Gelsenkirchen. Müssen viele Tausende private Knöllchen auf videoüberwachten Supermarktparkplätzen nicht bezahlt werden? Es geht um Millionen von Euro.
Der Ärger wächst. Immer mehr Parkplätze im Ruhrgebiet werden mittlerweile von Kameras kontrolliert – besonders vor Supermärkten und Discountern. Externe, private Überwachungsfirmen brummen Kunden, die die erlaubte Parkzeit überschreiten, Vertragsstrafen von 40 Euro und mehr auf. Aber nicht jede Art von Überwachung ist erlaubt.
Anbieter sprechen von Kennzeichenerfassung, nicht von Videoüberwachung
Die meisten Anbieter der privaten Parkraumkontrolle sprechen allerdings ohnehin nicht gerne von Videoüberwachung. Sie sagen lieber „Kennzeichenerfassung“, weil bei ihnen weder Auto noch Fahrer erfasst werden, sondern nur die Nummernschilder. Um sie zu ermitteln, werden Kameras an Laternen, Pfosten und Fassaden so angebracht, dass die Kennzeichen bei der Ein- wie bei der Ausfahrt aufgenommen werden. Ist die Zeit dazwischen länger als die erlaubte Parkzeit, die meist zwischen 90 und 120 Minuten liegt, flattert ein Brief mit der Vertragsstrafe ins Haus.
Betroffene sind oft verärgert und in Sorge um den Datenschutz. Man erhalte viele Beschwerden, teilt der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LDI) mit. Bei nachvollziehbarer Begründung aber, heißt es weiter, könne eine Kfz-Kennzeichenerfassung zur Parkraumbewirtschaftung „im Interesse der Inkassosicherheit“ datenschutzrechtlich zulässig sein – sofern einige Regeln beachtet werden. So muss etwa auf einer ausreichenden Zahl von Schildern unübersehbar auf die Überwachung hingewiesen werden. Und wenn die Parkzeit nicht überschritten wird, sind die Daten so schnell wie möglich zu löschen, maximal nach 72 Stunden.
Das Geschäft der Überwacher floriert
Für die größte Aufregung sorgte zuletzt das Unternehmen „Parkvision“ aus dem hessischen Maintal. Es erfasst nämlich nicht nur automatisch die Kennzeichen der Fahrzeuge, sondern auch wohin die Insassen gehen. Wer nicht tatsächlich in den Geschäften einkauft, zu denen die Parkplätze gehören, muss Strafe zahlen. Genutzt wird die Technik unter anderem auf dem Parkplatz eines Gelsenkirchener Supermarktes. Selbst wer nur wenige Minuten dort parkt, um etwa bei einer Reinigung um die Ecke etwas abzuholen, wird wegen „Blockierung von Kundenstellfläche ohne Einkauf in einem der ausgewiesenen Geschäfte“ mit 40 Euro zur Kasse gebeten.
Hunderte von Anfragen, habe es seitdem in seiner Kanzlei gegeben, sagt der Gelsenkirchener Anwalt Arndt Kempgens. Auch beim Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (HBDI), der für Parkvision zuständig ist, gab es immer wieder Beschwerden. Die Sach- und Rechtslage habe sich als „äußerst komplex“ erwiesen, teilt der HBDI mit. Fragen zum eingesetzten System habe Parkvision zunächst nicht zur Zufriedenheit der Behörde beantwortet. Erst als die Behörde wegen Verstoßes gegen die Rechenschaftspflicht (Art. 5 Abs. 2 DS-GVO) damit drohte, den Weiterbetrieb der Firma zu untersagen, rührte sich Parkvision. Aufgrund der Hinweise zu möglichen datenschutzrechtlichen Verstößen habe das Unternehmen „sein System wesentlich verändert und erst danach die aktuelle Funktionsweise des Systems umfassend dargelegt“, heißt es beim hessischen Datenschutz.
Anwalt spricht von guter Nachricht
Danach arbeitet die Firma jetzt mit einer Laufwegerkennung. Aus Sicht des Datenschutzes ein wesentlicher Unterschied zu einer Gesichtserkennung, denn: „Anhand der gesammelten Daten lässt sich nicht ermitteln, wer wann und wo eingekauft hat. Damit werde die Umsetzung der Datenschutzgrundsätze künftig besser gewahrt, mögliche datenschutzrechtliche Mängel seien beseitigt. Parkvision selbst äußert sich auf Anfrage der Redaktion bisher nicht dazu.
Anwalt Kempgens hält die Mitteilung des HBDI für eine gute Nachricht. „Das bedeutet, dass der HBDI vor der Änderung des Systems wesentliche Mängel gesehen hat“, sagt er. „Solche Mängel können grundsätzlich in einem Verfahren um Privatknöllchen auch zu einem zivilrechtlichen Beweisverwertungsverbot führen. Altbetroffene haben daher meines Erachtens aufgrund der Stellungnahme des HBDI weitere Argumente an der Berechtigung der Knöllchen zu zweifeln.“ Parkvision sei gut beraten, „wenn es streitige Altfälle nicht weiterverfolgt, sondern von sich aus für die Betroffenen kostenlos einstellt.“
Hintergrund der strengen Parkplatzkontrollen ist die wachsende Zahl der unrechtmäßig genutzten Abstellplätze vor Supermärkten und Discountern. So klagte etwa der Betreiber eines Dortmunder Supermarktes jüngst darüber, dass Autos bei ihm stundenlang, manchmal sogar ein paar Tage am Stück geparkt wurden, während die Insassen mit dem Bus zum Shoppen in die City oder zum BVB-Spiel ins Stadion fuhren. „Für die Leute, die bei mir einkaufen wollten, war irgendwann kein Platz mehr da.“ Deshalb habe er eine private Firma mit der Videoüberwachung beauftragt. Von den Strafgeldern bekommt der Auftraggeber nichts, zahlen aber muss er dafür auch nicht dafür.
Das Geschäft für die Überwacher lohnt sich auch so. Genaue Zahlen sind kaum zu bekommen. Aber eine Pressemitteilung des Münchner Anbieters Parkdepot lässt zumindest erahnen, um wie viel Geld es geht. Danach erfasste das Unternehmen bereits 2022 täglich eine Million Parkvorgänge. Etwa 0,05 Prozent der Parker, hat die Firma gegenüber dem RBB mitgeteilt, würden sich nicht an die Parkregeln halten. Macht bei 40 Euro Strafgebühr pro Knöllchen und 500 Fällen 20.000 Euro. Pro Tag. Für einen Anbieter. Insider gehen anbieterübergreifend sogar von einer weitaus höheren Quote und täglichen Einnahmen in sechsstelliger Höhe aus.