Essen. Ein Anruf seiner Klinik holte Daniel Zucic 2020 aus einem Alptraum zurück ins Leben. Auch wenn sich die Tumor-Diagnose bewahrheitete.

Es gibt sie doch, die guten Nachrichten. Und die, die sie erzählen können. Daniel Zucic ist so ein Mann.

Der Essener Werkzeugtechnologe war gerade Papa geworden und auch Abteilungsleiter. Ende 2020 hatte er daher „Bock auf action“ – und nicht auf „Erkältung“. Erst als er immer früher müde und immer schneller kurzatmig wurde, begann der damals 39-Jährige sich Sorgen zu machen. Dann ging es „Schlag auf Schlag“, erinnert er sich – nämlich: ihm „rapide schlechter“. An einem Sonntag im November kollabierte der junge Vater im heimischen Schlafzimmer. Seine Frau rief den Notarzt, ein Rettungswagen brachte ihn ins Krankenhaus.

Krebs im Endstadium? „Für mich war das gar nicht greifbar“

Lungenentzündung? Embolie? Das Herz? Die Ärzte rätselten zunächst, was den jungen, starken Mann so geschwächt haben könnte. Eine Bronchoskopie brachte Klarheit. Es war: Krebs – ein sogenanntes nicht kleinzelliges Lungenkarzinom. Das sich bereits in den Herzbeutel und ins Rippenfell ausgebreitet hatte. „Krebs im Endstadium, ein Tumor, der nicht mehr operiert werden konnte? Für mich war das ein Schock, gar nicht greifbar“, erinnert sich Daniel Zucic. Es war doch bald Weihnachten und sein Marko erst vier Monate alt...

Zucic landete am Lungenkrebs-Zentrum der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM), jährlich werden hier 900 Patienten behandelt. Man schickte seine Blut- und Gewebeproben in ein Speziallabor nach Bonn, wo sie molekulargenetisch untersucht werden sollten. Die aufwändige Diagnostik ist an allen Zentren Standard. Bei knapp 20 Prozent der Patienten findet man Gen-Mutationen, die gezielt therapiert werden können – weswegen diese Untersuchung stets vor der Therapie stehen sollte. „Ein, zwei Wochen dauert es in der Regel, bis die Ergebnisse vorliegen“, erläutert Dr. Christian Müller, Direktor der Klinik für Internistische Onkologie der KEM.

Ärzte starteten eine ambulante Chemotherapie

Ein, zwei Wochen – zu lang für Daniel Zucic. Der junge Vater lagerte in jenem Advent 2020 immer mehr Wasser ein. Viel zu viel, 950 Milliliter zog man ihm bei einer Punktion allein aus dem Herzbeutel. „Eine enorme Menge“, erklärt Müller. In Zucics Brustraum zeigten sich zudem hämorrhagische Ergüsse, Einblutungen. Die Ärzte starteten eine ambulante Chemotherapie, bevor die Ergebnisse der Molekular-Diagnostik vorlagen. „Wir konnten nicht länger warten, wir mussten handeln“, erklärt Müller. Zucic erinnert sich, wie unwirklich ihm die ganze Situation damals vorgekommen sei. „Ich hatte ja gar keine Zeit, mich darauf einzustellen, mir erschien das alles wie ein schlechter Alptraum.“

Er erwachte daraus erst, als das Telefon klingelte. Ein Anruf aus der Klinik, morgens um acht Uhr. Das Ergebnis des Bonner Labors lag vor. Zucic erinnert sich noch genau an diesen Anruf. „Der erste Satz lautete: Wir haben gute Nachrichten!“ Und der zweite: „Sie sind ALK-positiv.“ „Ich wusste es damals noch nicht, aber das war der Strohhalm, nach dem ich gesucht hatte“, sagt der heute 43-Jährige.

Dieser Lungenkrebs trifft vor allem Nichtraucher

Weniger als fünf Prozent der Patienten mit einem nicht kleinzelligen Lungenkarzinom sind ALK-positiv. Die Mutation, eigentlich eine „Genfusion“, die unkontrolliertes Zellwachstum verursacht, wurde erst 2007 entdeckt. Ihre Ursache ist ungeklärt. Die Hälfte der Betroffenen ist bei der Diagnose unter 50, manche sind schon im Teenager-Alter betroffen. Die Mutation trifft zudem größtenteils Nichtraucher – auch Daniel Zucic hatte 2020 das Rauchen längst aufgegeben. Da die Patienten jünger und in deutlich besserem Allgemeinzustand sind als andere Lungenkrebs-Patienten, wird bei 90 Prozent die Erkrankung erst im Stadium 4 festgestellt – wenn sich bereits Metastasen gebildet haben.

Doch: Ein ALK-positiver Krebs lässt sich gut „zielgerichtet“ therapieren – mit sogenannten „Tyrosin-Kinase-Inhibitoren“, die die „Anaplastic Lymphoma Kinase“ (ALK) hemmen.. „Ich nehme vier Tabletten morgens und vier abends“, berichtet Daniel Zucic. „Immer noch das gleiche Präparat, Alectinib, seit 2020.“ Es gebe ein paar unschöne Nebenwirkungen, erzählt der Essener. Er sei etwa wetterfühliger geworden und sehr lichtempfindlich, er kämpfe mit der Gewichtszunahme. „Aber auf den CT-Bildern ist nichts mehr zu sehen, nicht einmal, dass das je etwas war.“ 

„Der Durchbruch kam mit den Immuntherapien“

Vor 30 Jahren, zu Beginn seiner Karriere als Onkologe, erläutert Christian Müller, „da wären wir zufrieden gewesen, wenn ein Patient wie Herr Zucic ein Jahr geschafft hätte“. Lungenkrebs galt bis vor wenigen Jahren noch als eine der gefürchtetsten Krebsformen. Jetzt können auch die, nicht ALK-positiv sind, hoffen. „Der Durchbruch kam vor zehn Jahren mit den ersten Immuntherapien“, erklärt Müller. „Die haben der Krankheit ihren Schrecken genommen.“ Krebszellen „veräppelten“ das Immunsystem, die neuen Therapien machten es wieder „scharf“, versetzten den Körper so in die Lage, den Krebs zu bekämpfen.

Leben mit Lungenkrebs. Treffen mit Dr. Christian Müller  am Dienstag den 17. September 2024 in Essen. Foto:Ralf Rottmann/ Funke Foto Services

„Wir konnten nicht länger warten, wir mussten handeln.“

Dr. Christian Müller

Daniel Zucic wird seine Tabletten ein Leben lang nehmen, regelmäßig zur Nachsorge gehen müssen. Aber er sagt, er denke oft gar nicht mehr an seine Erkrankung. „Schon aus Selbstschutz, aber ich will auch nicht, dass das meinen Tag bestimmt.“ Erholt habe er sich damals im Übrigen auch „Schlag auf Schlag“. Nach der Reha startete er schon 2021 in seiner Maschinenbaufirma beruflich wieder durch, dankbar für die Unterstützung, die er von Arbeitgeber und Kollegen erfahren hatten. Diese hatten sogar ihre Überstundenlöhne gesammelt, um ihn zu finanziell unterstützen, als er ins Krankengeld „fiel“.

Eine „Bucketlist“ abzuarbeiten, große Pläne oder Wünsche für die Zukunft habe er nicht, sagt Zucic. Er empfinde schöne Momente nur viel intensiver als früher. „Gerade heute Morgen, da war ich so froh, dass ich meinen Sohn zur Kita bringen konnte...“ Inzwischen engagiert sich der 43-Jährige zudem für andere Betroffene, vor allem auf Social Media ist er aktiv, versucht anderen in ähnlicher Lage Mut zu machen, Hoffnung zu schenken. Warum? Er sagt: „Ich sehe das als meine Pflicht.“ Er hat schließlich eine Geschichte zu erzählen, die wirklich gut ist.