Marl. Martin Vincentz ist jung, eloquent und passt nicht in das Bild eines strammen Rechtsaußen. Aber kann man ihm tatsächlich trauen?

Die Fluktuation an der Spitze der AfD in NRW war bisher hoch. Martin Vincentz hat nach seiner Wiederwahl zum Landesparteichef am Wochenende aber Chancen, so lange im Amt zu bleiben wie keiner seiner Vorgänger. Beobachter trauen ihm sogar zu, sich über NRW hinaus als Gegenspieler des extrem rechten AfD-Chefs in Thüringen, Björn Höcke, zu inszenieren. Wer ist der Mann, der sich selbst für einen „gemäßigten“ AfD’ler hält? Und kann man ihm trauen?

Präsentabler als manch anderer Rechtspopulist

Der Allgemeinmediziner aus Tönisvorst passt zunächst nicht in das Bild, das sich viele von einem strammen Rechtsaußen machen. Er ist jung, eloquent, gebildet, freundlich, Typ Wunsch-Schwiegersohn. Vincentz zählte früher zu den besten Degenfechtern in Deutschland. Das Bild drängt sich auf: Verglichen mit dem sportlichen Arzt verblassen AfD’ler wie der weit rechtsaußen stehende AfD-Bundesvize Stephan Brandner, der ein Grußwort an die Delegierten in Marl richtete, zu plumpen Keulenträgern.

Es heißt, die AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla hätten Gefallen an dem Mann aus dem Westen gefunden. Aus Vincentz‘ Umfeld wird kolportiert, er habe das Zeug zum „Anti-Höcke“, könne den Trend der Partei Richtung Rechtsextremismus bremsen, gar an den Kurs des früheren AfD-Chefs Jörg Meuthen anknüpfen.

Ziemlich deutlicher Blick in Richtung Berlin

In Marl ließ Vincentz Ehrgeiz durchblicken: AfD-Landessprecher in NRW sei für ihn „der zweitschönste Job der Welt nach dem von Alice Weidel und Tino Chrupalla“, rief er, bevor ihn die Delegierten mit für AfD-Verhältnisse guten 78,3 Prozent der Stimmen im Amt bestätigten. Er warnte übrigens auch davor, den NRW-Verfassungsschutz, der die radikale Parteijugend „Junge Alternative“ als Verdachtsfall führt, als Gegner zu unterschätzen.

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Will der Landtagsabgeordnete aus der AfD eine „moderne konservative Rechtspartei“ machen, wie er behauptet, oder ist das eine Fassade, unter der es bräunlich schimmert? Dem freundlichen Vincentz sind verbale Entgleisungen jedenfalls nicht fremd. Beim Neujahrsempfang der AfD in Duisburg riss er einen rassistischen Witz: „Am besten ist der Humor, der so schwarz ist wie der Amazon-Paketbote, der Ihnen die Pakete bringt.“

Der „gemäßgte“ Vincentz schlägt zuweilen andere Töne an

In Marl unterhielt Vincentz die Delegierten mit Ressentiments, die in diesen Kreisen gut ankommen: Er wolle keine „Drag-Queens“ als Erzieherinnen im Kindergarten, keine „Scharia-Polizei“ in Schulen, und die Partei werde vor den vielen Demonstrierenden, die gegen rechts auf die Straßen gehen, „nicht in die Knie gehen“.

Der mögliche Gegenspieler von Höcke wird zudem von Gegenspielern im eigenen Landesverband belauert. So forderte Rüdiger Lucassen, Bundestagsabgeordneter und früherer AfD-Landesvorsitzender in NRW, den Parteitag zur „Solidarität“ mit der Vincentz nicht wohlgesonnenen Jungen Alternative auf. „Der Verfassungsschutz darf für uns kein Maßstab sein“, sagte der Ex-Bundeswehroffizier.

Vincentz‘ Gegenspieler lässt sich in den Landesvorstand wählen

Vincentz-Gegenspieler Matthias Helferich. Der Bundestagsabgeordnete trug in Marl einen Kapuzenpulli der vom Verfassungsschutz beobachteten Jungen Alternative.
Vincentz-Gegenspieler Matthias Helferich. Der Bundestagsabgeordnete trug in Marl einen Kapuzenpulli der vom Verfassungsschutz beobachteten Jungen Alternative. © DPA Images | Thomas Banneyer

Und ganz zum Schluss, als viele an einen „Durchmarsch“ der „Gemäßigten“ glaubten, schockierte der nach diversen Nazi-Äußerungen fraktionslos gewordene Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich das Lager um Vincentz mit seiner Wahl in den AfD-Landesvorstand. Der Dortmunder hatte sich in Marl als Beschützer der Jungen Alternative inszeniert und dem Vorstand um Vincentz einen „weinerlichen Distanzierungskurs“ vom völkischen Parteiflügel vorgeworfen.

Der sonst so beredte Vorsitzende verstummte unter dem Eindruck der Ereignisse. Eine Pressekonferenz ließ Vincentz kurz nach der Wahl seines Widersachers „aus Termingründen“ absagen.

Demonstration gegen die AfD

Vor dem „Eventzentrum.NRW“ in Marl-Sinsen, in dem die AfD ihren Landesparteitag durchführte, versammelten sich am Samstag nach Polizeiangaben rund 2000 Demonstranten.

Zu den Rednern gehörten neben Marls Bürgermeister Werner Arndt (SPD) und Landrat Bodo Klimpel (CDU) Ruhr-Staatssekretär Josef Hovenjürgen (CDU). Er hält die AfD – wie NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) -- für eine „Nazipartei“. Hovenjürgen sagte wörtlich: „Wer Nazis duldet, macht deutlich, dass man Nazis hinnimmt. Dann ist man Nationalsozialist.“

Der frühere Schul-Staatssekretär Matthias Richter (FDP) warnte: „Wenn die AfD nur einen Teil der Macht hat, dann wird sie sofort damit beginnen, unsere Demokratie zurückzubauen.“