Hagen. Die Geschichte von Papa oder Oma müsste man mal aufschreiben? Wie Sie Schritt für Schritt vorgehen, erklärt Biografin Birgit Ebbert.

„Deine Geschichte müsste man mal aufschreiben!“ – Wer hat das noch nicht gesagt bei einem Familientreffen – oder sogar gesagt bekommen? Doch eine Biografie oder seine Memoiren aufzuschreiben, ist ein größeres Projekt. Wie man es Schritt für Schritt angeht, erklärt Birgit Ebbert. Die Autorin aus Hagen hat sich auf Biografien spezialisiert („Die Königin von der Ruhr“ über Margarethe Krupp) und gibt ihr Können in Schreibwerkstätten weiter.

1. Vorüberlegungen

Warum will man die Geschichte genau dieser Person erzählen? Was ist der interessante Kern? Und wer ist die Zielgruppe?

Soll ein Buch nur für die Familie entstehen, sind andere Details wichtig, als wenn man eine breitere Gruppe ansprechen möchte. Womöglich ändert sich sogar der rote Faden, vielleicht beschränkt man sich im zweiten Fall auf Beruf, Wirkung im Ehrenamt oder Episoden, die gar nicht verbunden sein müssen.

Es muss auch kein Buch werden. Sofern die zu porträtierende Person noch lebt und sich erinnern kann, könnte man sie auch nur im Video erzählen lassen oder befragen.

Wenn es eine Autobiografie werden soll, empfiehlt Birgit Ebbert in ihren Workshops oft Erich Kästners „Als ich ein kleiner Junge war“ als Inspirationsquelle.

Wer abstrakter an das Thema herangehen möchte, kann sich Max Frischs „Fragebogen“ anschauen. Der beginnt so: „1. Sind Sie sicher, dass Sie die Erhaltung des Menschengeschlechts, wenn Sie und alle Ihre Bekannten nicht mehr sind, wirklich interessiert? 2. Warum? Stichworte genügen.“ Handfeste Anleitung versprechen Bücher wie „Oma, erzähl mal“, die biografische Fragen vorstrukturieren.

Birgit Ebbert schreibt Biografien und gibt Tipps zur richtigen Herangehensweise.

„Gibt es ein Thema, das sich durch das Leben zieht? Das macht die Erzählung spannend und hilft, sich zu sortieren. “

Dr. Birgit Ebbert
Autorin aus Hagen

2. Sammeln

Für Ebbert beginnt ihre eigentliche Arbeit mit dem Sammeln des Materials: „Wenn die Person noch lebt, würde ich als Erstes mit ihr sprechen: Was möchte sie erzählen? Was fällt ihr spontan ein?“ Was sind die Schlüsselereignisse in ihrem Leben? Welches Material hat sie?

Tagebücher, Fotos, Dokumente sind wichtige Ergänzungen – und die Basis für den Fall, dass die Hauptperson der Biografie nicht mehr lebt. Bei dieser Materialsammlung, sagt Ebbert, „ist es wichtig, weit zu schauen und andere zu fragen, ob sie Briefe oder Erinnerungen haben.“ Die verschickten Briefe sind meist aussagekräftiger als die empfangenen. „Manchmal entdeckt man auch auf Postkarten interessante Details.“ Und natürlich kann man Menschen befragen, die unseren Protagonisten kannten.

Ebbert recherchiert dazu auch den Zeitkontext, zum Beispiel historische Ereignisse, um die Erlebnisse der Person besser einordnen zu können.

3. Strukturieren

Birgit Ebbert sortiert ihr Material chronologisch, um einen Überblick zu bekommen und Lücken zu identifizieren. Aber es kann auch Sinn machen, thematisch vorzugehen. Siehe Vorüberlegungen: Vielleicht möchte man nur Kindheits- oder Kriegserinnerungen aufschreiben.

Ebbert sucht „nach wiederkehrenden Themen, die sich durch das Leben ziehen“ und nach Wendepunkten. „Das hilft, den roten Faden zu finden. Der macht eine Geschichte erst spannend.“

Andere Autoren arbeiten mit Konzepten wie der „Heldenreise“. Dabei handelt es sich um das Grundmuster der klassischen Mythen. Es steckt in „Herr der Ringe“ ebenso wie in „Findet Nemo“: Der Held hört den Ruf des Abenteuers, will aber nicht. Ein Ereignis zwingt ihn, aufzubrechen. Es gibt Bewährungsproben und schließlich einen Tiefpunkt, an dem der Held zu scheitern droht. (Endet die Geschichte hier, handelt es sich um ein Drama.) Aber die Feuerprobe macht ihn stärker, verwandelt ihn ... Birgit Ebbert findet, dass ein solches Schema der Komplexität von Biografien meist nicht gerecht wird – aber manchmal mag es passen.

4. Details herausarbeiten

Die Details machen eine Erzählung lebendig. Lebt die Person noch, kann man sie bitten, besondere Ereignisse möglichst anschaulich zu schildern. Welches Lied lief beim ersten Kuss? Holte die Großmutter noch Kohlen aus dem Keller, wie sah sie danach aus? Die meisten Menschen sind es nicht gewohnt, dass andere so sehr an Details interessiert sind – es kann helfen, auch mehrfach nachzufragen. „Ich würde mich dabei aber auf die Meilensteine des Lebens konzentrieren“, sagt Ebbert. „Sonst kommt man nicht voran.“

5. Schreiben oder schreiben lassen

Schreiben ist ein Handwerk. Interviews und anderes Material in Form zu bringen, dürfte für viele der schwierigste Teil des Projekts Biografie sein – verspricht aber auch das größte Erfolgserlebnis. Wer Tipps zum guten Stil sucht, dem sei Wolf Schneider: „Deutsch fürs Leben“ empfohlen.

Aber es gibt moderne Hilfsmittel: Transkriptionssoftware, die zum Beispiel auf „Whisper“ basiert, verschriftlicht vollautomatisch Audio und Video. Das Resultat (oder auch selbst geschriebene Fragmente) kann man weiterverarbeiten mit ChatBots wie ChatGPT, Claude oder Gemini. Tatsächlich sind bereits Diktiergeräte auf dem Markt wie „Plaud“, die Transkription und Weiterverarbeitung eingebaut haben. Wer ein solches Gerät mitlaufen lässt oder seine Dateien mit der entsprechenden Software bearbeitet, bekommt schnell ein akzeptables Ergebnis oder eine Vorlage, mit der man weiterarbeiten kann.

Entscheidend bei der Verwendung von ChatBots sind die richtigen Anweisungen („Prompts“). Tipp: Man kann den ChatBot im ersten Schritt bitten, nach den gewünschten Kriterien einen präzisen Prompt für sich selbst zu formulieren. Anschließend sollte man nicht den gesamten Text, sondern Kapitel für Kapitel bearbeiten.

1500

neue Biografien erscheinen ungefähr jedes Jahr in Deutschland in Buchform. Das entspricht etwa jedem vierzigsten Buch. Im englischsprachigen Raum ist das Genre noch populärer.

Unter den meistverkauften Sachbüchern des vergangenen Jahres finden sich „Freiheit“ von Angelas Merkel, „Patriot“ über Alex Nawalny und „Altern“, eine persönliche und damit auch biografische Betrachtung von Elke Heidenreich.

Für Kontroversen sorgte Thomas Gottschalk mit „Ungefiltert“. Hape Kerkeling, der seit vielen Jahren Selbsterlebtes publiziert, schreibt (unter anderem) über seine Familiengeschichte in „Gebt mir etwas Zeit“. Dies illustriert die Bandbreite dessen, was Biografien sein können und abdecken.