Essen. Der türkische Präsident kommt nach Berlin und unterstützt die türkischen Nationalisten. Nicht nur das ist schwer zu ertragen.
Gute Fußballer, Fußballhelden gar, müssen nicht automatisch auch dies sein: gute Menschen. Der türkische Doppeltorschütze Merih Demiral etwa, der mit seinen Toren den vermeintlichen EM-Geheimfavoriten Österreich aus dem Turnier geschossen hat, ist offenbar so ein Exemplar. Ungeniert zeigte er nach seinem zweiten Tor den Wolfsgruß – ein Symbol, das ihn als Anhänger (oder zumindest Verharmloser) einer rechtsextremistischen Ideologie outet. Mehr noch: Er kündigte, darauf angesprochen, an, dieses bei nächster Gelegenheit, etwa einem Sieg im Viertelfinale gegen die Niederlande, wiederholen zu wollen. Widerspruch aus der eigenen Nationalmannschaft? Fehlanzeige! Widerspruch aus der türkischen Politik? Im Gegenteil!
Nun hat das türkische Außenministerium sogar den deutschen Botschafter in Ankara vorgeladen, nachdem die Bundesinnenministerin geschrieben hatte, die Symbole türkischer Rechtsextremisten hätten „in unseren Stadien nichts zu suchen“. Die türkische Regierung wiederum verunglimpfte die deutsche Empörung postwendend als „fremdenfeindlich“. Was für eine dumm-dreiste Retourkutsche, was für eine schamlose Verdrehung der Tatsachen! Dem türkischen Außenminister fehlt wohl mehr als nur eine Tasse im Schrank.
Erdogan gießt Öl ins Feuer
Das gilt für den türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ja schon länger. Kurzfristig hat er sich dazu entschieden, sich das Viertelfinale der türkischen Elf gegen die Niederlande im Berliner Olympiastadion anzusehen. Die Absicht ist klar: Der Staatschef mit dem augeprägten Hang zum Despotismus will die Chance nutzen, ein populistisches Bad in einer nationalistisch aufgeheizten Menge zu nehmen. Er wird das tun, was er am besten kann: Öl ins Feuer gießen. Und Deutschland kann nichts dagegen tun.
Ganz ehrlich: Ich wünsche der türkischen Nationalmannschaft, dass sie das Spiel verliert und schleunigst nach Hause fährt, auch wenn mir das für die Aufrechten unter den türkischen Fußballfans leid tut. Der nächste Skandal ist ja programmiert: Türkische Ultras haben jetzt dazu aufgerufen, dass alle türkischen Fans den Wolfsgruß im Olympiastadion zeigen sollen. Nationalisten haben wir in Deutschland schon genug. Zum Glück ist die UEFA ihrer bisherigen Linie treu geblieben und hat Demiral für zwei Spiele gesperrt.
Aber auch die ungezügelte, rücksichtslose Art und Weise, wie viele Deutschtürken die Siege der türkischen National(isten)mannschaft feiern, befremdet und darf gerne bald ein Ende finden. Ein an sich harmloser Autokorso mit Hupkonzert reicht schon lange nicht mehr. Es müssen unbedingt noch Feuerwerkskörper zum Einsatz kommen, wie in Duisburg geschehen. Anweisungen der Polizei in Dortmund wurden von den Feiernden schlicht ignoriert. In Gelsenkirchen wurde ein Beamter sogar durch einen Böller verletzt. Was soll das?
Gündogan – einer von uns allen
Gerade die in x-ter Generation in Deutschland Geborenen müssen sich doch ganz grundsätzlich fragen lassen, warum die türkische eigentlich „ihre“ Nationalmannschaft ist, sofern sie das so sehen. Mindestens genauso könnte und sollte doch jene Mannschaft „ihre“ Mannschaft sein, die das Land repräsentiert, in dem sie leben und arbeiten – zumal die deutschen Fußballprofis mit Ilkay Gündogan von einem Kapitän angeführt werden, der ebenfalls einen türkischen Migrationshintergrund hat, so wie sie selbst. Gündogans Großvater war seinerzeit als Gastarbeiter ins Ruhrgebiet gekommen und hatte als Bergmann gearbeitet. Mehr Identifikationsfigur geht doch gar nicht, sollte man meinen.
Wenn sie die türkische Fahne wenigstens mit der deutschen kombinieren würden... Doch genau das sieht man im Straßenbild unserer Städte so gut wie gar nicht. Es sind zum Teil leider Parallelgesellschaften, die nebeneinander leben, nicht miteinander. Und da, wo es kein Miteinander gibt, wo Integration gescheitert ist, blüht der Nationalismus. Er führt zu noch mehr wechselseitiger Abgrenzung und Entfremdung – ein Teufelskreis.
AfD hasst unsere Nationalmannschaft
Das deutsche Gegenstück zu jenen, die den Wolfsgruß zeigen, sind die Mitglieder und Anhänger der AfD. Sie haben mit den Deutschtürken eine Gemeinsamkeit: Mit der deutschen Nationalmannschaft können diese Herrschaften nichts anfangen. Sie ist ihnen zu fröhlich, zu bunt, nicht „weiß“ genug. Seit 2014, seit dem WM-Finale von Rio, schaue er kein Fußballspiel mehr, hat etwa AfD-Faschist Björn Höcke zu Protokoll gegeben, jetzt gerade wieder ganz frisch am Rande des Parteitags in Essen. Er könne sich mit der Nationalmannschaft nicht mehr „identifizieren“.
Lieber Herr Höcke, seien sie gewiss: Die Nationalmannschaft und weite Teile unserer freien Gesellschaft können sich auch mit Ihnen, Ihrem Hass und Ihrer Miesmacherei, nicht identifizieren. Fragen Sie doch mal die Herren Demiral und Erdogan, ob sie Sie mitnehmen, wenn sie möglichst bald in die Türkei zurückkehren. Sie Drei passen gewiss perfekt zusammen.
Auf bald. Oder besser nicht.
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