Essen. Der erst 18-jährige Inder Gukesh krönte sich im Dezember 2024 zum jüngsten Schach-Weltmeister aller Zeiten. Das macht ihn so stark.
Zu den herausragenden Persönlichkeiten des kürzlich beendeten Jahres 2024 zählt ganz sicherlich Gukesh. Der erst 18-jährige Inder krönte sich im Dezember in Singapur dank seines Triumphes im packenden Finale gegen den bisherigen Titelträger Ding Liren zum jüngsten Schach-Weltmeister aller Zeiten. In jenem Moment, als ihm am Brett sitzend der Sieg in der letzten Partie nicht mehr zu nehmen war, liefen ihm erst Freudentränen über die Wangen, ehe er dann die Jubelpose einnahm. Nun ist die ganze Welt gespannt, ob der neue Regent auf dem Schach-Thron auch das Zeug dazu hat, ein ganzes Zeitalter zu prägen.
Viel Lob auch vom deutschen Schach-Bundestrainer Jan Gustafsson
„Es ist einfach noch zu früh, um eine Einschätzung zu seiner möglichen Dominanz in den kommenden Jahren zu treffen. Der jetzige Weltmeister-Titel allein reicht da nicht aus“, sagt Jan Gustafsson. Und sein Wort hat in der Szene Gewicht. Denn der 45-Jährige ist nicht nur selbst ein Strategie-Ass im Range eines Großmeisters, sondern seit April 2023 auch Bundestrainer der deutschen Schach-Nationalmannschaft. Und in den drei Wochen des WM-Kampfes hat er jede der insgesamt 14 Partien intensiv begleitet – als Kommentator eines Live-Streams, der im Internet zu sehen war und der allein hierzulande täglich Tausende Interessierte angelockt hatte.
„Gukesh hat immer optimistisch und selbstbewusst agiert und auch ausgeglichene Stellungen sehr oft auf Gewinn weitergespielt“, stellt Gustafsson eine der Stärken des jungen Inders in den Vordergrund. Dieser nennt sich selbst tatsächlich nur Gukesh. Das sei in der Region Indiens, aus der er stammt, so üblich, erklärt Gustafsson. In vielen Medien wurde der neue Weltmeister stets Dommaraju Gukesh oder wahlweise Gukesh Dommaraju genannt. „Doch Dommaraju ist der Name seines Vaters. Und dieser wird nur manchmal als Namenszusatz für den Sohn verwendet“, erklärt Gustafsson, der gemeinsam mit Gukesh in dieser Saison in der Schach-Bundesliga für den Düsseldorfer SK an den Start geht. Zum Einsatz gekommen ist der neue Weltmeister dort bislang aber noch nicht.
In der entscheidenden Partie unterlief Ding Liren ein folgenschwerer Fehler
Unvergessen bleiben wird ganz sicher seine 14. und entscheidende Partie im WM-Kampf. Diese „roch“ nämlich sehr lange Zeit nach einem Remis, also einer Punkteteilung wie beim Unentschieden im Fußball. Dieses Resultat hätte dem packenden Duell eine Verlängerung beschert. Doch Gukesh spielte mit den schwarzen Steinen beinahe trotzig einfach weiter. Und weiter. Und weiter. Um so seinen Kontrahenten vielleicht doch noch zu einem Fehler zu verleiten. Und siehe da: Das Vorhaben klappte!
Es war dann der verhängnisvolle 55. Zug, als Ding Liren den weißen Turm auf das Feld f2 manövrierte. Und damit die eigentlich ausgeglichene Stellung mit nur einem Wimpernschlag zu seinem absoluten Nachteil veränderte. Gukesh erkannte den Fehler, nahm noch einige hastige Züge aus der Wasserflasche, die er stets an seinem Platz positioniert hatte, ehe er dann genussvoll besagten Turm schlug. Wenige Züge später gab Titelträger Ding Liren auf. Und beim neuen Champion flossen die Freudentränen.
In Gukeshs Sekundanten-Team saß auch der Deutsche Vincent Keymer
„Gukesh ist ein Naturspieler und hat in seiner Anfangszeit keine Eröffnungen gebüffelt oder mit Computer-Unterstützung gelernt. Sondern er ist instinktiv durchs Spielen immer besser geworden“, weiß Gustafsson über seinen Mannschaftskameraden zu berichten. Erst als klar wurde, wie viel Talent in diesem jungen Mann schlummert, sattelte sich dieser zusätzlich noch ein gigantisches Theorien-Paket drauf. Und es war in zahlreichen WM-Partien zu merken, dass Gukesh stets besser vorbereitet wirkte als sein Gegenüber.
Einen großen Anteil daran hatte auch sein Sekundanten-Team. Dahinter verbergen sich absolute Schach-Größen, die den Spielern in den Wochen des WM-Kampfes beratend und helfend zur Seite stehen. Das aber natürlich nicht während einer laufenden Partie, sondern ausschließlich in der Vor- und der Nachbereitung. Zu Gukeshs Helfern gehörte auch Vincent Keymer. Der 20-Jährige ist nicht nur der jüngste Großmeister in der deutschen Geschichte, sondern gilt hierzulande auch als derzeit stärkster Schachspieler.
Bundestrainer hält nach wie vor Magnus Carlsen für den Weltbesten
Und was machen die Sekundanten nun genau? „Sie erarbeiten Eröffnungsvarianten, die möglichst mit einigen überraschenden Zügen gespickt sein sollten. Damit will man den Gegner vor Probleme stellen“, erklärt Gustafsson. Er selbst gehörte dreimal zum Sekundanten-Team von Magnus Carlsen. Und dieser Norweger trug zwischen 2013 und 2023 selbst den Titel des Schach-Weltmeisters. Nicht nur für Gustafsson ist Carlsen „nach wie vor der stärkste und bekannteste Spieler auf diesem Planeten“. Doch nach einer Dekade der Regentschaft verzichtete er vor zwei Jahren freiwillig auf die anstehende Titelverteidigung. Und machte somit den Weg frei für einen Nachfolger.
Dieser hieß zunächst Ding Liren aus China. Und seit Dezember 2024 nun eben Gukesh aus Indien. Letzterer hat in seinem Heimatland die eh schon grassierende Schach-Euphorie noch einmal in neue Dimensionen gehoben. Gleich mehrere Top-Spieler von dort sind inzwischen in die Weltspitze vorgedrungen. Von daher war es auch nicht verwunderlich, dass sich Indien im Vorjahr das Mannschafts-Gold bei der Schach-Olympiade sichern konnte.
Für den ersten Schach-Boom in Indien hatte Ex-Weltmeister Anand gesorgt
Den ersten Impuls zu diesem Schach-Boom auf dem Subkontinent hatte sicherlich Viswanathan Anand gesetzt. Er war zwischen 2007 und 2013 Weltmeister und gilt heute noch vielen jüngeren Spielern als absolutes Vorbild und Motivationsspender. Nun könnte aber Gukesh als neuer Titelträger in diese besondere Rolle schlüpfen.
Seinen Titel wird Gukesh vermutlich erst Ende 2026 verteidigen müssen. Das hochkarätig besetzte Kandidatenturnier, in dem sein kommender Gegner ausgespielt wird, ist laut Gustafsson im Augenblick für April 2026 angesetzt.
Mindestens zwei Deutsche haben das Zeug zur absoluten Weltspitze
Hat denn auch ein deutscher Spieler die Chance, dort nach den Sternen zu greifen? „Vincent Keymer und Frederik Svane sind bereits in Richtung absolute Weltspitze unterwegs“, stellt Bundestrainer Gustafsson zweien seiner Schützlinge ein besonders herausragendes Zeugnis aus. Ob es für sie aber auch zur Teilnahme an besagtem Kandidatenturnier reichen wird, mag er heute nicht prognostizieren. Denn dazu gehöre neben immensem Können immer auch eine kleine Portion Glück. Doch Gukesh sei ein leuchtendes Beispiel dafür, wie überraschend schnell der Weg bis nach ganz oben tatsächlich manchmal führen könne.
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