Maastricht. André Rieu ist mit seiner Geige der „König des Walzers“. Vor 30 Jahren begann seine beeindruckende Karriere. Wir haben ihn in Maastricht besucht.

Geigenvirtuose André Rieu hat bereits in Fußballstadien gespielt, bei Autorennen performt und war 2023 sogar beim Papst. Der „König des Walzers“ begann seine beeindruckende Karriere vor 30 Jahren. 2025 wird Rieu auf große Deutschlandtournee gehen. Der Star-Geiger wird insgesamt 15 Konzerte in Deutschland spielen. Mit einem brandneuen Programm wird der sympathische Niederländer seine Fans im Rahmen seiner Welttournee zusammen mit seinem 60-köpfigen Orchester wieder verzaubern. Jetzt hat der 75-Jährige unseren Autor Reinhard Franke auf sein Schloss im niederländischen Maastricht eingeladen – zu einem ganz persönlichen Interview für unsere Sonntagszeitung.

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Sie werden überall wie ein Popstar gefeiert. Sind Sie der Robbie Williams der Klassik?

Nein. (lacht) Ich sehe mich als Musiker, der klassische Musik macht. Ich spiele Geige und leite ein Orchester. Aber ich öffne mich mehr. Mein Hauptziel ist es, mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Ich möchte die Menschen berühren, was auch immer passiert.

Sie sprechen viel mit dem Publikum…

Ganz genau. Ich moderiere und beziehe die Zuschauer mit ein, das ist sehr wichtig. Wenn ich das weglassen würde, wäre es sehr schwierig. Ein Beispiel: In Maastricht habe ich im Sommer „Pini di Roma“ gespielt, mit 400 Bläsern, ein wunderbares, aber schwieriges Stück. Ich erkläre dann, dass um fünf Uhr morgens der Nebel noch über der Via Appia liegt, dass die römischen Legionen sich der Stadt nähern, dass man das hört in der Musik. Und später auch hört, wie sie im Triumph Rom erreichen. Dann spielen wir die Musik, und ich merke, dass die Zuschauer es genossen haben.

Wie streng sind Sie zu sich selbst?

Meine Frau Marjorie sagt immer: „Du bist zu streng zu dir.“ Sie kennt mich gut. (lacht) Wenn ich vor meinem Orchester stehe, bin ich total streng. Ich bin der Boss, aber auch ein „Vater” für alle.

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Seit 49 Jahren sind Sie verheiratet. Was ist das Geheimnis Ihrer Liebe?

Eins kann ich sagen, und das erlebe ich jeden Tag aufs Neue: Wir denken oft im selben Moment dasselbe. Wenn wir etwas im Fernsehen sehen, sage ich etwas, und sie antwortet: „Das wollte ich gerade auch sagen.“ Auch bei allen wichtigen Entscheidungen waren wir uns immer einig, was sehr hilfreich war. Wir haben uns stets respektvoll behandelt und konnten uns auch loslassen. Wir wollten uns nie festhalten. Wenn man das alles beachtet, funktioniert es ziemlich gut. Heute sind wir 49 Jahre verheiratet.

Sie haben sich auf der Party Ihrer Schwester kennengelernt.

Richtig. Ich war 13 und sie 15. Ich wusste, wo sie wohnt, und plötzlich wurde es mehr. Zwölf Jahre später kam sie mit ihrem kleinen Auto nach Brüssel, wo ich studierte. Sie hatte sich fest vorgenommen, nicht über Nacht zu bleiben, aber es hat nicht geklappt. Sie ist geblieben. (lacht laut)

Sie leben in einem Schloss, sind aber dennoch ein bodenständiger Mensch. Was ist für Sie Luxus? Ungestört durch Maastricht zu gehen?

Star-Geiger André Rieu im Bild im Innenhof seines Schlosses in Maastricht mit Autor Reinhard Franke.
Star-Geiger André Rieu im Bild im Innenhof seines Schlosses in Maastricht mit Autor Reinhard Franke. © HO | Reinhard Franke

In Maastricht geht das ganz gut. In anderen Städten ist das schwieriger. Aber vor allem ist Zeit für mich Luxus. Ich werde oft gefragt: „Warum wohnst du nicht in London oder Paris?“ Aber der Verkehr in London ist furchtbar. In Maastricht brauche ich zehn Minuten zum Flughafen und zehn Minuten zu meinem Studio. Das ist prima so.

Was macht André Rieu privat am liebsten?

Ich schlafe am liebsten. Marjorie sagt immer zu mir: „Du arbeitest, du rennst oder du schläfst.“

Sie lieben es, zu kochen und zu backen, und sollen darin richtig gut sein. Ihr Lieblingsgericht ist „Kroonsele met Sjoem”, eine Sahnetorte mit Stachelbeeren.

Oh ja, lecker. Ich habe schon als Kind gerne mitgekocht, später dann alleine. Meine Mutter konnte nicht kochen – das war jedenfalls nicht essbar. Also wollte ich es besser machen. Und zum Thema Backen gibt es eine lustige Geschichte: Nach den Konzerten kann ich schwer einschlafen, also schaue ich mir auf dem Handy kleine Back-Filme an. Während Corona hatte ich dann die Zeit, all diese Filmchen in die Tat umzusetzen.

Wie gehen Sie mit dem Star-Rummel um? Manchmal halten die Busse mit den Touristen direkt vor Ihrem Schloss.

Während der Konzerte im Juli haben wir Hunderte von Nationalitäten auf dem Platz in der Innenstadt (Vrijthof, d. Red.). Viele reisen mit Bussen an, halten direkt vor der Tür, packen ihre Koffer aus und hoffen, dass ich komme. Manchmal ist das schon ein bisschen viel. Aber ich beklage mich nicht, die Fans sind alle lieb.

Vor 30 Jahren begann es bei Ihnen. Damals spielten Sie in Amsterdam in der Halbzeitpause des Spiels Ajax gegen den FC Bayern. Sie hatten jedoch vorher gesagt, dass Sie den Rasen nur betreten würden, wenn Ajax führt.

Stimmt. Zum Glück stand es schon 3:1, wenn Ajax nicht vorne gelegen hätte, wäre es nicht schön geworden. Aber zum Glück waren die Fans bereits zur Pause euphorisch. Ich bin großer Ajax-Fan. Ich spielte den berühmten Second Waltz von Schostakowitsch. Das Album hatte sich über 900.000 Mal in den Niederlanden verkauft. Das war mein Durchbruch.

Ein Konzert von André Rieu zeichnet sich nicht nur durch die Musik aus, sondern auch durch aufwändige Kostüme und eine opulente Bühnenkonstruktion.

In den meisten Orchestern sitzen die Musikerinnen in schwarzen Kleidern auf der Bühne und spielen die schönste Musik, die es gibt. Aber sie gucken oft, als ob sie schon tot wären. Ich bin auch nur ein Mann und denke mir: „Zieh das Mädchen schön an.“ (lacht) Ganz am Anfang meiner Karriere trug mein Orchester auch schwarz. Aber das fand ich schade. So ist es viel fröhlicher und schöner. Die Musikerinnen lieben ihre Kleider, in die ich auch viel investiere.

Wie laufen die Vorbereitungen für eine so große Tour wie Deutschland 2025 ab?

Ich bin der Boss, sehe und höre bei den Proben alle Details, die nicht stimmen und die wir verbessern können. Ich bin Perfektionist. Bis zum ersten Konzert ist immer noch Anspannung da.

Was lieben Sie an Deutschland?

Ich schaue fast nur deutsches Fernsehen und liebe Talkshows. In Deutschland lässt man sich ausreden, was ich sehr schätze. In den Niederlanden ist das ganz anders; dort reden alle durcheinander, und das finde ich nicht schön. Und ich mag die Disziplin. Ohne Disziplin geht bei mir gar nichts, acht Uhr ist für mich acht Uhr. Und die kombiniere ich dann mit der niederländischen Spontaneität.

Hat auch in Deutschlands Millionen Fans: André Rieu.
Hat auch in Deutschlands Millionen Fans: André Rieu. © André Rieu Productions | André Rieu Productions

Vor der Deutschland-Tour reisen Sie in diesem Jahr noch nach Chile, Kolumbien, Osteuropa und geben Weihnachtskonzerte in den Niederlanden. Sie besitzen alle Instrumente und Bühnenaufbauten vierfach, um Transportzeiten zu überbrücken. Zum Team gehören auch sieben eigene Köche, ein Arzt und ein Fitnesstrainer. Fällt es bei diesem Aufwand noch leicht, realistisch zu bleiben?

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Ja. Ich habe das alles so gewollt. Ich mache jeden Tag Sport, und einen Arzt auf Tournee dabei zu haben, war auch meine Idee. Ebenso die Köche. Ich trage eine Verantwortung für meine Leute. Zu Beginn meiner Karriere haben wir mal irgendwo gegessen, und die Hälfte des Orchesters war krank. Da sagte ich mir: „Das machen wir anders.“ Und mit eigenen Köchen ist es fantastisch. Es spart Zeit. Um 15.30 Uhr Ankunft am Veranstaltungsort, dann Soundcheck und danach wird gegessen. Da ist wieder die Disziplin. Wir sind wie ein Wanderzirkus, und das Essen muss top sein. (lacht)

Diese Zahlen sind schwer vorstellbar: Mit über 40 Millionen verkauften Alben, mehr als 500 Platin-Auszeichnungen, über 10 Millionen Facebook-Followern, Milliarden von Aufrufen auf YouTube und jährlich mehr als 700.000 Besuchern bei über 80 Konzerten weltweit gehören Sie zu den erfolgreichsten Live-Acts der Welt. Gemeinsam mit Ihrem Johann-Strauss-Orchester und zahlreichen Solisten begeisterten Sie über 100.000 Zuschauer. Wie gehen Sie mit diesen Superlativen um?

Ich bin froh, dass es so gut läuft. Ich habe 120 Leute fest angestellt und noch mal 120 Freelancer, die nur für mich arbeiten. Sie und ihre Familien leben von unseren Ticketverkäufen. Aber ich glaube nicht, dass mich der Erfolg als Mensch verändert hat. Ich bin noch immer sehr emotional. Ich spiele Musik, die mein Herz berührt, und dann weiß ich, dass sie auch die Herzen meiner Zuschauer berührt. Die Musik ist das Wichtigste.

War es damals wichtig, dass Ihr Vater Sie dazu getrieben hat, Geige spielen zu lernen?

Ich wurde nicht gezwungen, Geige zu spielen; das kam von selbst – die ursprüngliche Idee stammte von meiner Mutter, sie war der Meinung, dass die Geige perfekt für mich sei, denn ich habe auch Klavier, Oboe und Flöte gelernt. Mein Vater hat sich nie für mich interessiert. Wir waren sechs Kinder, und meine große Schwester war die Göttin, alles drehte sich um sie. Aber meine erste Geigenlehrerin war eine 18-jährige Blondine, und ich war in sie verliebt. (lacht) Ich wollte mir alles selbst beibringen.

Ihr Vater war sehr streng. Wie äußerte sich das?

Seine Strenge war sehr merkwürdig. Für ihn oder meine Mutter gab es mich nicht; die dachten, aus mir wird nie was. Bis heute kann ich nicht verstehen, warum. Ich bin dann meinen eigenen Weg gegangen. Ich glaube, meinem Vater hat es auch nicht gefallen, dass ich meine Frau geheiratet habe; sie war eine ganz „normale” Person. Vielleicht dachte er, dass er etwas Besseres sei. Erst meine Frau hat mir beigebracht, an mich selbst zu glauben. Ohne sie würde ich in der Gosse liegen.

Sie haben zwei Söhne und fünf Enkel. Was machen Sie am liebsten mit den Enkeln?

Ich plaudere gerne stundenlang mit ihnen. Es interessiert mich, was sie alles machen. Es ist so schön zuzuschauen, wie sie wachsen und sich entwickeln. Das finde ich herrlich. Ich hatte eine Tante, die sagte: „Schenk deinen Kindern Flügel, festhalten bringt gar nichts.“ Sie hatte recht, sie war eine sehr weise Tante.

Wie ist der Opa Rieu?

Ich bin der klassische Opa. (lacht) Ich verwöhne meine Enkel – natürlich. Das geht gar nicht anders. Um es musikalisch zu sagen: Mein Vater war Dirigent, zu Hause gab es nur klassische Musik. Da gab es nicht die Beatles oder die Rolling Stones. Wenn meine Enkel mit mir im Auto sitzen, dann fragen sie mich immer: „Opa, darf ich bitte meine Playlist spielen?“ Natürlich.

Gibt es eigentlich ein unvergessliches Konzerterlebnis in Deutschland?

Ja. Wir spielten vor 30 Jahren zum ersten Mal in Hamburg. Vier Abende waren ausverkauft. Das war für mich der Himmel auf Erden, es war fantastisch. Zu den schönsten Konzerten gehören für mich auch die auf der Insel Mainau, in Heidelberg oder in der Semperoper, die wir damals für das ZDF produziert haben. Die Deutschen haben diese Konzertbesucher-Kultur im Blut. Das Publikum in den Niederlanden ist reservierter – außer bei meinen Open Air Konzerten auf dem Vrijthof. Da tanzen sie auf den Tischen.

Ihre aktuelle DVD trägt den Titel „Love Is All Around“. Wie schwer fällt es Ihnen bei der aktuellen Weltlage, daran zu glauben?

Ich interessiere mich sehr für Geschichte und lese viel. Ich liebe die Stadt Rom und mache dort jedes Jahr Urlaub. Vor 2000 Jahren haben die Römer Sklaven wie Fliegen getötet. Da sind wir schon weitergekommen. Es gibt keine Sklaverei mehr. Natürlich ist der Ukraine-Krieg schrecklich, aber ich wehre mich dagegen, dass wir uns nur noch runterziehen lassen. Es ist nicht alles nur schlecht. Mich würde interessieren, ob es möglich ist, einen Staat nur auf Freundschaft und Liebe zu gründen. Ich denke, die Musik kann dabei helfen.

Gibt es überhaupt noch einen Wunsch, den Sie sich erfüllen möchten?

Ich möchte gesund bleiben und 140 Jahre alt werden.

Wirklich?

Ich bin davon überzeugt, dass es irgendwann Medikamente geben wird, die das möglich machen. Bis jetzt nehme ich noch nichts, ich ernähre mich gesund, rauche nicht und trinke nicht. Am wichtigsten für mich ist eine These: Bei mir ist das Glas immer halbvoll, nicht halbleer. Diese Einstellung ist wertvoll. Ich stehe jeden Morgen mit so viel Energie auf und frage mich: „Was machen wir jetzt?“

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