Dortmund. Die Frage ist nicht, was Sie über ihr Auto wissen. Die Frage ist, was weiß ihr Auto über Sie. Besonders, seit eine Blackbox Pflicht ist.
Zwei Menschen tot, ihr Sportwagen nur noch ein ausgeglühtes Wrack. Noch immer ist nicht ganz klar, wie es vor gut vier Wochen zu einem schrecklichen Unfall am Autobahnkreuz Dortmund/Unna kommen konnte. In solchen Fällen kann künftig der Event Data Recorder, kurz EDR oder „Blackbox fürs Auto“ genannt, dazu beitragen, die Unfallursachen zu ermitteln.
Blackbox für neue Autos seit 7. Juli verspflichtend
Er muss seit wenigen Wochen (7. Juli) in jedem neu zugelassenen Auto verbaut sein und zeichnet kontinuierlich Daten wie Geschwindigkeit, Gaspedalstellung, Status der Bremse, Motordrehzahl, Aktivität von ABS, Lenkwinkel oder den Anschnallstatus von Fahrer und Beifahrer aus. Gespeichert werden diese Daten allerdings nur, wenn die Sensoren einen Unfall registrieren - fünf Sekunden vor und 300 Millisekunden nach dem Crash. „Das System ist nicht neu, neu ist aber, dass es jetzt verpflichtend ist“, sagt ADAC-Unternehmenssprecher Michael Gebhardt und ist überzeugt: „Es wird in vielen Fällen zusätzlich wichtige Informationen für die Aufklärung des Unfallhergangs liefern.“
Ob auch der ausgebrannte Sportwagen auf der A1 ein solches System besaß, das nun ausgewertet wird, sagt die Polizei nicht, da es sich „um ein laufendes Verfahren handelt“. Was sie aber sagt, ist, dass „die hoch spezialisierten Verkehrsunfallaufnahmeteams des Polizeipräsidiums Dortmund technisch schon lange in der Lage sind, Daten aus Steuergeräten auszulesen, zu sichern und auszuwerten“. Dazu gehört auch der EDR. Die Ermittler könnten eine Auswertung „anregen“, erfolgen aber kann sie „in jedem Fall nur auf Anordnung der Staatsanwaltschaft“, sagt ein Dortmunder Polizeisprecher.
Experten des ADAC und anderer Verbände halten die Gefahr eines Missbrauchs der EDR-Daten deshalb für gering, zumal sie ausschließlich lokal im Fahrzeug gespeichert und nur über die sogenannte OBD-Schnittstelle und nicht via Online-Verbindung ausgelesen werden können. Noch entscheidender: Man kann sie nicht zu Geld machen.
Bis zu 200 Sensoren in einem PKW
Andere Daten schon. Und davon gibt es reichlich. „Ihr Auto weiß sehr viel über Sie“, sagt Gebhardt. Die Digitalisierung hat Fahrzeuge zu rollenden Festplatten gemacht, die nahezu alles verarbeiten, was gerade geschieht. Bis zu 200 Sensoren stecken in einem gewöhnlichen PKW. Hinzu kommen etwa 80 kleinere Computer, 1500 Meter Kabel. Viele Daten braucht das Auto, um überhaupt zu funktionieren, sagen Experten. Bei anderen geht es nur ums Geldverdienen. Meist ist übrigens nicht eine einzelne Datensammlung das Problem, sondern in welche anderen Datenbestände die gesammelten Daten eingepflegt werden.
Kombiniert spezielle Software beim Autohersteller etwa Daten über die Beanspruchung der Stoßdämpfer eines Autos mit dem GPS und verkauft sie an Kommunen, werden zusätzliche Straßenkontrollen überflüssig. Man weiß ja schon, wo die Schlaglöcher sind. Datenschutzverstöße sind allerdings auch hier nicht zu befürchten, da die Ergebnisse nicht personenbezogen übermittelt werden können.
Und bereits seit Jahren bieten mehrere Versicherungen auch in Deutschland spezielle Telematik-Tarife an. Wer einen davon - freiwillig - nutzt, installiert ein kleines Gerät im Auto oder eine App auf seinem Handy. Die registriert zum Beispiel, wie oft sich die Sicherheitsgurte straffen, weil stark gebremst werden muss. Je defensiver der Kunde fährt, desto höher fällt sein Versicherungsrabatt aus.
Sammelwut in den USA besonders groß
In vielen Fällen aber wird gesammelt, ohne dass der Fahrer etwas davon ahnt. Das Auto weiß, wie oft der elektrische Fahrersitz verstellt wird und kann so messen, wie viele Leute den Wagen nutzen. Sensoren in den Sitzen registrieren das Gewicht der Insassen. Stellen sie bei einem davon eine gleichmäßige Gewichtszunahme über Monate fest, geht die Software von einer Schwangerschaft aus – und schon werden Angebote für Baby-Artikel oder ein größeres Auto verschickt. Es geht auch noch intimer: Fährt ein Auto zum Beispiel nach dem Büro nicht nach Hause, sondern zu einem Hotel und steigt unterwegs jemand ein, der laut gespeicherter Telefonliste oft angerufen wird, liegt der Begriff „Affäre“ förmlich in der Luft. Zum Glück dürfte das die Datensammler – anders als einen möglichen Ehepartner – nicht besonders interessieren.
In den USA ist die Daten-Sammelwut anscheinend besonders ausgeprägt. Dort hat die Mozilla Foundation die Autos von 25 Herstellern (u.a. BMW, VW, Mercedes, Toyota, Nissan, Tesla, Ford, Renault und Kia) auf die Einhaltung von US-Regeln zum Datenschutz überprüft und anschließend von einem „Datenschutz-Albtraum“ gesprochen. Aufgezeichnet wurde – je nach Hersteller unterschiedlich – unter anderem, ob ein Auto öfter vor der gleichen Kirche parkt. Oder ob der Fahrer eher einen Discounter oder eine Edel-Boutique ansteuert. Was Rückschlüsse auf die Bonität liefern soll. Die Organisation für digitale Freiheitsrechte, Netzpolitik.org, stellte fest, dass 19 der Hersteller diese Daten an Werbe- und Marktforschungsunternehmen, Datenbroker oder Autohäuser verkaufen.
Neues Gesetz soll Rechte der Verbraucher stärken
Im kommenden Jahr könnte sich zumindest in Europa einiges ändern. Dann tritt der EU-Data-Act in Kraft. Von da an können Nutzer bestimmen, ob und in welchem Umfang Dritte Zugriff auf ihre Daten haben - und zu welchem Zweck: Bis dahin ist der Auto-Datenhandel in vielen Fällen nicht illegal. Hersteller haben nämlich bereits im Kleingedruckten spezielle Regeln über die Datennutzung verpackt. „Und wer“, fragt ADAC-Sprecher Gebhard, „liest schon das Kleingedruckte?“