburtstags habe seine Mutter ein Schreiben der Pflegeversicherung aufgemacht: Alle ausstehenden Erstattungsbeträge würden nun angewiesen, berichtet Schimanski. Die Sorge, der schwer demente Ehemann müsse sein Pflegeheim verlassen, sei vom Tisch. Der Ärger der vergangenen Monate ist nicht vergessen.

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