Essen. Arbeitslose Pädagogen aus Spanien sollten in Ruhrgebiets-Kitas arbeiten, um den Personalmangel zu bekämpfen. Warum die Idee zu scheitern droht.
Die Idee wirkte vielversprechend, sollte endlich den chronischen Personalmangel in Kitas bekämpfen: Arbeitslose Erzieherinnen und Erzieher aus Spanien sollten ins Ruhrgebiet kommen, um hier die vielen offenen Stellen zu besetzen. Doch kurz vor dem Start des neuen Kita-Jahres scheint das Pilotprojekt gescheitert zu sein.
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Es klang nach einer Win-Win-Situation. Viele Kitas suchen händeringend Personal. Der Kitanotstand treibt Familien und Mitarbeitende um – und dürfte sich noch weiter zuspitzen: Laut einer Studie des NRW-Familienministeriums könnten 2030 bis zu 20.000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen. Viele Eltern machen sich Sorgen, wie ihre Kinder in Zukunft betreut werden sollen. Gleichzeitig gibt es in Spanien mehr Erzieherinnen und Erzieher als Jobs, viele junge Fachkräfte sind arbeitslos.
Bundesagentur will spanische Fachkräfte nach Deutschland holen
Daher versucht die Bundesagentur für Arbeit schon seit einigen Jahren, die spanischen Fachkräfte nach Deutschland zu holen. 2023 konnten so 200 Spanierinnen und Spanier in deutschen Kitas eingestellt werden. Bisher vor allem in Bremen und Baden-Württemberg, im vergangenen Winter sind auch Kitas aus NRW in das Pilotprojekt eingestiegen.
Gleich mehrere Träger im Ruhrgebiet wollten insgesamt 28 ausländische Fachkräfte einstellen. Doch bisher konnte nur eine Erzieherin für die Arbeit in der Region gewonnen werden. Das hat gleich mehrere Gründe: Die Bewerberinnen und Bewerber hätten wenig Interesse am Ruhrgebiet gezeigt, seien teilweise nicht mal zum Vorstellungsgespräch erschienen. Gleichzeitig klagen Kita-Träger im Ruhrgebiet darüber, dass die Spanierinnen und Spanier selbst nicht ausreichend qualifiziert seien und sich der bürokratische, zeitliche und finanzielle Aufwand für sie nicht gelohnt hätte.
Spanische Erzieher in NRW-Kitas: „Keine passenden Bewerber“
„Das zunächst vielversprechende Projekt hat sich leider zerschlagen. Wir waren sehr interessiert, aber leider wurden uns keine passenden Bewerberinnen und Bewerber vorgeschlagen“, sagt Lina Strafer, Pressesprecherin des Kita-Zweckverbands. In sechs Essener und zwei Oberhausener Einrichtungen des Träger sollten spanische Fachkräfte eingesetzt werden.
Doch dazu kam es nicht. Laut Strafer habe es generell zu wenig Bewerbungen aus Spanien für das Ruhrgebiet gegeben. „Vor allem war aber das fachliche Profil für den Einsatz in unseren Einrichtungen nicht passend“, so Strafer.
„Wir waren sehr interessiert, aber leider wurden uns keine passenden Bewerber vorgeschlagen.“
Mangelndes Interesse hat auch die Stadt Oberhausen erlebt, die als Kita-Träger ebenfalls an den spanischen Erziehungskräften interessiert war. „Leider kam es nicht zu einer Vorstellung, obwohl Vorstellungsgespräche anberaumt waren. Diese wurden aber von den Bewerberinnen und Bewerbern nicht wahrgenommen“, so eine Sprecherin.
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Die Caritas konnte hingegen sieben Interessierte virtuell kennenlernen. Allerdings zeigte nur eine Bewerberin wirkliches Interesse und absolvierte im Frühjahr ein Praktikum. Und zwar nicht nur bei der Caritas, sondern auch bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Um die Bewerberin von sich zu überzeugen, organisierte die Caritas auch ein Programm für den Feierabend: „Es standen Freizeitaktivitäten auf dem Programm, damit die Bewerberin schonmal einen Eindruck von Oberhausen gewinnen konnte. Wir haben gemeinsam das Centro besucht, die neue Ausstellung im Gasometer angesehen und weitere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung in Oberhausen aufgezeigt.“
Spanierin muss Deutsch lernen, bevor sie in NRW-Kita arbeiten kann
Die Caritas kann sich nun über eine Erzieherin mehr freuen, hält aber auch fest: „Der Rekrutierungsprozess war insgesamt mit einem hohen Aufwand verbunden.“ Nicht nur, weil die Hospitationswoche organisiert werden musste, sondern die Fachkraft zum Beispiel auch Hilfe beim Übersetzen von Dokumenten oder der Wohnungssuche brauchte.
Bis sich der Aufwand für die Caritas wirklich auszahlt, dauert es noch etwas: Erst im Herbst tritt die neue Fachkraft ihre Stelle an. Bevor sie nach Oberhausen kommen kann, muss sie daheim erstmal Deutsch lernen. Die Kosten für den Sprachkurs trägt die Caritas.
Danach folgt noch eine weitere Hürde: Die Erzieherin muss ihren ausländischen Abschluss anerkennen lassen. Anders als in Deutschland absolvieren Erzieherinnen und Erzieher in Spanien ein bis zu vier Jahre dauerndes Studium. „An spanischen Hochschulen wird aber natürlich nicht das deutsche Jugendschutzgesetz gelehrt oder über die Dokumentationspflicht in deutschen Kitas aufgeklärt. Da haben die ausländischen Fachkräfte ein Wissensdefizit und müssen nachqualifiziert werden“, sagt Marcel Schmutzler von der Bundesagentur für Arbeit in Bonn, die das Projekt ins Leben gerufen hat.
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Im ersten Jahr ihrer Beschäftigung müssen die Spanierinnen Schulungen zum Bildungssystem und den gesetzlichen Vorgaben besuchen. Erst dann gelten sie als Erzieherinnen. Die Kosten für die Kurse tragen wiederum die deutschen Kitas. Ausländische Fachkräfte einzustellen, ist also nicht nur mit einem hohen Zeit-, sondern auch mit einem hohen Kostenaufwand verbunden. „Es sind eben keine Fachkräfte, die von heute auf morgen auf der Matte stehen“, räumt Schmutzler ein.
Bundesagentur für Arbeit: Bewerber entscheiden sich für Münster, Wuppertal oder Köln
Dass Bewerberinnen und Bewerber nicht zu Gesprächen erschienen sind, kann er sich hingegen nicht erklären. Auf Aufrufe der Arbeitsagentur, die dafür mit den spanischen Behörden zusammenarbeitet, würden sich in der Regel Hunderte von jungen Erziehungsfachkräften, die in deutschen Kitas arbeiten möchten, melden.
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Aus Schmutzlers Sicht ist das Projekt daher nicht gescheitert, im Gegenteil. Insgesamt seien 30 Spanierinnen und Spanier in den Pilot-Bewerbungsprozess für ganz NRW aufgenommen worden, sie alle hätten eine Stelle gefunden. Allerdings scheint das Ruhrgebiet für die ausländischen Fachkräfte nicht der attraktivste Wohn- und Arbeitsort zu sein: 29 der 30 Bewerberinnen und Bewerber entschieden sich gegen Oberhausen und Essen – und für das Münsterland, Wuppertal oder Köln.
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