Unna/Dortmund. Secret Packets-Automaten schießen derzeit in NRW aus dem Boden. Finden sich in den Überraschungspaketen tatsächlich hochwertige Waren?
Marco ist in die Knie gegangen. 8,50 Euro hat er in den Schlitz des Automaten geworfen und den Blick jetzt fest auf die große Scheibe gerichtet, während er immer wieder die pfeilförmigen Richtungstasten drückt, mit denen sich die Rondelle im Inneren der Maschine bewegen lassen. Rechts, rechts, links, rechts, links, links. „Ich kann mich nicht entscheiden“, bestätigt er, was seine hinter ihm stehende Freundin längst gemerkt hat. „Wer weiß, was da drin ist.“
Zahl der Automaten wächst stetig
Niemand weiß das. Denn der junge Mann kniet gerade vor einem Secret Pack-Automaten. Im Eingangsbereich eines Rewe-Supermarktes in Unna-Massen steht das Gerät, und darin sind Dutzende Päckchen und kleine Pakete. Rückläufer. Nicht zustellbar gewesen oder nicht angenommen und jetzt mit – geschwärzten Adressen - im Automaten gelandet. Alles völlig legal und laut Marco sehr „aufregend“. Im ganzen Land wächst deshalb die Zahl solcher Automaten. Mal heißen sie Secret Pack-, mal Mystery Pack- oder Surprise Pack-Automaten. Wo genau sie zu finden sind, steht meist im Internet - vor allem bei TikTok.
Der Automat in Unna wird von Carina Grodowski befüllt. Anfang des Jahres hat sie von dem Phänomen gehört. „Ich hatte schon länger einen kleinen Nebenverdienst gesucht, bei dem man nicht so viel Zeit investieren muss.“ Grodowski macht sich „schlau im Netz“. Einen Automaten findet sie schnell, die Suche nach der Befüllung ist schon schwieriger. Gelandet ist Grodowski schließlich im Allgäu bei einer Firma, die sich auf ihrer Webseite selbst „Erfinder des Secret Pack Automaten“ nennt. Von dort bekommt sie seit einigen Monaten regelmäßig Nachschub für die Fächer ihrer Maschine. „Das ist ein klassisches Franchise.“
Interesse vom Start weg größer als erwartet
Nach einem Platz für ihren Automaten hat sie nicht lange suchen müssen. „Man kennt sich hier in Massen.“ Und das Interesse ist vom Start weg größer als erwartet. „Anfangs bin ich alle paar Stunden zum Auffüllen vorbeigekommen.“ Michael Steiner, Marketing Professor an der Universität Witten/Herdecke wundert die Nachfrage nicht. „Secret Packs sind Nervenkitzel, den man kaufen kann.“ Das Modell lebe von der Hoffnung auf eine positive Überraschung.
Mittlerweile kommt Grodowski meist einmal am Tag auf dem Rückweg von ihrer regulären Arbeit in einer Augenarztpraxis vorbei. „Der Aufwand hält sich in Grenzen.“ Und der Ertrag? „Das weiß ich erst genau, wenn das Finanzamt sich nächstes Jahr gemeldet hat.“ Immerhin hat sie einen zweiten Automaten angeschafft, der in die Ortsmitte kommt. Mit größeren Fächern, damit sie auch Pakete anbieten kann. „Bevor die Konkurrenz den Platz belegt.“
Woher ihr Lieferant die Ware bekommt, kann Grodowski nicht sagen. Von einer Sache aber ist sie überzeugt. „Er hat selbst keine Ahnung, was in den Päckchen ist.“ Ob das auch bei der Konkurrenz so ist, weiß sie nicht. Im Internet gibt es allerdings viele Seiten, auf denen Päckchen für solche Automaten angeboten werden, die alle haargenau gleich aussehen. „Irgendjemand“, heißt es deshalb auf einschlägigen Internetforen, „hat den Inhalt ja wohl einmal umgepackt.“ Und eventuell aussortiert?
Man muss gerade brauchen können, was man gezogen hat
Grodowski zuckt die Schultern. „Wir machen so etwas nicht.“ Kann sie denn beim Einräumen mittlerweile zumindest erahnen, was sie da in ein Fach stopft? Na ja, sagt sie, „ich fühle schon, ob es etwas Weiches oder Hartes ist und wie schwer das Päckchen ist. Aber Ende kann trotzdem etwas ganz anderes drin sein, als ich gedacht habe.“ Möglich sei jedenfalls alles. „Kann auch sein, dass da eine Rolex drinliegt.“ Ist bisher aber noch nicht passiert. Zumindest nicht, dass Grodowski wüsste.
Vielen Kunden würde auch schon ein Smart-Phone reichen. Oder ein Kopfhörer. „Irgendetwas Wertvolles“, sagt Daniel Handke, der mit Tochter Sophie und Schwiegermutter Sybille gegen Mittag vor dem Automaten steht. Papa zahlt, der Nachwuchs darf auswählen – und erwischt eine Tischdecke. Oma legt noch dreimal nach und am Ende hat das Trio noch einen Bikini (Übergröße), ein Paar silberne Schuhe und eine Kamerahalterung für eine Action-Kamera. „Die ist bestimmt mehr als 8,50 Euro wert“, vermutet Handke er. „Aber ich habe so eine Kamera gar nicht.“ Egal. „War trotzdem spaßig.“
Kann ja auch besser laufen. Wenn sie da ist, schaut Grodowski anderen gerne beim Auspacken zu. „Da waren auch schon ein Spiele-Controller oder ein Beamer in den Päckchen, erzählt sie. Ja, sogar ein Hochzeitskleid wurde mal ausgepackt. „Man muss die Sachen nur gerade brauchen können.“ Ist das nicht der Fall, wird mancher Kunde ungehalten. „Der gibt dann eine schlechte Bewertung im Internet ab.“
Zurzeit lebt das Geschäft auch von einem vorweihnachtlichen Brauchtum. „Im Augenblick ziehen viele Menschen so ein Paket für ihr Schrottwichteln in der Firma oder im Verein“, hat Carina festgestellt. Nicht zu wissen, was man verschenkt, hat offenbar einen ganz besonderen Reiz. Grodowski hat übrigens noch nicht eines ihrer Päckchen selbst geöffnet. Will sie auch in Zukunft nicht machen. „Am Ende“, sagt sie und lacht, „werde ich sonst noch zu meiner besten Kundin.“