Essen/Bochum/Dortmund. Weihnachtsbäume werden immer früher gekauft, geschmückt und aufgestellt. Das kann das ganze Fest gefährden, warnen Experten.

Ja, früher war mehr Lametta. Aber heute hängt es länger, wenn es denn noch in den Weihnachtsbaum kommt. Denn dieser Baum wird immer öfter schon am 2. oder 3. Advent geschmückt und aufgestellt. Dafür ist er oft direkt nach dem Fest wieder verschwunden. Theologen und Brauchtumsforscher warnen: Geht das so weiter, wird das eigentliche Weihnachten bald gar nicht mehr gefeiert.

„Wollen was haben von unserem Baum“

Ein Morgen Anfang Dezember an einem Verkaufsstand für Weihnachtsbäume in der Nähe von Dortmund. „Halt mal gerade“, weist eine Frau ihren Mann an und legt den Kopf etwas schräg. „Sieht gut aus“, lautet das Urteil wenige Sekunden später. „Nehmen wir.“ Gut drei Wochen vor Heiligabend herrscht bereits reger Betrieb zwischen Fichten und Nordtannen. Ja, Heiligabend sind die beiden zu Hause, an den Feiertagen aber bei den Eltern. Danach geht es für das Paar „ein paar Tage in die Sonne“. „Wir wollen aber was haben von unserem Baum“, sagt die Frau. „Deshalb stellen wir ihn jetzt schon auf und schmücken ihn.“

Kein Einzelfall: Nach einer Umfrage des Portals „Statista“, warteten schon in den vergangenen Jahren nur noch 12 Prozent der Weihnachtsbaumkäuferinnen und -käufer bis zum 24. Dezember, um den Baum aufzustellen. Mehr als die Hälfte der Befragten stellte den Baum dagegen schon Anfang bis Mitte Dezember auf. 33 Prozent der Befragten platzierten und schmückten ihre Tanne „wenige Tage vor Heiligabend“.

Der Trend geht zum Zweitbaum, sagt Arno Saterdag, der seit 31 Jahren Weihnachtsbäume in Bochum verkauft.
Der Trend geht zum Zweitbaum, sagt Arno Saterdag, der seit 31 Jahren Weihnachtsbäume in Bochum verkauft. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Das ist in diesem Jahr nicht anders, wie Eberhard Hennecke vom Bundesverband der Weihnachtsbaum- und Schnittgrünerzeuger (BVWE) bestätigt. „Immer mehr kaufen vor dem zweiten oder dritten Advent.“ Das tun sie auch bei Arno Saterdag, seit über 30 Jahren Weihnachtsbaumhändler in Bochum. In anderen Ländern ist das schon immer so. In den USA stehen die Christbäume meist schon ab Thanksgiving Ende November geschmückt im Wohnzimmer.

Wenn Weihnachten vorbei ist, fliegt der Baum sofort raus

Für die meisten der knapp 30 Millionen pro Jahr in Deutschland verkauften Bäume sei das frühere Aufstellen gar kein Problem, sagt Saterdag. Im November geschlagene Tannen sähen bis weit nach Weihnachten gut aus. In vielen Wohnzimmern stehen sie allerdings gar nicht so lange. Denn so früh sie gekauft und aufgestellt werden, so früh fliegen sie auch wieder aus dem Haus. Längst vorbei sind jedenfalls für viele Familien die Zeiten, in denen der Weihnachtsbaum bis Heilige Drei Könige (6. Januar) oder gar bis Maria Lichtmess (2. Februar) in der „guten Stube“ stand. „Wenn Weihnachten vorbei ist, kommt der Weihnachtsbaum sofort raus“, weiß Hennecke aus vielen Gesprächen.

Kaum ist Weihnachten vorbei, wird der Baum entsorgt.
Kaum ist Weihnachten vorbei, wird der Baum entsorgt. © stock.adobe.com | EmDali

Warum der Weihnachtsbaum so früh in den Häusern leuchtet, kann niemand ganz genau sagen. Weil man nicht – je nach Qualität - zwischen 22 und 30 Euro pro Meter für etwas bezahlen wolle, das man dann nur ein paar Tage nutze, sagen Kunden an Verkaufsstellen manchmal. Aber Saterdag glaubt, dass solche Aussagen die Ausnahme sind. „Die Leute wollen es einfach schön haben.“ Dafür greifen manche sogar ein ganzes Stück tiefer in die Tasche als früher. „Der Trend geht seit Jahren zum Zweitbaum“, erzählt der Bochumer. „Einer kommt jetzt schon auf die Terrasse oder den Balkon, der andere später ins Wohnzimmer.“

„Der Sinn des Advents geht verloren“

Auch Hennecke glaubt nicht, dass „Geld der entscheidende Grund ist“. Corona, Kriege in der Ukraine und in Nahost – die unruhigen Zeiten der letzten Jahre hätten bei vielen den Wunsch nach einem heimeligen Zuhause verstärkt und auch dazu geführt, es sich rechtzeitig mit einem Baum in kleiner Gemeinschaft schön machen zu wollen. Ein Wunsch, den die Händler gerne erfüllen. „Ist eben der Zeitgeist“, sagt Hennecke. „Dem passen wir uns natürlich an.“

Ein wenig Sorge hat er dennoch. Lebkuchen ab September, „Last Christmas“ im Radio ab November und der Baum in vollem Ornat ab Anfang Dezember: „Manchmal bekommt man schon das Gefühl, dass die Vorweihnachtszeit zu lang ist und dadurch verwässert wird.“

Auf den großen Weihnachtsmärkten wird schon immer früh geschmückt. Jetzt passiert das aber auch in vielen Wohnzimmern
Auf den großen Weihnachtsmärkten wird schon immer früh geschmückt. Jetzt passiert das aber auch in vielen Wohnzimmern © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Der Theologe und Brauchtumsforscher Manfred Becker-Huberti geht da noch einen Schritt weiter. „Ein geschmückter Baum Anfang oder Mitte Dezember, das gehört sich nicht“, findet er. „So wird Weihnachten vorgezogen. Dabei geht der Sinn des Advents als Vorbereitungszeit völlig verloren.“ Und der Baum, der im Christentum ursprünglich die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies symbolisiere, werde zu einem reinen „Deko-Gegenstand“. Das bleibt nicht ohne Folgen, fürchtet Becker-Huberti. Wenn Brauchtum nicht beachtet und gepflegt werde, werde es nämlich vergessen. „Irgendwann feiert keiner mehr Weihnachten. Dann sind das nur noch zwei freie Tage mehr im Jahr.“

Andere Wissenschaftler stehen dem „frühem Schmücken“ positiver gegenüber. „In einer Welt voller Stress und Angst verbinden sich die Menschen gerne mit Dingen, die sie glücklich machen, und Weihnachtsschmuck weckt die starken Gefühle der Kindheit“, sagt der US-Psychoanalyst Steve Keown. Auch mit Lametta, Weihnachtskugeln und Tannenbaum könne man sich wieder in die sorglose Kindheit zurückversetzen. Und je eher man mit dem Schmücken anfängt, hat Keown festgestellt, desto länger würden die „magischen Emotionen“ der Kindheit und die Aufregung anhalten.

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