Dortmund. Am 29. März 1974 lief der erst VW Golf vom Band. Unser Autor fand ihn lange Zeit blöd. Dann aber kam eine ganz besondere Version.
Wir sind eine Opel-Familie damals. Rekord, Ascona, Manta, Kadett. Immer Opel, was anderes kommt Opa und Vater nicht ins Haus. Klar kennt man VW. Als „Käfer“. Oder als „Bulli“. Fahren ja überall rum damals. Sind aber uninteressant. „Lahme Kiste“, sind sich die Jungs in der Clique einig. Vielleicht hält sich die Aufregung deshalb auch in Grenzen, als im Frühjahr 1974 der erste VW-Golf auf den Markt kommt. 50 PS, 145 Km/h Spitzengeschwindigkeit, Preis knapp 8000 Mark. „Auch eine lahme Kiste“, ist man sich einig. Schlimmer noch. „Sieht Scheiße aus.“ Und dann dieser Name. „Golf“. „So heißt doch kein Auto, kannst du vergessen.“
1974 ist eine schwierige Zeit für die Einführung eines neuen Autos
Können wir aber nicht. Weil der Golf bald überall zu sehen und damit unübersehbar ist. Die Polizei fährt mit ihm Streife, die Post ihre Briefe, Fahrschulen ihre Schüler und Schülerinnen. Und der erste Nachbar hat auch bald einen und schwärmt: „Großartiges Auto.“ So gut verkauft sich der „Käfer-Killer“, dass man in der VW-Chefetage nicht nur aufatmet, sondern überrascht ist vom Erfolg. Vor allem, weil es keine gute Zeit ist, um ein neues Autos auf den Markt zu bringen. Gerade erst ein paar Monate ist es her, dass es vier autofreie Sonntage gegeben hat. Der Benzinpreis ist seitdem auf 80 Pfennig für den Liter geklettert und die deutsche Autoindustrie verzeichnet einen Produktionsrückgang von knapp 20 Prozent.
VW ist sogar besonders gebeutelt. Viel zu lange hat man sich auf den Käfer verlassen, die Entwicklung neuer Modelle nur halbherzig betrieben. 1973 schmilzt der Gewinn auf 82 Millionen Mark, ein Jahr später verzeichnet der Konzern rund 800 Millionen Mark Verlust. Erste Zeitungen drucken bereits das Wort „Pleite“. Dann kommt der Golf. Mit ihm setzen VW und sein Designer Giorgio Giugiaro alles auf eine Karte. Alles am Golf ist anders als beim Käfer. Seine Formen sind nicht rund, sondern kantig. Der Motor ist kein luftgekühlter Boxer mehr, sondern ein wassergekühlter Vierzylinderreihenmotor. Und der Antrieb ist vom Heck zur Front gewandert.
VW Golf I: Eine Million Käufer in zwei Jahren
In den ersten Vergleichstests schneidet der Neue aus Wolfsburg nicht immer als Bester ab, und Kritiker verspotten ihn wahlweise als „Blechbüchse“ oder „Schuhschachtel“. Das alles kann den Golf nicht stoppen. Die Deutschen der 1970er-Jahre schätzen den Käfer-Nachfolger. Vielleicht auch, weil er ein wenig ist, wie sie selbst. Irgendwo zwischen Biedermann und Jedermann. Kein Weltenbummler, sondern bodenständig, trotz kleiner Macken grundsätzlich zuverlässig. Ein bisschen wie der Schwiegersohn, den man gerne hätte. Oder wie Volkswagen ihn bewirbt: „Einer für alle“. Kaum zweieinhalb Jahre nach seiner Einführung haben sich bereits eine Million Käufer für den neuen Volkswagen entschieden, und der Kleinwagen aus Wolfsburg hat eine neue Fahrzeugklasse geschaffen: Die Golf-Klasse.
Mir ist das alles egal, als ich meinen Führerschein gemacht habe. Zusammen mit der Fahrerlaubnis bekomme ich den alten Wagen von Opa. Einen City Kadett. In Orange. Automatik. Ja, das ist schlimm. Und es wird auch nicht viel besser durch die Rally-Streifen, die ich auf beiden Seiten aufkleben lasse. Bei 130 km/h ist Schluss. Und selbst die erreicht man nur bergab mit Rückenwind. Nach einem Jahr kaufe ich einen gebrauchten Manta B. Rot, mit schwarzem Vinyl-Dach und 1980 noch nicht Zielscheibe Tausender flacher Witze. Dann folgt ein D-Kadett in der SR-Version, in Schwarz und Weiß. Opel Familie, wie gesagt. „Niemals Golf“, sage ich und ein guter Freund wird fast verstoßen aus der Clique, nachdem man ihn im Golf-Cabrio gesehen hat. „Erdbeerkörbchen spazieren fahren.“ Dann stoße ich beim Blättern in einer Illustrierten auf eine Anzeige. Bevor der Golf I eingestellt wird, spendiert VW ihm noch ein GTI-Sondermodell. „Ab sofort: Exclusiv Look zum Inclusiv-Preis“ steht da. Und das ist nicht gelogen.
Ja, technisch mit 1,8 l Maschine mit 112 PS und offiziell 183 Km/h Höchstgeschwindigkeit ist das nur ein „normaler“ GTI. Aber sonst: Auflage 10.500 Exemplare. Alufelgen mit P-Lochmuster und darauf Pirelli CN 36-Reifen in der Größe 185/60 HR 14. Vierspeichen-Sportlenkrad mit lederbezogenem Kranz sowie der Doppelscheinwerfer-Grill mit Halogen-Haupt- und Nebelscheinwerfern. In Wagenfarbe lackierte Anbauteile – Rückspiegel, Kotflügel-Verbreiterungen und Stoßfänger. Und das alles für unter 20.000 D-Mark. Dieses Modell ist Liebe auf den ersten Blick und dank großzügiger Spende der Großeltern auch eine erfüllte. Ganz in Weiß. Ein aufregendes Auto.
Aufregend zu fahren und trotzdem alltagstauglich
Für viele ist der Pirelli Golf der beste GTI aller Zeiten. Für mich auch. Klar, heute hat jeder Mittelklasse SUV mehr unter der Haube. Aber der Golf ist leicht, ist ein Fliegengewicht. Deshalb beschleunigt er auf den ersten Metern nur unwesentlich langsamer als ein Porsche. Und wenn er läuft, dann läuft er. Lange habe ich von jenem Sommerabend erzählt, an dem ich über die autoleeren A40 und A45 unter teilweiser Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in 50 Minuten von Venlo ins Sauerland gefahren bin. Bitte nie nachmachen. War damals schon dumm. Funktioniert heute auch nicht mehr. Zu viel Verkehr, zu viele Blitzer.
Man kann mit dem Pirelli auch langsam cruisen. Schiebedach auf, Ellenbogen aus dem Fenster, Ray Ban auf der Nase und Laura Branigan, Frankie Goes To Hollywood oder Alphaville im Kassettenrekorder. Der Pirelli Golf ist kein Golf im Schafspelz, er ist ein eleganter Golf. Aufregend zu fahren und trotzdem alltagstauglich. Anders als all die in sachkundiger Eigenarbeit verbreiterten und tiefergelegten Kleinwagen, deren Fahrer schon bei der Fahrt über einen Gullydeckel aus Sorge um ihren Spoiler ins Schwitzen geraten.
Vier Jahre und 80.000 Kilometer sind Pirelli und ich zusammen, ohne dass es Schwierigkeiten gibt. Dann verlasse ich ihn für einen Franzosen, namens Peugeot 208 GTI. Ein wenig schneller, ein wenig leichter, ein paar Extras mehr. Man wird ja schnell untreu als junger Mensch. Andere Beziehungen sollen länger gehalten haben. Angela Merkel ist angeblich mal viele Jahre Golf gefahren, Papst Benedikt hatte definitiv einen, als er noch Kardinal Ratzinger hieß.
Der VW Golf ist immer noch das beliebteste Auto in Deutschland
Über 37 Millionen Mal ist der Golf inzwischen in insgesamt acht Generationen und unzähligen Varianten gebaut worden. Und auch im Februar 2024 wird kein anderes Auto in Deutschland öfter zugelassen als der Golf. Die jüngste Generation hat Dinge an Bord, von denen ich im Pirelli nicht geträumt habe. Freunde, die aktuell einen fahren, schwärmen immer noch mit Begriffen wie „zuverlässig“ oder „solide“ von ihrem Auto aus Wolfsburg.
„Aufregend“ sagt allerdings niemand mehr.