Bochum. Nach dem „Putschversuch“ der NRW-SPD tritt der Kanzler wieder mitten im Ruhrgebiet auf – ruhig und besonnen. Die Krise bekommen andere.
Ist er zu Gast bei Freunden? Oder bewegt er sich gerade in der Höhle des Löwen? Olaf Scholz bekommt höflich-warmen Applaus, als er die Jahrhunderthalle betritt. Die Emschergenossenschaft, dieser Wasserwirtschaftsverband der Superlative, wird 125 Jahre alt und feiert das Jubiläum mit vielen kommunalen Größen am Gründungsstandort Bochum – ausgerechnet in Bochum, muss man sagen, denn es ist erst einige Tage her, dass es aus der NRW-SPD heraus eine Art „Putschversuch“ gegen den Kanzler gegeben hatte. Das Epizentrum dieses innerparteilichen Bebens lag mitten im Ruhrgebiet. Und der SPD in Bochum kam dabei eine besondere Rolle zu, war es doch ihr Vorsitzender, der Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel, der besonders deutlich Zweifel daran geäußert hatte, dass der amtierende Kanzler auch wieder der Kanzlerkandidat der SPD werden sollte.
Scholz sonnt sich im Glanz der Emscher
Scholz ist nicht zum ersten Mal zu Gast beim „EGLV“, was für „Emschergenossenschaft Lippeverband“ steht. Vor gut zwei Jahren hatte er zwei Weinreben an der renaturierten Emscher in Castrop-Rauxel gepflanzt, an seiner Seite die Parteifreunde Frank Dudda, Oberbürgermeister in Herne, und EGLV-Chef Ulrich Paetzel. Es war ein sonniger Tag damals, und alle strahlten um die Wette. Der Himmel über dem Ruhrgebiet: blau. Das Wasser in der einstigen „Köttelbecke“: so sauber und klar wie nie. Nun will man sogar Wein anbauen, in den ersten Jahren sicher eine unerträgliche Plörre – aber die Symbolik! Und dann wird 2025 der erste Emscher-Strand eröffnet. Ein Strand an der Emscher! Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen.
EGLV-Termine sind Wohlfühltermine. Kein Wunder, dass der Kanzler, jetzt mitten im Wahlkampf und angegriffen von allen Seiten, überraschend plötzlich zugesagt hatte, zum Festakt in Bochum zu erscheinen – wissend, dass diesmal mehr Glanz vom EGLV auf ihn fallen würde als umgekehrt. Dass mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst auch der vorerst gescheiterte Kanzlerkandidaten-Kandidat der CDU bei der Veranstaltung sein würde, störte Scholz sichtbar nicht. Die beiden Alpha-Tierchen ignorierten sich weitgehend, obwohl sie an einem Tisch saßen.
Wer solche Freunde hat ...
Mit Ex-Kanzlerkandidaten-Kandidaten kennt sich Scholz ganz gut aus. Ein Exemplar ist Mitglied in seinem rot-grünen Reste-Kabinett: Verteidigungsminister Boris Pistorius. Scholz bezeichnete ihn nach all den Querelen, die Pistorius hätte rechtzeitig unterbinden können und müssen, als „Freund“. Das war vermutlich nicht einmal gelogen, wenn man an die bekannte Steigerungsformel denkt: Feind, Todfeind, Parteifreund.
Wer solche Freunde hat, der muss cool bleiben – oder sogar cool sein. Olaf Scholz hatte sich ja in einer Talkshow unlängst mit seinem Unions-Herausforderer Friedrich Merz verglichen und als „etwas cooler“ bezeichnet, jedenfalls „wenn es Staatsangelegenheiten betrifft“. In der Sekunde, als der Kanzler das Wort in den Mund nahm, hätte er ahnen können, dass das ein „uncooler Move“ war, denn natürlich würde das von seinen Kritikern, die ihn für ein Narkosemittel auf zwei Beinen halten, bewusst bösartig missinterpretiert werden.
Wer ist der Coolste?
CSU-Chef Markus Söder, der sich selbst natürlich für den Coolsten hält, gab im Bundestag prompt genüsslich zu Protokoll: „Ich kenne keinen, der uncooler in Deutschland ist als Sie, lieber Herr Scholz.“ Und in der Tat: Scholz am Emscher-Strand, mit verspiegelter Sonnenbrille und Schirmchen im Cocktail? Das wäre eine Karikatur. Scholz meinte aber etwas ganz Anderes. Er spielte auf seine Besonnenheit und sein unaufgeregtes Handeln angesichts eines Krieges in Europa an, immer darauf bedacht, dass dieser Krieg nicht in einer heißen Form nach Deutschland schwappt.
Ich würde mal die These wagen, dass eine Mehrheit der Deutschen diese Art von Coolness eher gut als schlecht findet. Die SPD, in den Umfragen noch weit abgeschlagen hinter CDU und CSU, hat inzwischen begriffen, dass das ein erfolgsversprechendes Wahlkampfthema sein könnte, und ein völlig legitimes noch dazu. Auf der einen Seite AfD und BSW, die ihre Putin-Vasallentreue als neue Friedensbewegung tarnen, in Wahrheit aber die Ukrainer im Stich lassen wollen, damit sie sich schlussendlich den russischen Kriegsverbrechern unterwerfen; auf der anderen Seite CDU, FDP und Grüne, die der Ukraine erlauben wollen, mit deutschen Waffen Ziele tief auf russischem Gebiet zu treffen, was ein unkalkulierbares Risiko für uns selbst darstellen könnte.
SPD-Alleinstellungsmerkmal
Und genau dazwischen: die Sozialdemokraten und ihr Kanzler, der die Ukraine wirtschaftlich und militärisch massiv unterstützt, dem es aber auch wichtig ist, gegen den Widerstand der halben Welt mit Putin im Gespräch zu bleiben. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal.
Scholz erwähnt das Thema in Bochum nur kurz am Rande. Überhaupt verkneift er es sich, vor den rund 300 geladenen Gästen offenkundigen Wahlkampf zu machen. Stattdessen beschwört er den „Emscher-Geist“, den Mut, in einem weltweit beachteten Milliarden-Projekt die Emscher zu renaturieren. Diesen Mut brauche man jetzt wieder, um in die marode Infrastruktur des Landes zu investieren. Ein Schelm, wer da an den Streit zwischen Scholz und seinem vom ihm geschassten Ex-Finanzminister Christian Lindner um das Einhalten oder Lockern der Schuldenbremse denkt.
Ein nervenstarker Mann
Mut, Besonnenheit, Pragmatismus: Gut möglich, dass dieser Dreiklang auf den Scholz-Plakaten zu finden ist, falls die SPD genug Freiwillige findet, die die Plakate dann auch aufhängen wollen. Hinzu kommen dürfte der dazu passende Begriff Nervenstärke. Von den eigenen Leuten tagelang derart in den Senkel gestellt zu werden und dies dann weglächelnd auszusitzen, bis der Hauptgegner in dem Spiel krachend umfällt – das kann einem schon Respekt abnötigen. Selbst der denkwürdige Lindner-Rausschmiss, garniert mit übelsten persönlichen Anfeindungen, entsprang einem eiskalten Kalkül, kontrolliert abgelesen vom Teleprompter. Ein authentischer Wutausbruch sieht anders aus. Mit anderen Worten: Der Mann kann Krise, und die Krise kriegen wir Deutschen ja Tag für Tag.
Das gilt auch für Markus Töns, den Chef der Ruhr-SPD, zugleich direkt gewählter Bundestagsabgeordneter aus Gelsenkirchen. Bei dem Gedanken an Scholz als Kanzlerkandidat hatte er erst die Krise bekommen (ein „Neustart“ wäre „mit Boris Pistorius leichter als mit Olaf Scholz“, sagte er vor einigen Tagen), dann kam die krisenhafte Wende nach dem Pistorius-Verzicht und diese Einlassung: „Wir haben zwischen zwei Kandidaten gewählt – und sollten jetzt geschlossen in den Wahlkampf gehen.“
Wer solche Freunde hat . . .
Glück auf.
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