Bottrop/Plettenberg. Wenn die Familie an Weihnachten zusammenkommt, stapeln sich schnell die Geschenke. Das überfordert Kinder. Ein Experte kennt einen Ausweg.
Die Eltern wollen es eigentlich kleiner halten, doch Oma und Opa, der Onkel und die Patentante haben es mal wieder zu gut gemeint: Wenn an Weihnachten die ganze Familie zusammenkommt, stapeln sich schnell die Geschenke für die Kinder unter dem reich geschmückten Tannenbaum. Das kann zu Konflikten führen, weiß Stefan Landmann, Leiter der Familienberatungsstelle der Caritas in Bottrop. Einen simplen Ausweg kennt er auch.
Woher kommt der Geschenkewahn?
Für die Weihnachtsgeschenke greifen die Deutschen immer tiefer in die Taschen. Seit Jahren steigen die Umsätze im Handel in der Adventszeit und auch für 2024 darf sich der Handel trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage auf ein stabiles Weihnachtsgeschäft freuen. In diesem Jahr planen die Menschen im Land, pro Kopf im Schnitt 297 Euro auszugeben, um ihre Liebsten zu beschenken. Das sind laut Handelsverband Deutschland zwei Euro mehr als noch vor einem Jahr. Gutscheine sind der Befragung zufolge immer noch am stärksten gefragt, gefolgt von bunt verpackten Spielsachen, Kleidern und Büchern.
Schenken beschreibt der Psychologe Stefan Landmann als ein Stück Beziehungsarbeit. „Mit einem Geschenk drücken wir unsere Anerkennung und Wertschätzung für einen Menschen aus“, sagt der Leiter der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Caritas in Bottrop. Das an sich sei ein schöner Gedanke, der aber nicht selten überstrapaziert werde. „Weihnachten ist stark von Erwartungshaltungen geprägt. Man will an so einem Tag auf keinen Fall jemanden enttäuschen oder schlecht dastehen. Häufig führen Unsicherheit oder Ängste dazu, dass wir im Zweifel eher mehr als weniger schenken.“ Am Ende geraten Familien in einen regelrechten Geschenkewettbewerb.
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Warum sollte das denn so schlimm sein?
Landmann nennt zwei Gründe. Zum einen überforderten zu viele Geschenke gerade kleinere Kinder sehr leicht, sagt der Fachmann. Eltern könnten das gut am Verhalten der Kleinen erkennen. Wenn der Nachwuchs vor dem Weihnachtsbaum nur noch eine Verpackung nach der anderen aufreiße, ohne sich mit den eigentlichen Geschenken zu beschäftigen, sei es Zeit für eine Pause.
Das wiederum könne dazu führen, dass sich andere zurückgesetzt fühlen. „Dann steht die Tante mit ihren Paketen noch da und ist enttäuscht, dass sie nicht zum Zuge kommt. Solche Situationen lassen sich vermeiden.“
Wie kann man solche Konflikte vermeiden?
Stefan Landmann berät in Bottrop Familien quer durch die Gesellschaft zu den unterschiedlichsten Fragen. Er weiß: Gute Absprachen können Konflikte vermeiden. Eltern rät er dazu, vor dem eigentlichen Familienfest Regeln zu besprechen. „Man kann sich auf eine Anzahl an Geschenken pro Kind einigen oder auch eine Wertgrenze vorgeben“, sagt er. Pauschal ließe sich da nichts vorgeben, aber : „Ein Kind von fünf Jahren ist mit drei Geschenken gut beschäftigt.“
Oft fieberten Kinder eh auf ein bestimmtes, nicht selten großes Geschenk hin. „Das kann man gemeinsam organisieren. So kommt man raus aus diesem innerfamiliären Wettbewerb und Geschenke-Tsunami.“ Für den Psychologen hat das einen wichtigen Nebeneffekt: „Zu viel zu schenken ist ein Luxusproblem, das Menschen mit wenig Geld unter enormen Zugzwang stellt.“
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Die Geschenke sind doch längst gekauft - was nun?
Und auch wenn die Geschenke bereits verpackt sind, lohne sich eine Absprache, sagt Landmann. „Man kann auch gemeinsam vereinbaren, wie die Geschenke übergeben werden.“ In vielen Familien gebe es dazu Rituale. Ein Spiel etwa könne das Schenken an sich zu einem gemeinsamen Erlebnis machen. Wenn alle Geschenke zunächst unterm Tannenbaum stehen und im Wechsel geöffnet werden, bringe das ebenfalls Ruhe und nehme allen Druck. „Es muss nicht alles nach der Christmette oder dem Gottesdienst ausgepackt werden“, sagt Landmann.
Wie viel Spielzeug brauchen Kinder eigentlich?
Viel weniger, als Erwachsene manchmal denken. Diese Erfahrung hat Sara Berridy y Fernandez gemacht. Die 39-Jährige leitet seit 2016 die katholische Kindertagesstätte St. Johannes Baptist in Plettenberg. Knapp 70 Kinder besuchen die Kita und seit 2022 kommen sie einmal im Jahr ohne jegliches Spielzeug aus. „Wir nennen das Spielzeugfasten“, sagt die Erzieherin. „Alles bis auf Alltagsmaterialien oder Decken und Stifte werden aus den Räumen geholt.“
Ihre Erfahrung: „Am Anfang wissen die Kinder nichts mit sich anzufangen. Die Langeweile müssen sie einen Moment aushalten.“ Dann aber würden sie kreativ: bauten sich aus zusammengeschobenen Regalen Höhlen, bastelten aus Verpackungsmaterialien die wildesten Dinge, erfänden gemeinsam neue Spiele. „Die Kinder spielen viel kreativer zusammen als sonst. Wir merken, dass es ihnen guttut, auf Spielzeug zu verzichten.“ Spielzeug gebe vieles vor. „Ohne das sind Kinder freier im Spiel, das regt die Fantasie an und stärkt auch das soziale Miteinander.“ Für Weihnachten rät die Pädagogin: „Lieber ein tolles Geschenk statt zehn Pakete.“
Und was ist ein tolles Geschenk?
„Ein gutes Geschenk ist eins, mit dem auch nach Wochen noch gespielt wird“, sagt der Bottroper Psychologe Stefan Landmann. „Oft liegen die Verlegenheitsgeschenke nur herum.“ Geschenke müssten auch nicht nur materiell sein. „Gemeinsame Erlebnisse schaffen Erinnerungen, die viel länger halten als die meisten Spielzeuge.“