Essen/Duisburg. Eine Familie aus dem Ruhrgebiet wartet seit Monaten auf Geld von der Pflegeversicherung. Ein extremer Fall, aber kein Einzelfall.
Die Familie hat Geld zusammengelegt. Schon zwei Mal sind die Brüder und Julia M. an ihr Erspartes gegangen, um die Pflegeheimkosten ihres Vaters zu decken. Denn die private Pflegeversicherung des pensionierten Bundesbahnbeamten, die dies eigentlich tun sollte, kommt mit ihren Zahlungen nicht nach.
Seit vier Monaten rennt Julia M. der Versicherung hinterher, führt lange Listen über zahlreiche Anrufe und Mails. Es geht um viel Geld: M. spricht von Rechnungen über 20.000 Euro, die zum Großteil nicht gedeckt worden seien. Dazu zählten auch Pflegekosten der Mutter. Etwa 15.000 Euro habe die Familie insgesamt überbrückt, dafür auch das Einkommen des Vaters ausgereizt.
„Ich weiß langsam nicht mehr weiter“, sagt M., selbst Mutter eines Kita-Kindes. Einzelne Beträge seien zwar eingegangen, aber längst nicht alles. „Uns wurde 2024 mitgeteilt, dass der Dienstleister der Pflegeversicherung gewechselt hat. Dass es da ruckelt, ist ja klar. Aber doch nicht in diesem Ausmaß.“
Beschwerdeanrufe bei der Gewerkschaft: 180.000 Beamte und Pensionäre sind betroffen
Mit ihrem Unmut ist die Frau aus dem Ruhrgebiet, die ihren vollen Namen nicht veröffentlicht sehen will, nicht allein: Bundesweit sind pensionierte Bahnbeamte unterschiedlich stark vom Ärger mit der privaten Pflegeversicherung betroffen, wie die Gewerkschaft EVG berichtet. „Uns bestürmen Mitglieder mit Problemen“, sagt der zuständige Gewerkschaftssekretär Martin Benner. „Wir befürchten, dass es eine dreistellige Zahl von Mitgliedern gibt, die seit Monaten auf die Auszahlung von mehreren zehntausend Euro durch die Versicherung warten.“
Was ist schief gelaufen?
Alles aus einer Hand? In der Pflege ist es bei den Bahnbeamten komplizierter
Zunächst: Wer privat pflegepflichtversichert ist, bekommt die gleichen Leistungen wie gesetzlich Versicherte. Man muss Rechnungen aber bei der Versicherung einreichen, die die Kosten erstattet. Versicherte gehen also in der Regel in Vorkasse. Frühere Beamte erhalten zusätzlich Beihilfe, was zusammen einen Großteil der Heimkosten abdeckt.
Aus Sicht von Familie M. kam bislang alles scheinbar aus einer Hand: Egal ob für den Vater Kranken- oder Pflegekosten entstanden sind, die Forderung nach Erstattung ging an die „Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten“. Diese KVB ist keine private Krankenversicherung, übernimmt als spezielle Rechtsform aber die Leistungen im Krankheitsfall bei aktiven und pensionierten Bahnbeamten. Sie wickelt zudem die Beihilfezahlungen aus dem Bundeseisenbahnvermögen für die rund 180.000 Versicherten ab - und: Sie hat bislang die Verwaltungsarbeit für die private Pflegeversicherung übernommen.
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Letzteres aber nur als Dienstleisterin: Die Pflegepflichtversicherung liegt seit 30 Jahren bei der Gemeinschaft privater Versicherungsunternehmen (GPV), einem Tochterunternehmen des Verbands der Privaten Krankenversicherung. Die KVB übernahm 1995 lediglich die Sachbearbeitung und bekam dafür Geld. Weil sich das nach eigenen Angaben nicht mehr rechnete, kündigte die KVB das zum Jahresende 2024. Die Gemeinschaft privater Versicherungsunternehmen musste sich einen neuen Dienstleister suchen, der seit dem Sommer nun schrittweise die KVB-Daten aller 180.000 Versicherten in die eigene Datenbank überträgt, um ihre Pflegekosten erstatten zu können. Und dabei knirscht es offenbar.
Familien haben das Nachsehen in einem Verwaltungsstreit
Wer die Schuld daran trägt, ist für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Die KVB meint, bei ihr sei bei der Übergabe alles reibungslos verlaufen, der jetzige Dienstleister sei aber offenbar neu in dem Bereich und für die Versicherten nicht zu erreichen. Um soziale Härten abzumildern, seien anders als üblich vorab Beihilfe-Abschläge gezahlt, so Abteilungsleiterin Regine Alakca.
Der Verband der Privaten Krankenversicherung gesteht seinerseits zwar, dass es trotz aller Vorbereitungen eine „gewisse Lernphase“ gegeben habe. Er beschreibt aber auch eindrücklich erschwerte Bedingungen. Bei der Übertragung der Verträge fehlten in zahlreichen Fällen für die Erstattung wichtige Daten wie Vollmachten, Bankverbindungen oder das notwendige SEPA-Mandat, so ein PKV-Sprecher.
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Trotzdem sei es gelungen, 89 Prozent der Fälle abzuarbeiten. Seit dem Übergang zum neuen Dienstleister seien über 300.000 Vorgänge von Versicherten eingereicht worden. Die meisten Rückstände gebe es noch aus November und Dezember. Der Sprecher stellt Besserung in Aussicht: Bis Ende Januar sollen Versicherte nicht länger als die branchenüblichen vier Wochen auf Erstattung warten. Das Callcenter sei zudem aufgestockt worden: In der Spitze habe es 8000 Anrufe am Tag gegeben - gerechnet habe man mit bis zu 700.
Die Gewerkschaft EVG hat nach eigener Auskunft zudem erreicht, künftig Härtefälle ihrer Mitglieder direkt an die GPV weitergehen zu können. Gewerkschaftssekretär Benner spricht von einer „Bypass“ für besonders kritische Fälle.
22 Anrufe und Mails in vier Monaten: „Ich sehe da kein Licht“
Familien wie die von Julia M. hatten das Nachsehen. M. hat ihren demenzkranken Vater bis Anfang 2024 noch zu Hause mit gepflegt. Erst seit Mitte April ist er im Heim. Als Bevollmächtigte führt sie seine Finanzgeschäfte, ärgert sich deshalb seit September mit der Pflegeversicherung herum. 22 Anrufe und Mails hat sie protokolliert, oft 40 Minuten in der Warteschleife verbracht, auch die Zusage, als Härtefall behandelt zu werden, habe nichts geändert. Sie berichtet von erklärungsbedürftigen Schreiben, gesteht, inzwischen etwas den Überblick verloren zu haben. Beihilfe-Zahlungen der KVB habe es aber gegeben. Sie hätten sie aber „über Wasser gehalten“.
Seit Anfang Dezember habe es „Kleckerbeträge“ von der Versicherung gegeben, zum Jahreswechsel eine größere Summe. Trotzdem: „Ich sehe da im Moment kein Licht“, sagt M. Am meisten stört sie die Art der Kommunikation: „Dieser ganze Vorgang ist unmöglich.“ Die Familie habe früh beim Pflegeheim des Vaters gefragt, ob Zahlungen gestundet werden könnten. Das sei abgelehnt worden, erzählt M. Den Pflegeheimen fehlt oft selbst Geld.