Köln. Müssen wir altern? Gibt es bald eine Pille dagegen? Drei Max-Planck-Forscher berichten, wie sie das Rätsel des langen Lebens lösen wollen.
Werden wir bald alle 200 Jahre alt? Was ist das eigentlich, Altern? Und wann gibt es dagegen eine Pille? Der Ort, an dem man solche Fragen stellen kann, ist ein unscheinbarer Klotz im Kölner Uni-Viertel. Tritt man ein, öffnet er sich zu einem lichtdurchfluteten Atrium, gesäumt von gläsernen Labors und Büros. Man sieht Forscherinnen und Forscher, schreibend, tippend, mal mit Musik auf dem Ohr, dann den Kopf überm Buch, an weiß verschalten Apparaturen, vor Petrischalen. Drei von ihnen erzählen, wie sie am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns (AGE) dem Leben selbst auf die Spur kommen wollen.
Es gab spektakuläre Erfolge in der Alternsforschung: Fruchtfliegen und Fadenwürmer leben doppelt so lang, wenn man bestimmte Gene deaktiviert. Der Mensch aber ist komplizierter. Er trinkt Alkohol, ernährt sich ungesund und bewegt sich mal mehr, mal weniger. „Im Altern kommen viele Prozesse zusammen, so dass sich Verschleiß im Körper ansammelt“, erklärt Ina Huppertz. „Es ist ein Zusammenspiel mit den Genen.“ Der schwächste Faktor jedoch bestimmt die Geschwindigkeit des Alterns.
„Es ist wie ein Fahrrad. Am Anfang läuft die Kette gut. Es war vielleicht ein schlechtes Teil verbaut. Irgendwann muss man beginnen, es aktiv zu reparieren … Bei jeder Zellteilung können Fehler passieren. Die Zelle hat aber Mechanismen, um zu reparieren und zu recyceln. Am Anfang des Lebens funktioniert das gut, später immer schlechter.“ – Immer wieder liest man, das Altern sei wie ein Programm. – „Das würde ich nicht so sehen“, sagt Ina Huppertz. „Was definitiv der Fall ist, dass einige Prozesse sich über die Jahre verschlechtern, aber das ist nicht so gewollt.“
Gene entscheiden nur zu einem geringen Anteil über das Alter
Auch Zwillinge und langlebige Familien untersuchen sie am AGE; eine Erkenntnis daraus ist, dass Gene nur zu 10 bis 15 Prozent dafür verantwortlich sind, welches Alter wir erreichen. Viel entscheidender sind Lebenswandel und äußere Einflüsse. Eigentlich eine gute Nachricht, denn einen guten Teil haben wir selbst in der Hand: „Menschen, die Sport machen, gesund essen, Sonnencreme benutzen haben eine längere Zeitspanne, in der sie gesund altern können“, sagt Huppertz. „Das ist das beste Heilmittel, dass wir im Moment haben.“
Zur Ernährung forscht das AGE darum, aber es gibt natürlich keine Diät-Empfehlungen. Die Forschung bezieht sich ja auf Mäuse, Fadenwürmer und den türkisen Prachtgrundkärpfling. Aber einige Hinweise gibt es doch: Weniger essen hält offenbar jung. Die Theorie dahinter: Muss die Zelle mit weniger Energie auskommen, aktiviert sie Reparaturmechanismen. Zudem stumpft es ihre Sensoren ab, wenn sie mit Nährstoffen überflutet werden, die Prozesse werden unpräziser.
Die Mäuse leben am längsten, die rund zwei Drittel weniger bekommen als ihre Artgenossen, die sich satt fressen können (was in der Natur selten gegeben ist). Eine solche Hungerkur wäre im menschlichen Alltag schlecht durchzuhalten. Und es kommt auch sehr darauf an, was man isst. Zu viele Proteine lassen jedenfalls Fruchtfliegen schnell alt aussehen. Allerdings gab es bei den Mäusen schon einen Effekt, wenn sie nur ein bis zwei Fünftel weniger fraßen. Und leiten die Wissenschaftler etwas für sich selbst ab? – Einige machen Intervallfasten, ist zu hören.
Warum bekommen wir Falten?
Wie verhält es sich nun mit unseren grauen Haaren oder Falten – sind das auch Folgen von Fehleranhäufungen? Ja, wenn unser Stoffwechsel sich verändert, erklärt Huppertz, haben daran nicht nur die Zellen, sondern auch ihre Bestandteile Anteil. Sie selbst baut gerade ihre Forschungsgruppe auf, um herauszufinden, wo Fehler in der Kommunikation zwischen Bauherr und Handwerkern passieren: Die DNA übergibt den Bauplan eines Proteins an die RNA (allseits bekannt durch die neuen Corona-Impfstoffe), und diese trägt ihn dorthin, wo das Eiweiß gebaut wird.
Der Stoffwechsel hängt aber auch ab von den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen, die sich selbst verzehren müssen, um sich zu recyceln. Und irgendwann kommen sie nicht mehr recht hinterher, wenn Fehler sich aufschaukeln. Und dann gibt es noch ein Netzwerk von Signalwegen auf molekularer Ebene, das diesen Prozess steuert … Es ist eben Grundlagenforschung. Aber am Ende produziert der Körper nicht mehr genügend Kollagen – und die Haut wird faltig.
Und ist das nun ein Fehler oder schlicht Natur? Seit Jahren debattieren Forscher und die Weltgesundheitsorganisation, ob „Hohes Alter“ als Krankheit anerkannt werden soll. Die Befürworter erklären, dass Krankheiten wie Alzheimer oder Krebs, ähnliche biologische Grundlagen haben wie Gebrechlichkeit oder der Abbau des Immunsystems, nämlich Fehler, die sich in Zellen oder auf noch kleinerer Ebene anhäufen. Und gegen eine Krankheit kann man besser Medikamente entwickeln und zulassen.
Die Legende vom Mäuseblut
Ina Huppertz sieht das kritisch. „Anti-Ageing“-Medikamente sind ein Riesenmarkt. Es gibt bereits zweifelhafte Anwendungen. So hat sich der deutsch-amerikanische Milliardär Peter Thiel, bekannt geworden als Facebook-Investor und Trump-Unterstützer, schon 2016 Blutplasma junger Spender spritzen lassen – weil es unter Mäusen einen „altersverzögernden“ Effekt gab. Sie blieben länger gesund, allerdings wurden sie auch nicht „unnatürlich“ alt.
Der Rummel darum hat auch zu Verschwörungstheorien wie „QAnon“ beigetragen, nach der Kindern in Folterkellern Adrenalin abgezapft wird, mit dem sich angeblich eine verjüngendes Substanz herstellen ließe. Das ist nicht nur wissenschaftlich Unfug. Wahr ist: Forscher versuchen herauszufinden, welche Bestandteile im Mäuseblut Wirkung entfalten. Aber die Forschung und mehr noch die Entwicklung von Anwendungen steckt noch in den Anfängen.
Das wahre Alter
Im Blut von Patienten sucht auch Joachim Steiner nach Anhaltspunkten, allerdings andersherum: Er möchte das „wahre“ Alter von Menschen bestimmen. Denn ein Siebzigjähriger kann biologisch fit sein wie ein Fünfzigjähriger. Und das Alter spielt für viele Therapieentscheidungen eine entscheidende Rolle. „Ein Siebzigjähriger bekommt bei einer Lungenentzündung ein anderes Antibiotikum als ein junger Patient“, sagt Steiner. „Auch bei der Frage, ob man Krebserkrankungen operiert oder nicht, ist das Alter entscheidend.“
Bisher bestimmt man das biologische Alter mit Proben verschiedener Organe, die aufwendig analysiert werden müssen. Aber in den Zellkernen der weißen Blutkörperchen glaubt Steiner einen Marker gefunden zu haben, mit dem man auf sehr viel einfacherem Wege zum Ziel kommt. Eine andere Erkenntnis aus seiner Arbeit mit Patienten ist: „Alter hat auch mit sozialer Interaktion zu tun. Covid hat klar dafür gesorgt, dass viele Menschen, die fit waren, es nicht mehr sind.“
An einer Pille gegen das Altern arbeitet Yu-Xuan Lu. Das Medikament „Rapamycin“ (auch bekannt als „Sirolimus“) kann bei Tieren das Leben verlängern und Alterskrankheiten vorbeugen. Allerdings hat es heftige Nebenwirkungen – was man sich vorstellen kann, wenn man weiß, dass es in der Chemotherapie gegen Krebs oder nach Transplantationen eingesetzt wird. Das Medikament einfach so einzunehmen, hält Yu-Xuan Lu für eine denkbar schlechte Idee. „Die Nieren können versagen, sie können Diabetes bekommen und unfruchtbar werden. Sie leben vielleicht länger, aber sie werden auch kleiner wachsen.“
Allerdings macht die Dosis das Gift. Der Stoff hat auch das Potenzial vor altersbedingten Krankheiten zu schützen. Yu-Xuan Lu konnte zeigen, dass man Rapamycin nicht lebenslang einnehmen muss, um eine Wirkung zu erzielen. Auch ein kurzer Zeitraum genügt, am besten während der Alterungsprozess gerade erst einsetzt. Trotz aller Hindernisse halten viele Forscher das auf der Osterinsel entdeckte Pilzgift für den erfolgversprechendsten Kandidaten.
„Es sind bereits klinische Studien am Menschen angelaufen in den USA“, sagt Yu-Xuan Lu. „Aber sie dauern natürlich nicht ein Leben lang, man wird also nicht die Langzeitwirkungen beobachten können.“ Er schätzt, dass der Stoff das Potenzial hat, eines Tages die Zeitspanne zu verlängern, in der wir gesund bleiben: um vielleicht fünf bis zehn Jahre. Denn das ist eigentliche Ziel der Forscher: Grundlagen für ein gesünderes Altern zu finden. Wenn der Stoff auch das Leben verlängern sollte, wäre das aus Sicht von Yu-Xuan Lu das „Sahnehäubchen“.
Denn das eigentliche Ziel der Forscher ist, Grundlagen für ein gesünderes Altern zu finden. Darum sagt auch Huppertz: „Ich denke nicht, dass wir es auf die 200 Jahre schaffen werden. Es gab nur eine Person, die mehr als 120 Jahre alt geworden ist. Das ist das einzige Beispiel, bei dem man eine große Verschiebung sieht.“ Dies wird gemeinhin als maximal mögliche Lebensspanne angenommen – zurzeit.