Essen. Rechts ist nicht gleich rechtsextrem, wird aber oft gleichgesetzt. Das schadet dem Kampf gegen die AfD, bei dem es alle Demokraten braucht.

Darf man in Deutschland eigentlich ein Rechter sein – oder auch nur offen „rechte Positionen“ vertreten –, ohne gleich als rechtsextrem beschimpft zu werden? Ein guter, streitbarer Freund von mir stellte mir neulich diese Frage und legte gleich nach, dass auch ich in einer meiner jüngsten Kolumnen die Anti-AfD-Proteste als „Demos gegen rechts“ tituliert hätte. Ich denke darüber seit einigen Tagen nach und muss sagen, dass ich den Vorwurf nicht unberechtigt finde. „Niemand in Deutschland, der noch bei Trost ist, bezeichnet sich selbst als rechts“, hat es schon vor einigen Jahren der, wenn man so will, rechts von der Mitte stehende Publizist Jan Fleischhauer formuliert und hinzugefügt: „Bürgerlich vielleicht oder konservativ“ könne man sich nennen, aber auch das „nur mit angehaltenem Atem“. Muss man also, wenn wir über die Gefahren des Rechtsextremismus sprechen, nicht einmal sauber eine demokratische von einer nicht demokratischen Rechten abgrenzen?

Es war die CSU-Legende Franz-Josef Strauß, die in den 80er Jahren, als die rechtsextremistischen „Republikaner“ aufkamen, das Mantra formuliert hatte, rechts von der CDU/CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Die Politik der Mitte, die sein ewiger Widersacher Helmut Kohl erfolgreich betrieben hatte, war Strauß insofern immer ein Dorn im Auge, weil sie aus seiner Sicht ein Vakuum am rechten Rand hinterlassen würde. Kohl setzte sich durch, die Republikaner verschwanden (trotzdem?) wieder, und Angela Merkel verschob die Koordinaten der CDU anschließend nach Lesart vieler Konservativer noch weiter nach links, so dass manche schon polemisch-überspitzt von einer zweiten sozialdemokratischen Partei neben der SPD sprachen. Unzweifelhaft war es die bis heute umstrittene Flüchtlingspolitik Merkels (die ich selbst übrigens weiter als sehr honorig und einer christdemokratischen Partei würdig erachte), die den Boden bereitet hat für den Erfolg der AfD.

Stolz, ein Deutscher zu sein?

Rechts zu sein, das kann bedeuten: dass man sich zurücksehnt nach früheren Verhältnissen, dass einem der gesellschaftliche Wandel suspekt vorkommt; dass man in der Wirtschaftspolitik eine angebotsorientierte Vorgehensweise einer nachfrageorientierten klar vorzieht; dass man das Land, in dem man geboren wurde und/oder in dem man lebt, besonders schätzt und verehrt. Patriotismus nennt man das wohl, wenn man stolz auf Deutschland ist und genau das meint, wenn man sagt: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ – nicht weil es um das Blut geht, das in den eigenen Adern fließt, sondern weil man einen Beitrag leistet zum Gelingen unseres Landes, in dem man trotz aller Probleme noch immer sehr viel besser leben kann als in den allermeisten anderen Ländern dieser Welt.

Rechtsextremisten unterscheiden sich da fundamental. Sie sind Nationalisten und definieren sich, anders als Patrioten, auch über die Geringschätzung anderer Nationen. Überhaupt gefallen sie sich darin, Menschen aufgrund ihrer Religion und/oder Abstammung, aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung oder aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen abzuwerten. Schon insofern stehen sie in offenem Gegensatz zu unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Demokratie und Rechtsstaat lehnen sie ab. Im Zweifel wollen sie ihre Ziele mit Gewalt durchsetzen. Meinungsvielfalt und parlamentarische Debatte sind ihnen zuwider. Kein Wunder, dass diese Leute einen Mann besonders verehren, der in diesem Sinne ein lupenreiner Rechtsextremist ist: Wladimir Wladimirowitsch Putin.

Guter Extremist, schlechter Extremist?

Sind Linksextremisten da besser? Oder warum kann man hierzulande offen ein Linker sein, ohne dass dies mit Linksextremismus gleichgesetzt wird? Wie so oft lässt sich das zum Teil auch mit der besonderen Geschichte und der Nazi-Vergangenheit Deutschlands erklären, die uns besonders sensibel für alles macht, was das Label „rechts“ trägt. Doch hinreichend ist diese Erklärung nicht.

Demonstrieren eigentlich auch „Omas gegen links“? Wohl kaum. Das Bild zeigt eine Demonstration am Sonntag, 25. Februar, in Hamburg mit geschätzt 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Demonstrieren eigentlich auch „Omas gegen links“? Wohl kaum. Das Bild zeigt eine Demonstration am Sonntag, 25. Februar, in Hamburg mit geschätzt 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. © Frieder Blickle/laif | Frieder Blickle/laif

In einem Kommentar der rechten (?) Neuen Zürcher Zeitung hieß es vor ein paar Jahren, grüne Politiker könnten „ohne Widerspruch behaupten, Rechte würden Ausländer, Linke indes nur Autos anzünden“. Daraus ergebe sich ein konstruierter moralischer Unterschied. Ein guter Punkt. Allerdings frage ich mich, ob das wirklich nur ein konstruierter Unterschied ist, wenn man darauf schaut, wie viel Menschenverachtung zum Kern der jeweiligen Ideologien gehört. Aber vielleicht ist das auch zu akademisch. Weniger akademisch ist der Hinweis darauf, dass rechter Terror in den vergangenen Jahren eine ungleich größere Rolle in Deutschland gespielt hat als linker Terror. Es hat ja – zynisch gesagt – schon etwas Nostalgisches, wenn jetzt plötzlich noch RAF-Terroristen geschnappt werden. RAF?, fragt sich so mancher vielleicht. War da was?

Anti-Antifaschismus

Was rechts und was links ist, ist freilich immer eine Frage der Perspektive. Für einen Rechten sind die Teilnehmer der Anti-AfD-Demos alle links oder links von der Mitte stehend. Wenn es in einem Demo-Aufruf allerdings, wie in Bochum geschehen, heißt, dass man eine solidarische Welt „jenseits kapitalistischer Ausbeutungsgesellschaften“ anstrebe, dann verstehe ich sehr gut, dass sich bürgerliche Menschen irritiert zeigen und sich einem solchen Demo-Aufruf verweigern. Man muss kein Linker sein, um gegen Rechtsextremisten zu kämpfen. Man muss ein Demokrat sein. Nur arrogante Linke setzen das gleich und provozieren so eine Art Anti-Antifaschismus, der der gemeinsamen Sache schadet, was die AfD wiederum freut.

Doch sie sollte sich nicht zu früh freuen. Vor wenigen Tagen wurde öffentlich, dass der Verfassungsschutz erwägt, die gesamte Partei als gesichert rechtsextremistisch einzustufen. Das dürfte rechte Wähler, die aber nicht rechtsextrem sind und sein wollen, abschrecken. Als bereits gesichert rechtsextremistisch gelten schon die AfD-Landesverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt und das Björn-Höcke-Land Thüringen.

Da lachen ja die Hühner

Von jenem Björn Höcke, den man gerichtsfest ja als Faschisten bezeichnen darf, will sich der Landeschef der angeblich gemäßigteren NRW-AfD, Martin Vincentz, ausdrücklich abheben. Er gibt sich als eine Art „Anti-Höcke“ mit Ambitionen auf bundespolitischer Führungsebene (fast hätte ich geschrieben: Führerebene). Das ist in etwa so glaubhaft wie ein sprechender Fuchs, der vor dem offenen Hühnerstall sitzt und beteuert, nur ein paar Gänseblümchen sammeln zu wollen.

21. Landesparteitag AfD NRW mit Vorstandswahlen
Das freundliche Gesicht der AfD? NRW-Parteichef Martin Vincentz beim Landesparteitag in Marl. © DPA Images | Thomas Banneyer

Eben jener Vincentz war ja noch vor ein paar Wochen in Duisburg durch seinen speziellen Humor aufgefallen, als er bei einem Neujahrsempfang der AfD herumulkte, der beste Humor sei „so schwarz, wie der Amazon-Paketbote, der Ihnen die Pakete bringt“. Lustig, lustig, der Mann – wenn auch ein bisschen volksverhetzend. Aber das gehört bei der AfD ja zum guten Ton. Die Anhänger im Saal jedenfalls lachten sich kaputt und spendeten fleißig Applaus.

Brauner Sumpf in NRW

Dem Vorstand der NRW-AfD gehört neuerdings übrigens auch Matthias Helferich an, Unterstützer der ebenfalls als gesichert rechtsextremistisch eingestuften AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ und nach eigenen Angaben das „freundliche Gesicht des NS“. Das würde man sich von Herrn Helferich ja gerne mal erklären lassen, welche Aspekte des Nationalsozialismus jenseits von Holocaust und Weltkrieg besonders freundlich waren. Neben dem „Mein-Kampf“- Buch ganz rechts hinten dürften da nicht mehr viele Tassen in Helferichs dunkelbraunem Eichenschrank zu finden sein.

Der schon oben zitierte Jan Fleischhauer hält es übrigens auch weiterhin für „unzutreffend“, die AfD als „Nazipartei“ zu bezeichnen, wie es unter anderem auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst getan hat. „Zutreffend wäre es, sie als Partei zu bezeichnen, in der Leute den Ton angeben, die nicht nur wie Nazis aussehen, sondern auch wie Nazis denken und reden“, schreibt der Kollege in seiner „Focus“-Kolumne. Ich meine: Eine Partei, in der Leute den Ton angeben, die wie Nazis denken und reden, ist eine Nazipartei. Die ist nicht rechts. Die ist rechtsextrem.

AfD-Wähler beschimpfen

Immerhin schreibt Fleischhauer, er habe nichts dagegen, AfD-Wähler zu beschimpfen: „Wer AfD wählt, soll ruhig merken, dass seine Entscheidung bei anderen auf Befremden stößt.“ Wer Politiker, die Goebbels imitierten, toll finde, habe es verdient, „dass man ihm einen Vogel zeigt“.

Auf bald.

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