Essen. Vor WAZ-Lesern spricht der Wirtschaftsminister über den Erfolg des Flatrate-Tickets, Fernwärmepreise und Hilfen für E-Dienstwagen.

Robert Habeck lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Im großen Saal der Zentrale der Funke Mediengruppe in Essen steht gleich am Anfang ein Umweltschützer auf und will von dem grünen Bundeswirtschaftsminister Näheres zum immer noch umstrittenen Kohlekompromiss wissen. Er habe ja mit den Grünen gebrochen, schiebt der Mann vorweg. Wie es denn dazu gekommen sei, dass ausgerechnet der Energiekonzern RWE beim Gutachten mitgewirkt habe, das am Ende das Aus für den symbolträchtigen Ort Lützerath besiegelte? Habeck dreht den Spieß um und erinnert daran, dass ein früherer Kohleausstieg gelungen sei. „Die Klimabewegung hat versäumt, sich so einen großen klimapolitischen Erfolg auf die Fahne zu schreiben“, entgegnet der Minister. Diese erstaunliche Strategie habe er nicht verstanden, sagt Habeck, „muss ich aber auch nicht“.

Damit ist es das aber schon mit den besonders lauten Tönen: Beim WAZ-Leserdialog am Mittwochmittag nutzen rund 100 Leserinnen und Lesern in Essen vor allem die Chance, ihre Fragen zu politischen Entscheidungen und Ärgernissen loszuwerden. Ob Fernwärmepreise, das Deutschland-Ticket oder die Wasserstoff-Strategie des Bundes: Auf der Bühne spannt der Minister immer den großen Bogen, ohne allzu lange auszuholen, bricht dabei zahlensicher so komplexe Zusammenhänge wie die CO₂-Bepreisung auf einfach zu verstehende Sätze herunter und lässt sich von WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock sogar zu einem Tippspiel in Sachen Deutschland-Ticket überreden.

Warum sind Fernwärmepreise so intransparent?

Die hohen Kosten für Fernwärme beschäftigten die Menschen weiterhin: Sie sei unbezahlbar geworden, beklagt ein Leser. Es sei nicht nachzuvollziehen, wie die Preise überhaupt entstünden. Habeck gibt ihm sofort recht - er kennt die Klage selbst: „Ich bin auch Fernwärmekunde.“ Der Minister kündigt ein Portal an, auf dem sich alle Stadtwerke dem Vergleich stellen sollen. Damit solle auch die Preisentwicklung transparenter sein. Zugleich rechtfertigt er dem Leser gegenüber die Entscheidung des Bundes, ausgerechnet bei Dienstwagen die Anschaffung von Elektro-Fahrzeugen zu fördern. In einer Zeit knapper Kassen sei es darum gegangen, deutsche Hersteller zu unterstützen. Dienstwagen stammten zumeist von deutschen Firmen. Von den günstigeren Preisen hätten aber auch Verbraucherinnen und Verbraucher etwas: „Diese Fahrzeuge gehen dann ja in den Verbrauchermarkt.“

Robert Habeck zu Gast im FMO
Rund 100 Leserinnen und Leser sind zu dem Gespräch mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nach Essen eingeladen worden. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

E-Autos schreibt der Minister in der Antwort auf eine Leserfrage nach dezentralen Stromspeichern eine wichtige Rolle zu: Als mobile Energiespeicher könnten sie das Stromnetz entlasten und die erneuerbaren Energien stärken. Gerade sitze das Ministerium daran, dass sich Autohersteller und Energieunternehmen auf Grundlagen für ein vergleichsweise komplexes Lade- und Entlade-System verständigen können.

Deutschland ist im Energiesektor zu 70 Prozent von anderen Ländern abhängig

Immer wieder betont Habeck, wie wichtig die Förderung der heimischen Wirtschaft sei. Ob Wasserstoff, Stahl oder Automobilindustrie, der Minister sagt wiederholt, dass sich das Land im Fall der Fälle weniger erpressbar mache, wenn es in eigene Strukturen investiere. Rechne man alle Energieträger zusammen, sei Deutschland derzeit zu 70 Prozent ein Energieimportland. „Am Ende der Transformation verringern wir die Abhängigkeit auf 30 Prozent“, so Habeck in Essen. „Das Geld wird also hier verdient.“

Robert Habeck zu Gast im FMO
Den Leserdialog moderiert WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Den ein oder anderen Seitenhieb auf atmosphärische Störungen bei der Ampelregierung kontert der Minister mit seinem Habeck-Lächeln und lässt sich auch sonst wenig kritische Töne entlocken. Angesprochen auf das Kommunikationschaos beim Heizungsgesetz in der Hochphase der Energiekrise räumt er ein, dass es ein Für, aber auch ein Wider gibt. Die Öffentlichkeit habe einerseits ein Recht darauf zu verstehen, wie politische Entscheidungen getroffen werden. Anderseits würden Entscheidungen oft unmöglich, wenn sie zu früh öffentlich diskutiert werden. Politik sei ein Kampf um Macht, Deutungshoheit und Aufmerksamkeit. „Ich kann Ihnen einen Dutzend Beispiele von Dingen nennen, die nicht umgesetzt wurden, weil sie jemand zu früh ausgesprochen hat“, so Habeck. Gleichwohl erlebe er durchaus positive Reaktionen, wenn man Ideen eines Mitbewerbers lobe.

Deutschland-Ticket: Minister warnt vor zu starkem Preisanstieg

Zum Beispiel das Deutschland-Ticket, das auf eine Idee des Bundesverkehrsministers Volker Wissing (FDP) zurückgeht - „wenngleich der Einsatz, dafür zu kämpfen, manchmal nachgelassen hat“. Wieso der Preis erhöht wird, will eine Leserin wissen. Habeck, der das Flatrate-Ticket mit rund elf Millionen Nutzerinnen und Nutzern als „über die Maße erfolgreich“ lobt, bremst die Sorgen. Man sei noch mitten in den Haushaltsverhandlungen. Von einer zu starken Preiserhöhung hält er nichts: Das könne die Attraktivität des derzeitigen 49-Euro-Tickets zerstören. In Zeiten der Europameisterschaft könne er doch sicher einen Tipp abgeben, ob und wie sehr das Ticket denn erhöht werde, hakt WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock nach. „Ich würde mich festlegen, wenn es erhöht wird, dann nur minimal“, sagt Habeck. „Das Ticket wird super attraktiv bleiben.“

Wenig konkret wird der Grünenpolitiker, der sich im vergangenen Bundestagswahlkampf hinter seine Parteikollegin Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin stellte, bei der künftigen Führungsfrage seiner Partei. Ehe man das klärt, müsse die Partei klären, welche Rolle sie spielen will. Am Mittwochabend schließt Annalena Baerbock selbst eine erneute Grüne-Kanzlerkandiatur gegenüber dem US-Fernsehsender CNN aus. Sie wolle ihre Kraft voll ihrer aktuellen Aufgabe als Außenministerin widmen.

Mit einem direkten Hilfsangebot beendet Habeck den Dialog: Eine Frau erzählt von Problemen, die ihre Genossenschaft bei der Auftragsvergabe für eine Solaranlage hat. Habeck lädt die WAZ-Leserin gleich ein, sie möge ihm einen Brief schreiben. Den werde er nicht nur beantworten, er nehme das auch mit in anstehende Verhandlungen zum Vergaberecht.

Die gesamte Veranstaltung im Video-Stream:

WAZ-Leserdialog mit Robert Habeck - Die komplette Veranstaltung

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