Essen. Armutszuwanderung birgt aus Sicht der Ruhr-SPD eine große Herausforderung. Was den schuldengeplagten Städten helfen könnte.

Frank Schwabe kennt die Häuser genau: Drei Immobilien seien es in Castrop-Rauxel, in denen vor allem Menschen aus Rumänien leben, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete aus dem Kreis Recklinghausen. „Da geht man rein und fragt sich: Ist das noch Deutschland hier?“ Die Gebäude seien verwahrlost, die Wände nicht gestrichen. Die Stadt versuche bestens präsent zu sein, kontrolliere, mache Druck auf den Vermieter, versichert der Sozialdemokrat im Gespräch mit dieser Redaktion. „Aber am Ende fehlt das ausreichende Personal und die Möglichkeiten in einer finanzarmen Stadt.“

Damit bringt Schwabe zwei Themen zusammen, die die Ruhrgebietsabgeordneten in der SPD-Bundestagsfraktion nach vorne stellen wollen: die hohe Last der Altschulden, die den Spielraum der Rathäuser gerade im Norden des Ruhrgebiets massiv begrenzen, einerseits und anderseits die sogenannte Armutszuwanderung von EU-Bürgern, die Städte wie Castrop-Rauxel, Gelsenkirchen oder Hagen besonders herausfordert.

Bei der Bundestagswahl 2021 hat die SPD noch 19 von 20 Ruhrgebiets-Wahlkreisen direkt geholt

Für beides brauche es Unterstützung, so die Botschaft der Ruhrgebiets-Abgeordneten bei einem Besuch in der Redaktion. In einem Papier mit fünf Punkten zu Hilfen für die Städte, ihre Infrastruktur und Wirtschaft machen sie auch gegenüber der eigenen Regierung im Jahr vor den Bundestags- und Kommunalwahlen 2025 deutlich, worum es am Ende geht: Ohne Rückhalt im Ruhrgebiet verliere die SPD NRW und den Bund.

Fünf der SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet: (v.l.) Brian Nickholz, Frank Schwabe, Markus Töns, Axel Echeverría und Axel Schäfer mit Referentin Alexandra Csoma.
Fünf der SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet: (v.l.) Brian Nickholz, Frank Schwabe, Markus Töns, Axel Echeverría und Axel Schäfer mit Referentin Alexandra Csoma. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Prognose kommt nicht von ungefähr: Das Ruhrgebiet galt lange als Herzkammer der Sozialdemokratie und tatsächlich gelang es den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl 2021 noch, 19 der 20 Wahlkreise im Revier direkt zu gewinnen. Kaum eine Region ist personell so stark im Bundestag vertreten wie das Ruhrgebiet. Doch die Zustimmung schwindet: Laut einer Forsa-Befragung von Anfang August wollen nur 18 Prozent der Menschen in NRW bei der nächsten Bundestagswahl die SPD wählen - 2021 erhielt die Partei noch 29,1 Prozent der Zweitstimmen.

Städte ächzen unter 18 Milliarden Euro Altschulden: SPD fordert Wüst zum Handeln auf

Als ein Kernproblem der Städte benennen die Ruhrgebiets-Abgeordneten die Altschulden, die die SPD als tickende Zeitbombe identifiziert. Landesweit werden die Schulden aller Kommunen auf 18 Milliarden Euro geschätzt - am tiefsten stecken Ruhrgebietsstädte in den roten Zahlen. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte unlängst eine Lösung vorgestellt: Das Land wolle ab 2025 pro Jahr 250 Millionen Euro zur Schuldentilgung bereitstellen. Die SPD-geführte Ampelkoalition forderte er auf, die gleiche Summe beizusteuern. Dazu müsste nach Expertensicht das Grundgesetz geändert werden. Dafür braucht es die CDU und die Länder.

Frank Schwabe, Bundestagsabgeordneter aus dem Kreis Recklinghausen

„Da geht man rein und fragt sich: Ist das noch Deutschland hier?“

Frank Schwabe
Bundestagesabgeordneter (SPD) aus dem Kreis Recklinghausen über Schrottimmobilien

Der Gelsenkirchener Abgeordnete und Sprecher der Ruhrgebiets-Abgeordneten, Markus Töns, fordert Wüst nun zum Handeln auf. „Er darf sich nicht auf seinem vorgelegten Versprechen ausruhen, wohl wissend, dass es an der Zustimmung seiner Partei auf Bundesebene hapert“, sagt Töns gegenüber dieser Redaktion. Dies sei kein Gesetz für NRW. „Das ist ein Einstieg, um die Kommunen insgesamt zu entlasten.“

Wie groß die Überzeugungsarbeit für eine geforderte Altschuldenlösung auch in den eigenen Reihen ist, erzählt indes der Wittener Abgeordnete Axel Echeverría: „Kollegen aus Süddeutschland verstehen gar nicht, was wir mit Schrottimmobilien meinen.“

Reaktion auf Solingen

Sebastian Fiedler, SPD-Abgeordneter für Mülheim und Essen, kritisiert die anhaltende Debatte um Messerverbote nach dem Attentat von Solingen. Sie habe mit der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus wenig zu tun, so der Kriminalhauptkommissar und frühere Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). „Vielmehr brauchen wir ein Mitführungsverbot von Messern im gesamten öffentlichen Raum und natürlich erst recht im ÖPNV, um angesichts der etwa 14.000 Messerangriffe im vergangenen Jahr ein unmissverständliches Signal zu senden; gerade an Jugendliche.“ Ausnahmen sollte es für den alltäglichen Gebrauch kleiner Taschenmesser, die Berufsausübung oder den Sport geben. Die Bundesregierung hatte sich nach dem Anschlag in Solingen auf ein Maßnahmenpaket verständigt. Unter anderem soll das Waffenrecht verschärft werden.

Armutszuwanderung: Städte sollten bei Flüchtlingszuweisung entlastet werden

Auch bei der Frage, wie jene Menschen aus Rumänien oder Bulgarien erreicht werden können, die sich als EU-Bürger auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit der EU berufen können und dann chancenlos in eben jenen Schrottimmobilien leben, fordern die Ruhrgebietsabgeordneten Hilfe. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit sei insgesamt ein Erfolgsmodell, sagt Töns. „Über 90 Prozent der Menschen, die aus anderen EU-Ländern zu uns kommen, arbeiten und stocken nicht auf. Wir müssen uns aber um die kümmern, die ohne Chancen kommen. Das ist eine gesamtdeutsche Aufgabe, keine des Ruhrgebiets.“ In Gelsenkirchen lebten rund 14.000 Armutszugewanderte.

„Kollegen aus Süddeutschland verstehen gar nicht, was wir mit Schrottimmobilien meinen.“

Axel Echeverría
Bundestagsabgeordneter aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis

Nötig seien mehr Kräfte in Kitas und Schulen, aber auch Restriktionen für jene, die sich nicht an die Regeln halten. „Es braucht beide“, sagt der Bochumer Abgeordnete Axel Schäfer. Kommunen bräuchten zudem Entlastung, um die Integrationsaufgabe zu bewältigen, heißt es von den Abgeordneten. Sie werben dafür, dass Armutszuwanderung bei der Zuweisung von Flüchtlingen berücksichtigt werden müsse.

10.000 Arbeitsplätze in Gefahr - trotz Milliardenförderung: „Bund und Länder müssen aus dem Beispiel Thyssenkrupp lernen“

Die Ergebnisse bei Thyssenkrupp in Duisburg, wo Vorstandschef Miguel López hart in der Stahlsparte durchgreift und nach Angaben der IG Metall bis zu 10.000 Arbeitsplätze in Gefahr sein könnten, werfen längst auch auf andere Teile des Ruhrgebiets einen Schatten. Die Sorge um Arbeitsplätze treibe die Sozialdemokraten in allen Wahlkreisen um, sagte der Gelsenkirchener Töns. „Wir sehen die große Gefahr, dass auch weiterverarbeitende Betriebe in anderen Städten des Ruhrgebiets ihre Produktion kappen oder ganz verlagern könnten. Dann stehen wir vor einer schweren Krise.“ Die geplante Reduzierung der Stahlproduktion sei absolut inakzeptabel.

Der Sozialdemokrat Markus Töns ist seit 2017 Mitglied im Deutschen Bundestag. Der Gelsenkirchener ist Sprecher der SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet.
Der Sozialdemokrat Markus Töns ist seit 2017 Mitglied im Deutschen Bundestag. Der Gelsenkirchener ist Sprecher der SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Axel Echeverría, Abgeordneter für den Ennepe-Ruhr-Kreis, hofft auf eine Lernkurve bei Bund und Land. Beide fördern die Umstellung auf klimafreundlicher produzierten Stahl bei Thyssenkrupp mit zusammen rund zwei Milliarden Euro. Solche Summen müssten aus Sicht des Witteners künftig mit klaren Bekenntnissen verbunden sein. „Bund und Länder müssen aus dem Beispiel Thyssenkrupp lernen“, sagt Echeverría. „Wenn der Staat Fördergelder an die Industrie vergibt, sollte das künftig an bestimmte soziale Bedingungen wie den Arbeitsplatzerhalt geknüpft sein.“

Eher zerknirscht reagieren die Sozialdemokraten auf Fragen zum öffentlich ausgetragenen Streit der Ampelregierung. Brian Nickholz, SPD-Abgeordneter aus dem Kreis Recklinghausen, betont, dass es auch Bereiche gebe, in denen die Ampel geräuschlos zusammenarbeite - etwa bei einem Aktionsplan zur Obdach- und Wohnungslosigkeit. Der Bochumer Axel Schäfer indes gibt rundheraus zu: „Dieses Gegeneinander von Robert Habeck und der FDP war absolut entsetzlich. Das überdeckt alles, was wir in der Ampel an guten Dingen vorangebracht haben, und es verwirrt die Wähler.“