Essen. Manche Medikamente sind derzeit rar. Ideen, wie man den Lieferengpässen begegnen soll nicht. Über neue Preisregeln und „Flohmärkte“ für Arzneien.

Große Begeisterung hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit seinen neuen „Preisregeln“ für Kinderarzneien als Antwort auf die aktuellen Lieferengpässe nicht wecken können. Die Vorschläge und Lauterbachs geplantes Eckpunktepapier seien nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“, glaubt etwa Thomas Preis, der Vorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein. „Denn kurzfristig ändern sie nichts!“ Die Pharmaindustrie habe insbesondere bei Kinderarzneien einen „Vorlauf von fast einem Jahr“. „Das bedeutet, dass sich die Versorgungslage frühestens im nächsten Winter verbessern wird“, so Preis.

Der Bundesgesundheitsminister hatte am Montagabend angekündigt, dass Krankenkassen künftig für bestimmte Präparate das bis zu 1,5_Fache des „Festbetrags“ übernehmen sollen. Der Festbetrag ist der maximale Betrag, den sie heute für ein Medikament bezahlen. Die Regelung soll einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge dauerhaft gelten, aber vor allem aktuell helfen. Für bestimmte Krebsmedikamente und Antibiotika für Erwachsene seien ähnliche Maßnahmen geplant.

Apotheker: Am schwierigsten ist die Lage derzeit bei Penizillinen

Der Apotheker Preis erwartet indes eine weitere Verschärfung der Lieferprobleme. Die Apotheker im Land täten zwar alles, um zu verhindern, dass aus diesen Lieferproblemen weitere Versorgungsprobleme würden, viele produzierten etwa Fiebersäfte inzwischen selbst. „Doch das ist kein Zusatzgeschäft, sondern sehr zeitintensiv, kaum noch zu stemmen in der aktuellen angespannten Situation. Auch bei uns sind viele Mitarbeiter ja erkrankt.“

Am schwierigsten sei die Lage derzeit bei Penizillinen, für Kinder wie Erwachsene. „Da ist vieles überhaupt nicht mehr zu bekommen und die werden gerade dringend gebraucht, weil viele Menschen an Streptokokken-A-Infektionen leiden.“ Man versuche, auf Amoxicillin, ein anderes Antibiotikum auszuweichen – „doch da ist die Lieferkette ebenfalls instabil“. Auch Desensibilisierungen für Allergiker, die üblicherweise in der Zeit verabreicht werden, wenn keine Pollen fliegen, also jetzt, seien knapp. „Viele Hersteller können erst im Mai wieder liefern – wenn die Therapie kaum noch sinnvoll ist“, so Preis.

Geplante Vergütung von 50 Cent für Apotheker „nicht ansatzweise kostendeckend“

Der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL )„begrüßt“, dass das Bundesgesundheitsministerium nun Maßnahmen ergreife, „um das dramatische Problem der Lieferengpässe zu lösen“, bewertet es „grundsätzlich“ auch als positiv, dass Lockerungen bei den Festbeträgen geplant seien. „Diese Regeln sind allerdings angesichts der aktuellen gravierenden Mangelsituation nicht mehr ausreichend“, erklärte der AVWL-Vorstandsvorsitzende Thomas Rochell. „Ein Austausch geht derzeit nur, wenn viele formale Vorgaben erfüllt sind. Wir brauchen noch mehr Flexibilität, um den Patienten schnell und effizient helfen zu können.“

Für den „Lieferengpass-Bonus“ sei zunächst auch eine Rücksprache mit dem Arzt erforderlich. „Jeder, der einmal versucht hat, mit einem Arzt zu telefonieren, weiß, wie aufwendig dies ist“, so Rochell. Hinzu kämen Suche und Auswahl eines Alternativpräparates, die intensive Beratung der verunsicherten Patienten. Die offenbar geplante Vergütung dieses Krisenmanagements in Höhe von 50 Cent sei „nicht ansatzweise kostendeckend“.

Flohmärkte für Medikamente? „Ein Offenbarungseid“

Auf noch weniger Gegenliebe stieß bei den Apotheken im Land eine andere Idee, wie den Lieferengpässen zu begegnen sei: Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hatte am Wochenende vorgeschlagen, mit „Flohmärkten für Medikamente in der Nachbarschaft“ Abhilfe zu schaffen, unter Umständen auch mit Medikamenten, deren Haltbarkeitsdatum vor kurzem abgelaufen sei. „Ein solcher Vorschlag, unterbreitet vom obersten Vertreter der Ärzteschaft, ist der Offenbarungseid des deutschen Gesundheitssystems“, glaubt dazu Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe (AVWL).

Dass Patienten Arzneimittel, die womöglich auch noch abgelaufen seien, wie abgelegte Kleider auf dem Basar tauschten, sei höchst riskant. Vorerkrankungen oder mögliche Wechselwirkungen mit anderen Substanzen müssten berücksichtigt werden, betont Rochelle, zumal, wenn Beipackzettel vielleicht gar nicht mehr vorhanden seien. Nicht auszudenken sei, wenn auf solchen Flohmärkten sogar Antibiotika getauscht würden.

Schwer nachzuhalten, ob eine Arznei korrekt gelagert wurde

Aus gutem Grund verbiete das Gesetz im Übrigen, Arzneimittel nach dem Verfall in Verkehr zu bringen. „Es ist doch gar nicht nachzuhalten, ob der Vorbesitzer das Mittel korrekt gelagert hat“, warnt Rochell. Säfte beispielsweise seien nach Anbruch nur verkürzt haltbar, danach könnten sich gefährliche Keime entwickeln – und niemand könne wissen, wann der ursprüngliche Besitzer die Flasche geöffnet habe.

Der Vorsitzendes Apothekerverbands Nordrhein, Thomas Preis, sagte zum Thema nur: „Arzneien gehören in Apotheken, nicht auf Flohmärkte. Das sind ganz besondere Produkte, deshalb dürfen sie auch nur von Pharmazeuten abgegeben werden.“

Aus Sicht der AOK-Krankenkassen liegen die Ursachen für Lieferengpässe „vor allem in der internationalen Marktsituation. Höhere Beträge für Kindermedikamente lösen das Problem nicht“, so eine Sprecherin der AOK Rheinland. „Ohne weitere Regelungen erhöhen sie nur die Einnahmen der Pharmaunternehmen.“ Zielführender sei es, Hersteller zu verpflichten, ihre Lieferschwierigkeiten zu melden. Dies werde bereits in anderen Ländern umgesetzt. „Ein weiterer Baustein ist eine bessere Vorrats- und Lagerhaltung im Großhandel sowie bei pharmazeutischen Unternehmen.“ Mögliche Mehrkosten könne man noch nicht abschätzen.