Essen. In dieser Klartext-Kolumne bekommt die Generation Z ihr Fett weg. Doch die wehrt sich. Ein junger Redaktionskollege widerspricht dem älteren.
„Aha, für Sport interessieren Sie sich also. Das ist sehr schön“, sagte ich dem jungen Bewerber, der eine Ausbildung zum Redakteur bei der WAZ absolvieren will. „Was interessiert Sie denn sonst so?“ Die entwaffnende Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Eigentlich nichts.“
Im anschließenden Vier-Augen-Bilanzgespräch mit der Personalreferentin waren wir beide unentschlossen, wie das Verhalten des Bewerbers zu werten ist. Hatte er unter taktischen Gesichtspunkten noch alle Tassen im Schrank? Oder war seine Antwort ein Ausdruck von vertrauensfördernder Ehrlichkeit und somit sogar ein Pluspunkt? Oder, und der These neige ich nach wie vor besonders zu, war er einfach nur frech und respektlos, so nach dem Motto: Ist mir doch egal, was Du von mir denkst; nimm mich oder lass es; ich finde schon einen Volontariatsplatz; wenn nicht bei der WAZ, dann woanders?
Was ist los mit Euch?
Wir müssen reden, reden über die Generation Z, oder besser noch: reden mit der Generation Z. Was ist los mit Euch 20- bis 30-Jährigen? Glaubt Ihr wirklich, dass Arbeitgeber im Hinblick auf den Fachkräftemangel jeden nehmen, der nicht bei drei auf den Bäumen ist? Auch dann, wenn Anschreiben voller Fehler stecken? Wenn die Schulnoten in den entscheidenden Fächern einfach nur schlecht sind? Wenn man bei einer Video-Bewerbung im Hintergrund das ungemachte Bett sieht inklusive der Bettwäsche im schrillsten Warnwestenorange? Ich schwöre, so war es! Selbst Arbeitsverträge sind Euch nicht heilig. Wenn Ihr keine Lust oder etwas (vermeintlich) Besseres habt, dann erscheint Ihr einfach nicht zum ersten Arbeitstag, ohne vorher Bescheid zu sagen. Es gibt wenig, was man mit Euch nicht erleben kann.
Ja, ich weiß, Pauschalisierungen sind immer auch ein bisschen doof. Es gibt sie ja unter Euch, die Klugen, Fleißigen, Belesenen, Talentierten, Zuverlässigen; es gibt sie, denen wir zutrauen, künftig eine wichtige Rolle im immer digitaleren Qualitätsjournalismus zu spielen. Aber es wird von Jahr zu Jahr schwieriger, die richtigen Leute zu finden. Und wir müssen uns darauf einstellen, dass Eure Ansprüche andere sind. 20- bis 30-Jährige wollen nicht nur gut bezahlt werden. Sie wollen einer sinnstiftenden Arbeit nachgehen. Sie wollen, dass Freizeit und Familie nicht zu kurz kommen. Und sie lehnen eine Unternehmenskultur mit zu viel autoritärer Hierarchie und zu wenig Bewusstsein für Nachhaltigkeit ab. Das alles ist gut und richtig so. Da muss sich die WAZ nicht verstecken.
Der prägende Corona-Schock
Natürlich ist umstritten, wer genau zur Generation Z gehört. Ich denke, es kommt auch nicht so sehr auf exakte Jahreszahlen an. Es geht um die innere und äußere Haltung, um den Blick auf die Welt und um die Frage, welche Rolle das Ich in dieser Welt spielen kann und soll. Vor allem geht es um die gemeinsamen Erfahrungen, die zu bestimmten Denk- und Handlungsmustern führen und eine Generation prägen können. Es ist wenig verwunderlich, dass hier vor allem der Corona-Schock zu nennen ist. Der wirkt nach, und zwar heftig.
Nur sechs von zehn Studierenden bezeichnen ihren Gesundheitszustand als sehr gut oder gut, ist dem Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse zu entnehmen. Vor acht Jahren waren es noch mehr als 80 Prozent. Forscher gehen davon aus, dass bis zu 20 Prozent der jungen Erwachsenen psychisch behandelt werden müssten. Als Grund nennen sie neben Corona die Klima-Krise und den Krieg in Europa. Auch Ängste um den Wohlstand spielen eine Rolle. Junge Leute, die in der Regel über wenig Geld verfügen, erfahren Tag für Tag, dass sie für einen Euro nicht mehr viel bekommen.
Mit dem Smartphone verwachsen
Die Zukunftsaussichten – sie sind düster. Kein Wunder, wenn Jugendliche und junge Erwachsene keinen Sinn darin sehen, sich voll in einen Job zu werfen, und sich ins Private zurückziehen. Sich zurückzuziehen, das haben sie ja gelernt in der Pandemie. Soziale Kontakte gab es nur noch online. Manchmal hat man den Eindruck, dass die Gen-Z-ler schon mit dem Smartphone in der Hand auf die Welt gekommen sein müssen, dass sie es gar nicht loslassen können, weil sie eins geworden sind mit diesem fest verwachsenen Gerät.
Michael Pfister, Chef des Jugend- und Generationen-Vereins Sunrise Ruhr in Herne, hat die Jungen und Jüngsten im Blick. Und er macht sich Sorgen. „Viele Kinder und Jugendliche sind zurückhaltender geworden, stiller, ernster, in sich gekehrt“, berichtet er im Interview mit der WAZ. „Sie wollen nicht mehr rausgehen, sind antriebslos, haben keine Motivation mehr. Sie ziehen sich lieber mit ihrem Handy in die Ecke zurück.“ Eine Folge des Lockdowns sei, dass die Jugend wie die Gesellschaft insgesamt „verdummt“ sei. Aber auch hier muss man differenzieren. Nicht jeder zieht sich zurück.
Die Energie der Klima-Kleber
Manche kleben nicht an ihrem Handy fest, sondern an einer Straße. Sie wollen nicht resignieren angesichts des Mega-Problems Klimawandel, sondern aktiv etwas unternehmen, gezielt auch unter Umgehung von Regeln. Um Aufmerksamkeit zu erhalten, brechen sie das Gesetz. Vielleicht, so möchte ich ihnen zurufen, sollten sie ihre Energie besser nutzen, um zur Lösung der Probleme beizutragen. Dazu bedarf es aber guter Noten in der Schule, nicht schlechter; es muss mehr gearbeitet werden, nicht weniger. Man sollte sich für mehr interessieren als – beispielsweise – nur für Sport. Immerhin: Letzteres kann man den Klima-Klebern nicht vorwerfen.
NEETs nennt Eurostat, das Statistik-Amt der Europäischen Union, Jugendliche im Alter zwischen 15 und 24 Jahren, die sich weder in Beschäftigung, Ausbildung oder Trainings befinden (Not in Education, Employment or Training). Deutschland zählt mehr als eine halbe Million solcher NEETs. Sie sind mit der Schule fertig – und auch mit allem anderen. Ist es schlau, sich mal eine Zeit lang in die Hängematte zu legen, die geschundene Seele baumeln zu lassen und den anderen beim Arbeiten zuzuschauen? Oder ist es einfach nur egoistisch? Junge Leute braucht das Land, junge Leute, die anpacken, die mitmachen, die sich der Herausforderung stellen.
NEETS – das klingt fast wie „Nieten“. Ist natürlich reiner Zufall.
Auf bald. (Übrigens: Alle Infos zum Volontariat bei FUNKE gibt es hier.
Nachtrag: Ein junger Kollege widerspricht
Dominik Loth, ein 32-jähriger Reporter aus der WAZ-Redaktion in Oberhausen, hat sich sehr geärgert über meine Kolumne und mir (51) eine kurze Gegenrede geschickt. Diese veröffentlichen wir hier gerne ohne weitere Erwiderung:
Die Kolumne hat ihren Effekt nicht verfehlt. Die „klare Kante“ hat mich aber nicht nur angeregt, sondern mich wütend gemacht. Ich weiß nicht, wo die „Generation Z“ endet und ob ich noch dazu gehöre, aber ich kann mich mit ihr identifizieren.
Nein – ich finde ihren Mut beeindruckend. „Was ist los mit Euch 20- bis 30-Jährigen?“ – Da möchte ich entgegen: „Was ist los mit Euch 50 bis 60-Jährigen?“ Glaubt Ihr wirklich, Ihr seid ein gutes Beispiel für die Art zu arbeiten? Ich kenne viele Leute, die ihr Leben lang im Schichtdienst gearbeitet haben. Die im Alter körperliche Probleme haben, die schlecht schlafen, schlecht laufen, schlecht leben. Weil ein mühsames Arbeitsleben hinter ihnen liegt, weil sie für einige wenige Annehmlichkeiten zu viel auf sich genommen haben.
In dieser Debatte wird vieles zugespitzt, ich mache es auch: Warum soll man einen Job aushalten, der einen kaputt macht, nur damit man ab und an in den Urlaub fahren kann und irgendwann eine passable Rente hat? Ich kann jeden verstehen, der heute abwartet und überlegt, ob er sich einem Job hingeben will, der 40 Stunden in der Woche raubt. Und der angesichts der Krisen nicht darauf wetten will, dass er in 40 Jahren einen wohlverdienten Ruhestand hat und mit dem Fahrrad um den Baldeneysee fahren kann.
Für mich vermischen sich in dieser Debatte ein paar Sachen: Merkwürdigerweise wird der „Generation Z“ unterstellt, dass sie faul ist, nicht bereit ist, sich anzustrengen. Aber wenn das Ziel klar ist, wie in der Klimakrise, dann ist die „Generation Z“ doch zu überwältigendem Einsatz bereit.
Warum bedeutet das Diskutieren und Fordern in einem Bewerbungsgespräch, dass der Bewerber arrogant ist? Dahinter steckt doch nicht, dass man sich für was Besseres hält, sondern der Wunsch, die richtige Balance im Leben zu finden aus Arbeit und Zeit. Das hat mit dem Arbeitgeber erstmal gar nichts zu tun. Die Welt ist überfrachtet mit Möglichkeiten und Krisen. Wer will da nicht den besten Weg für sich finden? Aber wir haben auch besser verstanden, dass psychische Belastungen kein Tabu sein sollten.
Klar, wir stehen erst am Anfang – wer heute einen Psychotherapeuten aufsucht, wird immer noch erschrocken angeschaut und sollte zusehen, dass er es sich nicht mit dem Arbeitgeber verscherzt. Aber es gibt mehr Menschen, die sich trauen, über Depressionen und andere psychische Krankheiten zu sprechen und zeigen, dass das keine Schwäche ist.
Das ist Klartext
Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.Klartext als Newsletter? Hier anmelden.
Arbeit kann krank machen. Wenn es nicht passt. Wenn man sie zu lange aushält. Wer einen Job findet, mit dem er etwas anfangen kann, den er nicht als dauerhaft belastend empfindet, der sogar einen „Sinn“ darin sieht, der schützt sich davor, krank zu werden. Was ist daran schlecht? Endlich hat eine Generation den Mut, das einzufordern.