Ruhrgebiet. Eine neue Verordnung kann Leben retten. Sie gilt seit 1. Juli. Warum die Krankenkassen für die Untersuchung noch nicht zahlen.

60.000 Menschen erkranken Jahr für Jahr an Lungenkrebs. Fast 45.000 sterben jährlich daran. Denn Lungenkrebs macht im Frühstadium kaum Beschwerden: Bei 45 Prozent der Betroffenen wird die Erkrankung erst diagnostiziert, wenn sie bereits weit fortgeschritten ist. Und dann ist die Prognose schlecht: Vier von fünf Patienten sterben laut Deutscher Krebshilfe in den ersten fünf Jahren nach der Diagnose. Jetzt eröffnet eine neue Verordnung der Hauptrisikogruppe die Möglichkeit, Lungenkrebs zu erkennen, noch bevor Symptome auftreten. Zum 1. Juli ist sie in Kraft getreten

Starke Raucher (und Ex-Raucher) im Alter von 50 bis 75 Jahren dürfen sich künftig einer strahlungsarmen Computertomografie, einer sog. Niedrigdosis-CT, unterziehen. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz hat mit der neuen Verordnung diese Untersuchung für zulässig erklärt - das Strahlenschutzgesetz hatte sie bisher für Gesunde wegen der damit verbundenen Strahlenbelastung verboten.

AOK: Es gibt auch Risiken

Experten wie Prof. Servet Bölükbas, Direktor der Klinik für Thoraxchirurgie an der Essener Ruhrlandklinik, fordern seit Jahren ein flächendeckendes „Lungenscreening“. Auf einer Patientenveranstaltung hatte der Spezialist 2022 von Studien in Holland und Belgien berichtet: Dort waren gesunde 50- bis 75-Jährige aus Lungenkrebs-Risikogruppen untersucht worden: 40 Prozent der Tumoren seien dabei schon im Stadium I entdeckt worden – in Deutschland sind es bisher nur 20 Prozent. Fünf von 1000 starken Rauchern könnte das Niedrigdosis-CT-Screening das Leben retten, sie davor bewahren, an Lungenkrebs zu sterben. Das ergab eine aktuelle Meta-Analyse des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.

Eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg bestätigte, dass es unter Medizinerinnen und Medizinern „weitgehend unstrittig (sei), dass ein jährliches Screening die Lungenkrebs-Sterblichkeit bei starken und ehemals starken Raucherinnen und Rauchern reduzieren kann“. Allerdings sei die regelmäßige CT-Untersuchung auch mit Risiken verbunden: Falsch-positive Ergebnisse könnten zu unnötigen Zusatzuntersuchungen führen. Außerdem bestehe die Möglichkeit, dass Tumoren behandelt würden, die klinisch nie bedeutsam geworden wären. Zudem gehe von einer Lungen-CT, wie bei jeder Röntgenuntersuchung, ein Strahlenrisiko aus.

Neun von zehn betroffenen Männern haben geraucht

Als starker Raucher gilt laut Verordnung eine Person, die „mindestens 25 Jahre lang geraucht hat“ und „mindestens 15 Packungsjahre hat“. Wenn man die Zahl der pro Tag gerauchten Zigarettenpackungen mit der Zahl der Raucherjahre multipliziert, kann man die „Packungsjahre“ errechnen: Hat jemand zwei Schachteln täglich über fünf Jahre hinweg oder eine Schachtel über zehn Jahre hinweg geraucht, kommt er auf zehn „Packungsjahre“. Berücksichtigt wird ausschließlich der Konsum von Zigaretten.

Rauchen gilt als größter Risikofaktor für eine Lungenkrebs-Erkrankung. Neun von zehn betroffenen Männern und etwa sechs von zehn Frauen haben geraucht, zeigen AOK-Statistiken.

„Vor allem ärmere und weniger gebildete Personen greifen regelmäßig zur Zigarette. Insbesondere diese Menschen können sich die Untersuchung jedoch nicht leisten.“

Gerd Nettekoven,
Vorstandsvorsitzender Deutsche Krebshilfe

Die Deutsche Krebshilfe begrüßt die neue Verordnung, sie fordert aber zugleich, dass die Kosten für die computertomografische Untersuchung der Lunge von den gesetzlichen Krankenkassen auch übernommen werden. Das ist noch nicht der Fall. Interessierte, beschwerdefreie Raucher müssen vorerst selbst dafür aufkommen. „Vor allem ärmere und weniger gebildete Personen greifen regelmäßig zur Zigarette. Insbesondere diese Menschen können sich die Untersuchung jedoch nicht leisten“, kritisiert Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe. Der Gemeinsame Bundesausschuss, das höchste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, diskutiert gerade über Kosten, Nutzen und Risiken der Untersuchung, in spätestens 18 Monaten wird er entscheiden, ob und in welchem Rahmen sie eine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung wird.

Derzeit laufen auch noch Vorbereitungen zur Umsetzung der neuen Früherkennungsuntersuchung. Radiologen benötigten spezielle Fortbildungen, Praxen und Zentren müssten Nachweise erbringen, die sicherstellen, dass sie den hohen Qualitätsanforderungen genügen. Außerdem müssten die zuweisenden Mediziner vorab über Nutzen und Risiken der Untersuchung aufklären – und zuvor dafür eigens geschult werden., so die AOK. Diese Schulungen würden aber noch gar nicht angeboten, auch das in der Verordnung geforderte Aufklärungs- und Infomaterial für Interessierte sei derzeit noch nicht verfügbar.

>>> Eine Änderung gibt es auch bei der Früherkennung von Brustkrebs.
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