Duisburg. Die Lektorin Alla Leshenko aus Duisburg wird bedroht, weil sie sich zu Politik und Sprache äußert. Hetze im Netz ist Alltag geworden.
Alla Leshenko bekommt Morddrohungen – und macht sie öffentlich. Die Lektorin aus Duisburg ist in den Sozialen Medien aktiv, erklärt dort pointiert die deutsche Sprache und wirbt für Demokratie, auch weil sie in ihrer Jugend in Usbekistan erlebt hat, wie es in einem nicht freien Land zugeht. Als Influencerin, deren Texte von einigen Zehntausend Menschen gelesen werden, bekommt sie gelegentlich Hasskommentare. Aber so etwas noch nie. Fünf Minuten lang starrte sie auf die Morddrohung. „Herzrasen, Schweißausbrüche! Dann dachte ich: Das bin ich nicht, das lasse ich nicht zu.“ Und darum liest sie uns aus der Morddrohung vor:
„Sehr geehrte Frau Leshenko, leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Ihre Beitraege eine Schande fuer jeden aufrechten deutschen Buerger sind. Sie usbekische Hure haben uns nicht darueber zu belehren, was deutsch ist. In der Vergangenheit wurden Sie mehrfach gewarnt. Nun ist die Zeit fuer Konsequenzen. Wir wissen, wo Sie wohnen. Wir kennen Ihre Familienverhaeltnisse. Wir werden Sie, Frau Leshenko, toeten. Wir werden Ihre Familie toeten. Und nicht nur das. Vor Ihrem Tod werden Sie die schlimmsten erdenklichen Qualen leiden. Sie werden um den Tod betteln. Das versprechen wir Ihnen. Sie werden in der Hoelle schmoren Sie elende F ...“
Schimpfwort der Redaktion bekannt, und das soll auch genügen.
Der Preis des Populismus
Alla Leshenko hat Anzeige erstattet und dann diese Morddrohung auf Facebook und LinkedIn gepostet. Dazu schrieb Sie: „Das ist der Preis, den wir für Ihre Beteiligung an Populismus und Migrantenfeindlichkeit zahlen, liebe demokratische Politiker:innen.“
Statistik und Experten geben ihr Recht.
Jedem vierten Internetnutzer ist schon mal körperliche Gewalt angedroht worden. Jeder zweite wurde beleidigt. Aber Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund sind deutlich häufiger betroffen – ebenso wie junge Frauen und Menschen, die sich politisch äußern. Vor allem, wenn sie Sympathien für die Grünen erkennen lassen. Das hat die repräsentative Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug“ des „Kompetenzzentrums Hass im Netz“ (Das Nettz) ergeben. Ein Drittel der Betroffenen berichtet von psychischen Beschwerden, bei fast einem Fünftel schlägt es auf den Körper durch.
„Drohungen gegen einzelne Personen oder Gruppen werden gezielt als politische Strategie genutzt, das haben verschiedene Studien gezeigt“, sagt Nettz- Geschäftsführerin Hanna Gleiß. „Auch zu Desinformation, Verleumdungen und Hasskommentaren gibt es relevante Verbindungen. Allerdings ist nicht alles, was im Netz passiert, politisch orchestriert. Es gibt auch Einzeltäter, die sich vielleicht ermutigt fühlen durch die Art, wie Debatten geführt werden oder durch bestimmte Narrative.“
Vor Wahlen nimmt es immer zu
„Vor Wahlen sehen wir stets einen Anstieg digitaler Gewalt im politischen Bereich“, sagt Gleiß. „Immer dort, wo Debatten polarisiert geführt werden, nehmen Anfeindungen, Beleidigungen und Drohungen zu. Die Zahlen sind bereits in den vergangenen Jahren enorm gestiegen.“ Auch AfD-Unterstützer können in den Fokus geraten, doch die große Hasswelle kommt aus der rechten Ecke.
Aus Sicht der Täter ist die Strategie erfolgreich: Mehr als die Hälfte aller Internetnutzer beteiligt sich inzwischen seltener an Diskussionen. Die „Demokraten“ werden aus dem Netz geekelt.

Nachdem Alla Leshenko die Morddrohung geteilt hatte, bekam sie mehr als tausend Nachrichten der Unterstützung. Freunde und Fremde boten ihr Rat und Recherche an, Obdach und ein Crowdfunding für einen Rechtsbeistand. Einige erzählten von eigenen Erfahrungen: „Das ist ein richtiges Scheißgefühl, was man schwer abschütteln kann. Ich habe auch schon Drohungen aus der Reichsbürgerszene erhalten und der Typ wurde verurteilt. Weitermachen, Kopf hoch ... sie sollen unsere Angst nicht bekommen.“
Ernst nehmen, aber weitermachen
Das hilft Alla Leshenko und trifft ihre Stimmung. Sie sagt: „Man muss das ernst nehmen, aber man darf sich nicht überwältigen lassen. Der Schritt an die Öffentlichkeit zu gehen, war eine Selbstermächtigung. Meine digitale Community unterstützt mich.“
Auch die Organisation HateAid hat sich bei ihr gemeldet und Unterstützung angeboten. Geschäftsführerin Josephine Ballon weiß: „Öffentlich darüber zu sprechen, kann zu Solidarität führen, aber auch weitere Anfeindungen nach sich ziehen.“
Es folgten vier weitere Drohungen.
„Sie sind Teil eines Systems, das die Ausrottung unserer Kultur befeuert. Damit betrachten wir Sie als ein destruktives Element, welches es zu beseitigen gilt. Bitte verwechseln Sie diesen Status nicht mit einer Vendetta, bei der Emotionen eine grosse Rolle spielen. Die Verteidigung der eigenen Kultur ist eine Aufgabe, die sich ueber
Generationen erstreckt. Daher koennen wir Ihnen nicht sagen, wann wir Sie und Ihre Familie besuchen werden. Wir werden Sie in der Zwischenzeit regelmaessig wissen lassen, dass wir an Sie denken.“
Auch eine Unterstützerin wurde bedroht. Silke Boger führt einen Verlag, der auch politische Bücher herausbringt und wird seit Jahren mit Hasskommentaren überzogen – täglich dutzendfach, wenn man die Nachrichten an ihre Mitarbeiter einbezieht. Morddrohungen sind in dieser Heftigkeit aber auch für sie neu. „Ich habe keine Angst, aber all das kostet viel Energie.“ Hass und Drohungen sind ihrer Erfahrung nach Alltag in Deutschland.

Auch Peter Schildwächter wird mit dem Tode bedroht, Alla Leshenkos Mann. In der Corona-Zeit haben die beiden angefangen, öffentlich gegen Querdenker zu argumentieren, dann für die Ukraine und gegen Rechts. Schildwächter schaut in sein Tablet: „Während Sie hier sind, habe ich vierzig Beschimpfungs- und Lügenkommentare bekommen unter einem Kommentar von mir beim Technikportal Heise. Dort habe ich mich nur für erneuerbare Energien ausgesprochen.“
Wer ist der Absender?
Ist die Morddrohung am Ende ein Liebesbrief aus Moskau? Schließlich haben Leshenko und Schildwächter auch gegen Putin Stellung bezogen und gerade Menschen aus der ehemaligen UDSSR sind Ziel von Einschüchterung im Internet. Nach den neuen Drohmails hält Leshenko dies für weniger wahrscheinlich. Der Schreiber geht immerhin auf Kommentare von Unterstützern ein, die ihn zu beschäftigen scheinen:
„Erstaunlich, wie stark die weltoffenen Guten an der Groesse der Geschlechtsteile und am Sexualleben ihrer Kontrahenten interessiert sind.“
Kann man den Täter finden?
„Das Bundeskriminalamt ist mittlerweile ganz gut“, sagt Josephine Ballon von HateAid. „Die Ermittlungsquoten liegen um die 50 Prozent. Es lohnt sich also, anzuzeigen, auch wenn nicht immer eine Verurteilung erfolgt.“ Die Duisburger Polizei nennt zu dem Fall aus ermittlungstaktischen Gründen keine Details. Aber sie sei „auch im Bereich der technischen Möglichkeiten gut aufgestellt“. Erst im Oktober hatten die Duisburger federführend einen Kinderpornoring ausgehoben, der sich im Darknet organisierte. Der Schreiber der Drohmails bedient sich ähnlicher Verschleierungstechniken. Auf Bedrohung steht maximal ein Jahr Haft oder eine Geldstrafe.
Enttäuscht sind Leshenko und Schildwächter allerdings, dass sich die Polizei auch nach über einer Woche noch nicht bei Ihnen gemeldet hat. Beim Duisburger Einwohnermeldeamt hatten Sie eine Auskunftssperre beantragt, damit kein Fremder ihre Adresse abfragen kann. Die Reaktion hat sie fassungslos gemacht: Voraussetzung seien behördliche Nachweise über die drohende Gefahr. Die Drohungen müssten bereits gerichtlich verfolgt worden sein. „Auch sind Sie in den sozialen Medien sehr aktiv und geben auch sehr viel Privates preis (...) Dies alles würde der Einrichtung einer Auskunftssperre für Sie und Ihren Ehemann, dessen Namen Sie auf Facebook veröffentlicht haben, entgegen stehen.“ Das klingt wie selber schuld. Vor allem aber ist keine dieser Bedingungen im vom Amt zitierten Paragrafen 51 des Bundesmeldegesetzes zu finden. Es genügen „Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen“.
Das bedeutet Hass im Netz
Was Hass im Netz bedeutet, hat die repräsentative Studie „Lauter Hass - Leiser Rückzug“ untersucht, herausgeben vom „Kompetenznetzwerk Hass im Netz“:
• Ein Viertel aller Internetnutzer wurde mit Androhung von körperlicher Gewalt konfrontiert, 13 % mit sexualisierter Gewalt.
• Fast jede zweite Person (49 %) wurde schon einmal online beleidigt.
• Besonders betroffen sind Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund (30 %), junge Frauen (30 %), und Menschen mit homosexueller (28 %) oder bisexueller (36 %) Orientierung.
• Der Hass bezieht sich am häufigsten auf die politischen Ansichten (41 %). Bei Menschen, die Sympathien für die Grünen bekundet haben, liegt der Anteil noch höher (71 %).
• Betroffene ziehen sich sozial zurück (41 %), berichten über psychische Beschwerden (35 %) oder gar körperliche (18 %).
• Mehr als drei Viertel der Befragten (76 %) sind besorgt, dass durch Hass im Netz auch die Gewalt im Alltag zunimmt.
• Mehr als die Hälfte beteiligt sich seltener an Diskussionen (55 %).