Essen. Nur Apotheken und Praxen sei zu verdanken, dass es noch keinen „Versorgungs-Notstand“ gebe. Das Ministerium leugne die Tatsachen.
Mit dem Herbst droht die nächste Infektionswelle. Der Streit um neue Medikamenten-Lieferengpässe ist bereits da. Nach wie vor seien über 500 verschreibungspflichtige Medikamente nicht vorrätig oder nur mit Verzug lieferbar, warnen die Landesverbände der Hausärzte, Apotheker, Zahnärzte im Bereich Nordrhein sowie der Landesverband West medizinischer Fachberufe in einer gemeinsamen Stellungnahme. Man fürchte, „die bestehende Versorgungslücke könnte sich weiter verschärfen“ – und an verantwortlicher Stelle werde das geleugnet.
Antibiotika, Antidepressiva, Asthma-Mittel, Insulin, Herz- und Krebsmedikamente, Schmerzmittel – die Liste der nicht verfügbaren Wirkstoffe steige, heißt es in dem Schreiben. Hauptgründe seien Produktionsausfälle und Lieferschwierigkeiten. Tatsächlich meldet das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte aktuelle Lieferengpässe bei 486 „Humanarzneimitteln“, Stand: 18.9. Ein Lieferengpass ist demnach definiert als „eine über voraussichtlich zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang oder eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden kann“.
Gesundheitsministerium: Nur punktuelle Probleme
Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums hatte dagegen zuvor gegenüber der „Bild“ erklärt, die Lieferengpässe hätten sich im Vergleich zum Vorjahr halbiert, es gebe lediglich „punktuelle“ Probleme „in einem sehr komplexen Markt“ – und „fast immer“ seien Wirkstoff-gleiche Alternativen verfügbar.
Sei das eigentliche verschriebene Medikament eines bestimmten Herstellers nicht vorrätig, heißt es in der Mitteilung des Aktionsbündnisses, müsse aber mit den Patienten die mögliche neue Medikation besprochen werden. „Die Umstellung auf Präparate mit ähnlichen Wirkstoffen ist immer mit einer Beratung verbunden. Oft müssen Therapiepläne geändert werden, da die Wechselwirkungen der Medikamente weitere Umstellungen in der Medikation notwendig machen.“
Aktionsbündnis: Schlag ins Gesicht der Betroffenen
„Die Lieferengpässe von Arzneimitteln sind eine bittere Realität in der täglichen Versorgung unserer Patienten“, heißt es in der aktuellen Stellungnahme. „Die andauernden Beschwichtigungen aus dem Bundesgesundheitsministerium und auch von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach selber zeigen, wie fernab von der Versorgungswirklichkeit dort Gesundheitspolitik betrieben wird.“ Man empfinde das als „Schlag ins Gesicht der betroffenen Patienten und der Heilberufe Ärztin / Arzt und Apothekerin / Apotheker“, stellt das Aktionsbündnis klar.
Es nennt als Gründe für die Engpässe – neben der „Wirkungslosigkeit der politischen Maßnahmen der Bundesregierung“ – die „ausschließlich auf größtmöglichen Ertrag angelegte(n) Forschung und Produktion der Hersteller“ sowie die Verlagerung der Herstellung ins Ausland. „Die Bereitstellung von ausreichend vielen Medikamenten, die nicht mehr patentiert sind und daher niedrige Preise haben, scheint zugunsten profitabler Arzneimittel vernachlässigt zu werden.“
Ein „Versorgungsnotstand“ habe bislang nur durch den Einsatz der Arztpraxen und Apotheken vor Ort in vermieden werden können. Apotheken, Hausarztpraxen und Zahnarztpraxen könnten aber „weder Lückenbüßer für Pharmahersteller, die Lieferverpflichtungen nicht nachkommen, noch für eine verfehlte Bundesgesundheitspolitik sein.“ US