Velbert. Für das Verständnis des kranken Menschen ist das Kennen seiner Biografie wichtig. Eine Pädagogin gibt Tipps, was beachtet werden muss.
Wie wichtig die Arbeit mit der Biografie von an Demenz erkrankten Menschen ist, hat Diplom-Pädagogin Monika Thöne eindrucksvoll im Rahmen der Seminarreihe „Begleitung und Betreuung von Menschen mit Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen“ gezeigt.
Gleich zu Beginn des Themas „Biografiearbeit als Grundlage zum Verständnis kranker Menschen“ stellte sie ihre Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die unter anderem mit einem an Demenz erkrankten Menschen verheiratet oder Sohn oder Tochter oder in der Betreuung beruflich tätig sind, Fragen zur eigenen Biografie. Dabei war es interessant zu sehen, wie schwer schon die Einschätzung des eigenen Umfelds sein kann. „Habt ihr als Kind in einer Groß- oder Kleinstadt oder in einem Dorf gelebt?“ - Der eine Langenberger sah sein Städtchen als Kleinstadt, für die andere war es ganz klar ein Dorf. Schon hier seien stark unterschiedliche Erlebnisse, unterschiedliches Vertrauen und Verhaltensregeln entstanden. Auf dem Dorf könnte man raus, in der Stadt sei es eng.
Heimat kann verschiedene Bedeutungen haben
„Was ist Heimat, was ist Zuhause?“, fragte sie weiter. Wer früh seine Wohnorte gewechselt hat, spreche eher über ein Zuhause. Heimat sei der Klang der Sprache, das Essen, Gewohnheiten. Aber Heimat sei es auch, 50 Jahre an einem Ort zu leben. Was bedeute es dann, wenn ein Dementer im Alter noch mal umgezogen ist. Manchen ging es in der Heimat der Kindheit wieder viel besser, obwohl sie lange woanders gewohnt haben. Dann fragte Monika Thöne weiter, zeigte die Unterschiede auf: „Wer lebt jetzt alleine? Wer hat schon mal lange alleine gelebt? Wer hat immer mit jemandem zusammen gewohnt?“
Keine Länderhäufung
Demenz hat keine Länderhäufung, Demenz gibt es in allen Ländern. In dörflichen Organisationen ist die Erkrankung weniger ein Problem, weil es dort die Mehrgenarationen-Familien gibt. Wenn einzelne Fähigkeiten nachlassen, dann „macht die Oma was anderes“, so Thöne. Dann fragt sie weiter: „Ist das Bett ein sicherer Ort für euch?“ Darüber müsse man bei Schlafstörungen nachdenken. In größeren Familie sei vielleicht auch heute noch die Toilette der einzige Ort, wo man mal alleine sein kann, sie ist ein Rückzugsort. Und nun sollen die Erkrankten nicht abschließen dürfen. Eine berechtigte Angst der Betreuenden, ein berechtigter Widerstand beim Erkrankten.
„Einfach meckern lassen“
Mit einer andere Übung wurde aufgezeigt, wie leicht Stress entstehen kann. Was tun? „Einfach mal meckern lassen, meckern ist wunderbar, für einige“, empfiehlt die Pädagogin.
Sozialisation löst sich nach und nach auf
In der Demenz gehe man zwar zurück, werde aber nicht wirklich zum Kind. Dennoch erkennen sich die erkrankten Menschen manchmal nicht mehr im Spiegel. Alles, was sich in der Sozialisation nach und nach aufgebaut hatte, löst sich nach und nach auf. Dabei werde unterschieden nach Sinnhaftigkeit, Versteh- und Gestaltbarkeit, nach materiellem Besitz, den sozialen Bindungen, dem Beruf und Werten und Normen.
Ein leichterer Umgang mit Demenz durch geeignete Bücher
Diplom-Pädagogin Monika Thöne hatte einige Bücher im Gepäck, die sie zum Thema Demenz empfahl. Im Bereich der Romane beispielsweise „Einfach unvergesslich“ von Rowan Coleman oder „Der alte König in seinem Exil“ von Arno Geiger.
Auch in der Fachliteratur gibt es viele Empfehlungen, beispielsweise von Gerald Hüther „Raus aus der Demenzfalle“. Gerald Hüther ist selbst an Demenz erkrankt und das Buch eignet sich auch sehr gut für Demenzkranke. Auch die Autobiografie von Helga Rohra „Aus dem Schatten treten“, mit dem sich Rohra für demente Menschen einsetzt und die Thematik europaweit öffentlich macht.
Oft sei Scham der Grund für Rückzug, auch Inkontinenz oder das Vergessen von Namen. Schlimm sei es auch, wenn die Kranken keine Antworten mehr haben. Werte wie Ordnung, Disziplin, Ehrlichkeit: „In der Demenz geht das alles flöten.“
Verdrängte Krisen kommen in der Demenz wieder hoch
Wenn Krisen verdrängt wurden, kommen sie in der Demenz wieder hoch. In der „dementiellen Veränderung“ tauchten plötzlich verschwiegene Geschwisterkinder auf, die der Familie nicht bekannt waren. In der Kriegsgeneration konnte es sein, das die Partner von den weggegebenen Vergewaltigungskindern nichts wussten. Generell seien Kriegsthemen gern „geschluckt worden. Wut und Angst kommen hoch.“
„Nicht nachhaken, keine Fragen stellen“
Doch wie reagiert man dann richtig? Man kann nur sagen: „Was war das furchtbar, das hättest du nicht erleben dürfen.“ Man solle nicht nachhaken, keine Fragen stellen. Dennoch ist keine Antwort universell anwendbar. Im Umgang mit Dementen müsse man ständig neue Wege gehen. Ganz bestimmt, weil die an Demenz Erkrankten sich in der Welt, wie sie sich entwickelt hat, nicht mehr zurecht finden.