Essen. Der Erwerb des Führerscheins wird immer teuer. Können Eltern sparen, wenn sie mit ihren Kindern auf einen Verkehrsübungsplatz gehen?
Langsam rollt der silberne Kombi vor dem Schild mit der Aufschrift „Fahrerwechsel“ aus. Bis hierhin ist Papa gefahren. Routiniert, ruhig. Jetzt stellt er den Motor ab - und bleibt erst einmal sitzen, während die Tochter auf dem Beifahrersitz nervös mit dem Gurt spielt. „Sooo“, sagt Papa in einer Lautstärke, dass es durch das halb geöffnete Fenster bis auf den angrenzenden Rasen zu hören ist. „Dann wollen wir mal.“
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Anschließend quält er sich aus dem Wagen, geht um die Motorhaube herum. Kleine Schritte für einen Menschen, ganz große für einen Vater. Die Tochter ist derweil kurzerhand über Mittelkonsole und Schaltung geklettert und hat es sich im Fahrersitz bequem gemacht. Gleich kann es losgehen.
Theoretische Führerscheinprüfung: Hätten Sie‘s noch gewusst?
Keine Liebe fürs Getriebe
Während der Erziehungsberechtigte über die Unverzichtbarkeit eines korrekt eingestellten Innenspiegels und die Lage der fünf Vorwärtsgänge referiert, jaulen auf dem großen Rund an allen Ecken die Motoren - vielfach, um unmittelbar danach abzusterben. Keine Liebe fürs Getriebe. In der Luft liegt der Geruch von schleifender Kupplung. Zielstrebig greift die Tochter sofort nach Vortragsende zum Schlüssel in der Zündung, als Papa eingreift. „Langsam“, sagt er und stoppt die Hand des Nachwuchses, „gaanz langsam. Erst mal gucken, was um dich herum so los ist.“
Jede Menge ist los. Denn „hier“ ist der Verkehrsübungsplatz der Verkehrswacht Essen – mit rund 50.000 Quadratmetern einer der größten in NRW. Anfahren auf ebener Strecke oder an einer Steigung, lenken, schalten – später auch einparken. „Hier kannst du alles machen, was für die Prüfung brauchst“, lobt Karl-Heinz Kegelmann, einer der Helfer, die im Wechsel kassieren, unterweisen und aufpassen. „Wir haben sogar eine Rückwärtsfahrstrecke“, bestätigt Maria Brendel Sperling, Geschäftsführerin der Verkehrswacht Essen.
1983 wurde der Platz auf dem Gelände einer ehemaligen Ziegelei eröffnet. Seitdem haben weit über 100.000 Essener hier zum ersten Mal hinter dem Steuer eines Autos gesessen. Allein im vergangenen Jahr waren es 18.000. „Das Interesse wächst“, hat Brendel-Sperling festgestellt. „Wahrscheinlich auch, weil der der Führerschein immer schwieriger und teurer wird.“ An guten Tagen zähle der Platz schon mal bis zu 150 Autos – maximal aber 20 zur selben Zeit.
„Nehmen Sie doch eine Fünferkarte“
Heute ist einer dieser guten Tage. Wochend und Sonnenschein. Kurz vor 10 Uhr haben Kegelmann und sein Kollege Ulrich Walk die Hütte neben dem Eingang geöffnet, Pylone auf dem Gelände postiert und Schilder an den richtigen Platz gestellt. Die ersten Fahrschüler lassen auch nicht lange auf sich warten. „Papiere dabei“, fragt Kegelmann und weist noch einmal auf die Zahlungsmodalitäten hin. „Wir nehmen nur Bargeld.“
Zwölf Euro kostet jede angefangene Stunde, plus drei Euro Versicherung je Tag. „Wenn Sie öfter kommen wollen, nehmen Sie besser eine Fünferkarte“, sagt der Helfer. „Ist billiger.“ Viele nehmen das Angebot an, denn: „Einmal wird nicht reichen“, ahnt ein junger Mann, der seiner Freundin Fahrunterricht geben will. Keine Sorge um sein Auto? Er lacht. „Das ist 14 Jahre alt und hat 180.000 auf dem Tacho. Um was soll ich mich sorgen?“
So gelassen ist nicht jeder. Die Gesichter in den vorbeifahrenden Wagen sind teilweise so angespannt, als gehe es gerade mit 200 Sachen über die A 40. Dabei gilt auf dem Platz ein Tempolimit von 30 Kilometern. Je teurer das Auto, desto größer die Sorgenfalten des Besitzers. In beinahe jedem Pkw wird gestikuliert, gemahnt, gewarnt, auch schon mal beherzt ins Lenkrad gegriffen. Mit jedem ungewollten Ausflug in die Botanik, wird der Ton im Innenraum rauer. „Konzentrier dich endlich mal.“ Jeder Gruß vom Getriebe lässt die Stimmung auf dem Beifahrersitz weiter sinken. „Wie oft noch?“
Alufelgen, die an Bordsteine klatschen, offenbaren ganz neue Seiten an eigentlich fürsorglichen Mütter und Vätern. Und auf einem Verkehrsübungsplatz in der Nähe hält sich hartnäckig das Gerücht von der Frau, die nach der Fahrstunde mit ihrem Mann die Scheidung eingereicht hat. Das hat es in Essen noch nicht gegeben, aber auch dort wissen sie: „Manche Beziehung wird auf eine harte Probe gestellt.“
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„Motor anlassen kann ich schon ganz gut“
Die von Stefan Heise und Tochter Paula gehört nicht dazu. Dabei helfen will der Vater seiner Tochter dabei, „ein erstes Gefühl für das Autofahren zu entwickeln“. Mit dem Zweitwagen der Familie sind die beiden deshalb gekommen. Ein Nissan Micra, weiß und klein aber noch recht neu und ein Schaltwagen. Weshalb Paula auch ein wenig aufgeregt ist.
Muss sie aber gar nicht sein. Vater Stefan bleibt die Ruhe selbst, auch wenn das Auto anfangs mehrfach erst ein wenig nach vorne ruckelt, bevor der Motor absäuft. „Macht nichts“, sagt ihr Vater und gibt noch einmal die Checkliste vor. „Kupplung treten, Motor wieder anlassen, Gas geben Kupplung langsam kommen lassen.“ Immer und immer wieder. „Motor anlassen kann ich jetzt schon ganz gut“, zeigt der Teenager Galgenhumor. Nach 15 weiteren Minuten kann die Tochter noch mehr. Weitgehend ruckelfrei zieht der Kleinwagen seine Kreise über die Straßen des Platzes. Ein paar Schwierigkeiten beim Zurücklenken hat der Vater noch festgestellt, findet aber: „Für das erste Mal hat sie es wirklich gut gemacht.“ Schon nächste Woche wollen sie wiederkommen. „Wir haben eine Fünferkarte.“
Die haben Daniel Brosch und Sohn Jonas auch. Der 16-Jährige sitzt nicht zum ersten Mal hinter dem Steuer aber zum ersten Mal hinter dem vom Cabrio seines Vaters. „Hat total Spaß gemacht“, sagt er nach der Stunde. Und ist gut gelaufen. Nur ein wenig zu forsch ist der junge Mann am Ende unterwegs. „Weniger Gas“, mahnt der Vater, ist ansonsten aber zufrieden.
Fahrlehrer: „Man merkt gleich, wer schon einmal hinter dem Steuer gesessen hat“
Manchmal wird es eng auf den Straßen des umzäunten Geländes, obwohl die Einweiser vor Fahrbeginn immer wieder mahnen: Abstand halten. „Klar gibt es schon mal Unfälle“, sagt Brendel-Sperling. In der Regel mit Bagatellschäden. Zweimal allerdings sind sie der Verkehrswacht auch in das Holzhaus am Ausgang gerauscht. „Und da hinten stand mal ein Baum“, erinnert sich Helfer Ulrich Walk, während er nach rechts zeigt. Bis ein BMW dagegen gekracht ist. Gar nicht mal schnell. Trotzdem Totalschaden. An Baum und BMW. „Aber Personen“, erzählt die Geschäftsführerin, „sind bei uns noch nie zu Schaden gekommen.“
Die meisten sind an diesem Morgen tatsächlich auf den Übungsplatz gekommen, um beim anstehenden Führerschein zu sparen. Bei Preisen von 60 bis 70 Euro pro Stunde in der Fahrschule „kann ein wenig Übung ja nicht schaden“, findet Heise. „Vielleicht brauche ich ja am Ende ein paar Fahrstunden weniger“, hofft auch Jonas.
Das will Martin Fellmer, Vorsitzender des Fahrlehrerverbandes, nicht ausschließen. „Man merkt gleich, wer schon öfter am Steuer gesessen hat.“ Er plädiert er aber dafür, erst ein paar offizielle Fahrstunden zu nehmen und das dabei erlernte dann mit Mutter, Vater oder Ehepartner zu trainieren. „Wer 20 oder 30 Jahre fährt, hat sich oft ein paar Dinge angewöhnt, die eigentlich nicht richtig sind“, erklärt Fellmer. „Wenn das an die Kinder weitergegeben wird, kriegen wir es in der Fahrschule nur schwierig wieder raus.