Dortmund/Iserlohn. Christel Reimers erlebte, wie zunächst keine Klinik ihre Schwester aufnehmen konnte. Was Rettungsdienste in so einem Fall tun können.
Die Zeit schien nicht enden zu wollen. Und Christel Reimers fühlte sich hilflos. „Du sitzt da und kannst nichts anderes tun, als zu warten“, sagt die 72-Jährige. „Das war ein furchtbares Gefühl. Und jeder von uns kann in diese Situation kommen.“
Christel Reimers hat schon im Treppenhaus gesehen, dass es ihrer Schwester nicht gut ging. Am Küchentisch brach die 69-Jährige bewusstlos zusammen, als sie wieder wach wurde, redete sie undeutlich. Reimers sagt, sie habe einen Schlaganfall bei ihrer Schwester vermutet und den Rettungsdienst gerufen. Der sei auch schnell zur Stelle gewesen und habe den Verdacht zunächst ausgeräumt - doch als die Rettungskräfte die Frau zur Behandlung in ein Krankenhaus bringen wollten, erlebte Reimers die für sie so furchtbare Situation: „Niemand konnte meine Schwester aufnehmen.“
Rettungskräfte suchen nach einem Klinikbett
Über einen längeren Zeitraum hätten die Sanitäter versucht, ein freies Bett zur intensivmedizinischen Überwachung zu finden, erinnert sich Reimers einige Wochen nach dem Vorfall im Dezember. Aus Iserlohn im Märkischen Kreis, wo Reimers wohnt, habe man es bis ins Kern-Ruhrgebiet hinein versucht. Ein Sanitäter habe sie auf dem Laufenden gehalten.
Etwa 45 Minuten nach dem Eintreffen des Rettungswagens sei die Schwester dann zu einer Hagener Klinik gefahren worden. „Das Krankenhaus musste meine Schwester aufnehmen“, sagt Reimers. Die Rede sei von einer regelrechten Zwangszuweisung gewesen.
„Und jeder von uns kann in diese Situation kommen.“
Notzuweisungen: „In einer Stadt wie Dortmund ist das fast Tagesgeschäft“
Eine Situation, wie man sie nicht nur im ländlichen Raum kennt: Immer wieder passiere es, dass Kliniken auch dann vom Rettungsdienst angefahren werden, wenn sie im jeweiligen Fachbereich eigentlich an der Belastungsgrenze sind, bestätigen Fachleute. Sie sprechen dann von einer sogenannten Notzuweisung. Im Fall von Christel Reimers‘ Schwester ist laut Märkischem Kreis diese konkrete Maßnahme zwar nicht ergriffen worden. Doch sie kommt landesweit zum Tragen.
Statistiken findet man dazu nicht. Aber: „In einer Stadt wie Dortmund ist das fast Tagesgeschäft“, sagt etwa Holger Herlinghaus, Bereichsleiter für Gefahrenabwehr und Rettungsdienst bei der Dortmunder Berufsfeuerwehr. Er sagt es allerdings ohne Alarmismus in seiner Stimme - wie so oft im Gesundheitssystem weiß man sich zu helfen. „Die Rettungsdienste versuchen, überall Lösungen zu finden.“
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Überlastete Kliniken sind für den Rettungsdienst rot markiert
Ein Krankenhaus ist verpflichtet, „alle, die seine Leistungen benötigen, nach Art und Schwere der Erkrankungen zu versorgen“. Notfallpatientinnen und -patienten haben Vorrang. So regelt es das Krankenhausgestaltungsgesetz NRW. Immer wieder geschieht es, dass Stationen und Kliniken an die Kapazitätsgrenze geraten - an der Notfallversorgung nehme so ein Krankenhaus trotzdem weiter teil, unterstreichen Fachleute.
Alexander Lechleuthner arbeitet seit 30 Jahren als Ärztlicher Leiter für eine der größten deutschen Berufsfeuerwehren und kennt die Lage in ganz NRW gut. Der Kölner sagt: „Es ist manchmal tückisch. Du hast wochenlang keinen Schlaganfallpatienten in deinem Gebiet und dann kommen zehn auf einmal.“ Im Gesundheitswesen werde das Personal aber immer knapper - gerade spezialisierte Kliniken könnten nicht beliebig aufstocken. „Sie halten bestimmte Kapazitäten vor. Wenn die überschritten sind, melden sie sich überlastet und zeigen damit an, dass sie für jeden weiteren Patienten nicht die gewohnte volle Versorgung zusichern können.“ Das habe auch Haftungsgründe. Ob eine Station auch überlastet war, lasse sich im Zweifel gerichtlich überprüfen, sagt Lechleuthner.
Notfallkoordinatoren und Intensivstationen auf vier Rädern gegen den Mangel
Die 340 Kliniken in NRW melden sich über ein Programm, auf das auch die Feuerwehren und Rettungskräfte direkt zugreifen können. Noch im Einsatzwagen sehen die Kräfte somit, welche Klinik für einen bestimmten Fachbereich auf „rot“ steht. Fehlt dem Rettungsdienst die Alternative, kann er das Krankenhaus trotzdem anfahren.
Aber mit Rücksprache: „In Dortmund haben wir an jeder Klinik Notfallkoordinatoren etabliert, die wir dann anrufen, um einen Fall zu besprechen“, sagt der dortige Rettungsdienst-Leiter Herlinghaus. Auch in anderen Städten gibt es solche Koordinatoren. Herlinghaus spricht von einem Miteinander, die Notzuweisung ist demnach kein Mittel des Durchsetzens gegen alle Widerstände. „Man entscheidet immer im Einzelfall, aber der Rettungsdienst entscheidet. Der Patient ist in seiner Verantwortung.“
In Städten wie Dortmund gibt es zudem eine Art „Intensivstation auf vier Rädern“: In einem speziellen Intensivtransportwagen können auch kritisch kranke Menschen, die zunächst in der nächstliegenden Klinik erstversorgt wurden, vom Dortmunder Rettungsdienst in Schwerpunktkliniken gebracht werden. Seit Anfang 2025 steht ein Intensivtransporthubschrauber auch rund um die Uhr am Dortmunder Flughafen bereit.
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Kann die Klinikreform die Lage verbessern?
Während eine geplante Notfallreform des Bundes auf Eis liegt, erhoffen sich die Rettungsdienste in NRW zumindest durch die NRW-Krankenhausreform Besserung. Derzeit baut das Gesundheitsministerium die Kliniklandschaft um, Häuser sollen sich stärker spezialisieren und mehr zusammenarbeiten. Damit reagiere das Land darauf, dass Personal fehle, sagt der Rettungsmediziner Lechleuthner. „Ich verspreche mir davon eine deutliche Verbesserung und Stabilität in der Kliniklandschaft.“ Das weniger werdende Personal werde sich konzentrieren, die Kliniklandschaft würde leistungsfähiger, so der Leiter des Kölner Instituts für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr. Ob Notzuweisungen damit weniger alltäglich werden, darauf will er sich nicht festlegen.
Christel Reimers sitzt der Schrecken über das Erlebte noch tief. In dem Hagener Krankenhaus, in das ihre Schwester gebracht wurde, habe man festgestellt: Die Halsschlagader sei stark verengt gewesen. „Die Lage war lebensbedrohlich. Dass man in so einer Situation auf ein Klinikbett warten muss, das hat mich erschüttert“, sagt Reimers.